Präsidentschaftswahlen in Ägypten

In Ägypten brachte im Mai 2012 die erste Runde der ersten Präsidentschaftswahlen nach der Revolution, bei der nur ca. 43,4% der wahlberechtigten Ägypter zur Wahl gegangen waren, einige Überraschungsergebnisse. Amr Moussa, der ehemalige Präsident der Arabischen Liga, war nicht wie erwartet unter den Favoriten, sondern war an vierter Stelle gelandet, und der als gemäßigt geltende

In Ägypten brachte im Mai 2012 die erste Runde der ersten Präsidentschaftswahlen nach der Revolution, bei der nur ca. 43,4% der wahlberechtigten Ägypter zur Wahl gegangen waren, einige Überraschungsergebnisse. Amr Moussa, der ehemalige Präsident der Arabischen Liga, war nicht wie erwartet unter den Favoriten, sondern war an vierter Stelle gelandet, und der als gemäßigt geltende Islamist Abol Fotouh kam auch nur an fünfter Stelle in der Wählergunst. Viele hatten in ihm einen vielversprechenden Präsidentschaftskandidaten gesehen, da er Unterstützung genoss sowohl in christlichen und säkular ausgerichteten Kreisen, die von ihm als Unabhängigen eine vernünftige Kooperation erwarteten, als auch von islamistisch ausgerichteten Kreisen, die in ihm als ehemaligem Führungsmitglied der Muslimbrüder eine Respektsperson sahen.
Recht unerwartet war stattdessen der vom SCAF (Supreme Council of Armed Forces / Militärrat) favorisierte Kandidat Ahmed Shafik an zweiter Stelle gelandet. 25% der Wähler hatten sich für ihn entschieden, obwohl es ein anhängiges Verfahren wegen Korruption gegen ihn gab, und er als der Repräsentant des alten Regimes galt, das im letzten Jahr durch die Revolution abgesetzt worden war. Kaum jemand hatte damit gerechnet, wie stark sich manche Wähler „stabile Verhältnisse“ zurückwünschten, auch auf Kosten der persönlichen und politischen Freiheit.
In den Monaten nach der Revolution hatten konterrevolutionäre Boykottmaßnahmen dazu geführt, dass die steigende Unsicherheit auf allen Ebenen innerhalb der Bevölkerung zu dem Ruf nach einem starken Mann führte. So konnte der SCAF am Ende ohne großen öffentlichen Widerstand den Angeklagten Ahmed Shafik rehabilitieren und als Präsidentschaftskandidaten lancieren.
Nur einen Prozentpunkt mehr erreichte der Kandidat der Muslimbrüder, Mohamed Mursi, wobei dessen „Mehrheitssieg“ durchaus zu erwarten gewesen war angesichts der sehr große Verbreitung der Muslimbrüder innerhalb der Bevölkerung. Sie verfügten zudem über eine dermaßen erprobte Struktur des Gehorsams, dass sie „auch einen toten Hund zum Präsidenten machen könnten“, wie es der Parlamentsvorsitzende Mohamed Al Katatni einmal formulierte.
Der als blass und uncharismatisch geltende Mursi war von den Muslimbrüdern erst in letzter Minute aufgestellt worden, nachdem ihr ursprünglicher Kandidat Khairat Shater im Laufe des Wahlkampfes disqualifiziert worden war, da er noch eine Bewährungsstrafe verbüßte. Von ihrem Versprechen, gar keinen Präsidentschaftskandidaten zu stellen, da sie bereits die Mehrheit im Parlament stellten, hatten die Muslimbrüder wenige Wochen vor den Wahlen Abstand genommen und damit unverhüllt nach der Macht gegriffen.
Die größte Überraschung dieser Wahl war jedoch, dass Hamdin Sabbahi durch den unerwartet großen Zuspruch der Wähler an dritter Stelle kam. Ohne Rückendeckung durch eine versierte Werbemaschinerie oder unendliche Millionen an Unterstützungsgeldern hatte dieser als säkular und gemäßigt links geltende Nasserist viele Wähler überzeugt, die in ihm die einzige Möglichkeit sahen, die Ziele der Revolution am Ende durchzusetzen. Anscheinend war er von vielen einfachen und unpolitischen Menschen in der Bevölkerung gewählt worden, die während des Wahlkampfes erkannt hatten, dass sowohl die Muslimbrüder als auch die Unterstützer des Wunschkandidaten des Militärrates nicht davor zurückschreckten, Stimmen zu kaufen oder die Wähler durch Gefälligkeiten zu beeinflussen, und die in Sabbahi einen „sauberen Mann“ sahen.
