Seit September 2010 wollten folgende, in den Europäischen Sozialforumsprozess und in europaweite Mobilisierungen involvierte Kräfte diese Konferenz ein Jahr nach Beschluss des europaweiten Mega-Austeritätspaktes organisieren:
ATTAC (Deutschland, Frankreich, Ungarn, Flandern, Spanien), CADTM (Frankreich, Belgien, Schweiz, Griechenland, Spanien, Portugal), Transform! Europe, Euromarches, Solidaires (Frankreich), FGTB (Belgien), EuroMemo Group, Forum soziales Europa (Gewerkschaftsnetzwerk), Joint Social Conference, TransNational Institut (TNI, Amsterdam), Prager Frühling II Netzwerk (Zentral- und Osteuropa), Griechisches Sozialforum, Österreichisches Sozialforum, Belgisches Sozialforum, Netzwerk des ungarischen Sozialforums, Espaces Marx (Frankreich), Socialismo21 (Spanien), Copernic Foundation (Frankreich), Mémoire des luttes (Frankreich), Patas Arriba, Nicos Poulantzas Institut (Grichenland), Gesellschaft für einen Europäischen Dialog (SPED, Tschechische Republik), Fraueninitiative der Bewegung gegen Schulden undSparpläne, Transform ! Brüssel, Frauenweltmarsch, Rood (Flandern), Coalition of Resistance (UK), WIDE (Women In Development Europe), Realpe (Europäisches Netzwerk Fortschrittlicher Lokaler Abgeordneter); cgt-fsu-solidaires von Le Havre im Streik; Mesas Ciudadanas de Convergencia y Accion.
Teilgenommen haben weiters:
Europäische Vereinigung zur Verteidigung der Menschenrechte / European Association for the Defence of Human Rights / Association Européenne pour la Défense des Droits de l’Homme (AEDH); Europäische Feministische Initiative/European Feminist Initiative; Liga für Menschenrechte (Frankreich), Fédération syndicale unitaire (FSU, Frankreich); GewerkschafterInnen aus verschiedenen Ländern.
Unsere Schlussfolgerungen – unsere Konvergenzen
Diese Konferenz zeigt die Dringlichkeit der Lage
Sie fand zum Zeitpunkt einer Verschärfung der Krise des Euro und der EU, im Rahmen einer allgemeinen Krise des finanzmarktgesteuerten Kapitalismus. Europa, dessen Grundlagen erschüttert werden, befindet sich in einer Sackgasse. Mit dem Euro-Pakt Plus wurde ein neuer Schritt in Richtung Vertiefung der Krise der Gesellschaft und