Die Kräfte des revolutionären Lagers hätten sich im Vorfeld der Wahlen auf Hamdin Sabbahi als einzigen Kandidaten einigen müssen, um ihn zu stützen, doch die Stimmen der Linken und progressiven Kräfte waren auf insgesamt vier Kandidaten aufgesplittert worden. So wurden ihre Stimmen auf die verschiedenen revolutionären Strömungen zerstreut und fehlten am Ende Sabbahi für den letzen, entscheidenden Prozentpunkt.
Viele hatten ihm keine wirkliche Chance zugetraut und hatten ihre Stimme strategisch für einen Kandidaten einer anderen politischen Richtung eingesetzt. So hatte beispielsweise Abol Fotoh Stimmen von Teilen des revolutionären Lagers erhalten, da sie in ihm einen erfolgversprechenden Gegenspieler zu Mursi, den sie unter allen Umständen verhindern wollten, gesehen hatten. Diese Fehleinschätzung der Linken kostete Sabahi wertvolle Stimmen, die ihn in die zweite Runde hätten bringen können.
Viele Wähler wurden durch das in der Öffentlichkeit geschürte Bild irregeführt, bei dieser Wahl ginge es um die Wahl zwischen einem säkularen oder einem religiösen Staat. Dabei wurden das Regime und die Islamisten als zwei Pole gesehen, deren stärkste Repräsentanten vorsichtshalber als „sicherere“ Kandidaten gewählt wurden. Daher wählten viele Christen und Säkulare Shafiq aus Angst vor den Islamisten. Viele Revolutionäre wählten Abol Fotoh als das kleinere Übel, da sie sicher waren, dass sowieso ein islamistischer Kandidat das Rennen machen würde.
Am Ende zeigte sich jedoch, dass in der Bevölkerung durchaus das Bewusstsein geherrscht hatte, dass es bei dieser Wahl um eine Wahl zwischen dem etablierten Regime und den revolutionären Forderungen ging, nicht anders ist der Erfolg Sabahis zu erklären. Leider kam diese Erkenntnis für viele Linke zu spät, die ihn bei besseren Erfolgschancen durchaus ebenfalls gewählt hätten.
Mit der für Mitte Juni angesetzten Stichwahl zwischen den Kandidaten Ahmed Shafik und Mohamed Musi wurden die Hoffnungen der Revolution nun endgültig enttäuscht. Viele bezeichneten sie als eine Wahl „des besseren unter den Schlimmsten“.
Die Unterscheidung der beiden Spitzenkandidaten in eine Wahl zwischen säkularen und religiösen Kräften bezieht sich nur auf eine Äußerlichkeit. Beide Kandidaten vertreten die Rückkehr bzw. Fortführung des alten Systems. Die persönliche Ausrichtung der Kandidaten zeigt nur eine Art Flügelkampf innerhalb der herrschenden Klasse. Viele Bürger wollten es sich nicht antun, diese Situation auch noch durch ihre Stimmabgabe zu würdigen. Sie zeigten durch Nichtbeteiligung an der Wahl ihre Enttäuschung. Dennoch gab die Wahlkommission die Wahlbeteiligung mit 51% an, was daran gelegen haben könnte, dass beide Lager ihre Anhänger mobilisiert hatten.
Der Ausgang der Wahl zeigte ein Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden Kandidaten. Obwohl die Muslimbrüder von Anfang an mit Bestimmtheit ihre Mehrheit erklärten, hielten Shafiks Unterstützer zunächst mit anderen Zahlen dagegen. Die Wahlkommission ließ sich eine Woche lang Zeit, den Sieger zu erklären. Zunächst wurden über 400 Beschwerden wegen Wahlvergehen vor dem Obersten Gerichtshof geprüft, und erst nach langen Tagen des Wartens, in denen sich das Land in einer Art Lähmungszustand befand, wurde Mursi zum Sieger erklärt.
Seine Anhänger gingen auf die Straßen und feierten den „Sieg“ frenetisch, trotz des offensichtlichen geringen Rückhaltes in der Gesamtbevölkerung. Schließlich würden sie in den nächsten Jahren die Politik Ägyptens maßgeblich mitbestimmen.
Die Führungsrolle des SCAF wurde durch die Wahlen in keinem Falle gefährdet. Im Laufe des Jahres nach der Revolution war den Ägyptern schnell klar geworden, dass der Militärrat in jeder Hinsicht im Hintergrund die Entscheidungen trifft und auch weiterhin zu treffen beabsichtigt.
Dass der SCAF nach der Revolution ohne Weiteres die Regierung übernommen hatte, war anfangs mangels repräsentativer Führungsalternativen von der Bevölkerung kaum infrage gestellt worden. Erst im Laufe der Monate hatte sich herauskristallisiert, dass der SCAF die Ziele der Revolution klar zu verhindern suchte und durch entsprechende Gesetzeserlässe die freie Entwicklung demokratischer Kräfte andauernd blockierte.
So war es auch kein „Staatsstreich“, als am Tage unmittelbar vor der Stichwahl die richterliche Entscheidung des obersten Gerichtes verkündet wurde, die Anklage gegen Shafik fallenzulassen, dagegen aber den Klagen gegen die Rechtmäßigkeit des Parlamentes stattzugeben und ein Drittel des Parlamentes aufzulösen und vorläufig wieder die Legislative zu übernehmen. Dies war nur die konsequente Fortsetzung der bisherigen Politik des Militärrates, der seit der Machtübernahme keinen Zweifel daran gelassen hatte, dass er auch in der Zukunft entscheidend an der Macht in Ägypten beteiligt zu sein beabsichtigte.
Die präventive Lähmung der Macht der Muslimbrüder im Parlament war angesichts der zu erwartenden Mehrheit bei der Präsidentschaftswahl für Mursi nichts anderes als die Sicherung der Vormachtstellung des Militärrates. Die Unregelmäßigkeiten bei der Parlamentswahl boten sich da nur als willkommener Vorwand, da der SCAF bei dieser willkürlichen Maßnahme sogar vorgeben konnte, hierdurch die Demokratie wahren zu wollen.
Von Demokratie kann im neuen Ägypten jedoch sowieso nicht die Rede sein, solange den demokratischen Prozessen nicht eine neue Verfassung zugrunde liegt. Zurzeit gilt die Erweiterung der vorläufigen Verfassungserklärung des Militärrates, die die Verfassung von 1971 im Sinne des SCAF modifiziert.
Mehrere Versuche, eine Verfassungskommission zusammenzustellen, die die heterogenen Interessen im Volk repräsentiert, sind bislang gescheitert. So kam es bisher zu keinem neuen Verfassungsentwurf und der SCAF plant, nunmehr die Verfassungskommission selbst zu ernennen. Es wird sich noch zeigen, ob das Volk die Versuche der derzeitigen Machthaber, alle demokratischen Reformen auszuhebeln, und dies durch die von ihnen dominierte Neuschreibung der Verfassung festzuschreiben, klaglos hinnehmen oder durch entschiedenen Widerstand vereitelt wird.
Auch wenn die Revolution vorläufig verloren ist, hat sich doch gegenüber früheren Zeiten etwas geändert: Die Ägypter haben ihre Angst verloren und angefangen, es als ihr Recht zu betrachten, die Stimme zu erheben. Die nächsten Jahre werden in Ägypten einen erbitterten Kampf der progressiven und revolutionären Kräfte zeigen, sich trotz des Wiedererstarken des etablierten Systems, der Macht der Militärs und der islamistischen Ausrichtung der Politik zu behaupten. Es sind unruhige Zeiten zu erwarten.
Trotz ihrer unterschiedlichen Ausrichtungen müssen sich die einzelnen Fraktionen und Parteien der Linken in den kommenden Jahren zu einer ernstzunehmenden Front vereinigen, die eine klare politische Alternative bietet. Die dringenden Probleme des Landes werden weder durch die Herrschaft der Islamisten noch durch die Einflussnahme des Militärrates oder durch die Fortführung des alten Systems gelöst werden. Wenn die Linken ihren eine andere Perspektive bieten, werden die Bürger bei der nächsten Wahl dann anders entscheiden können.

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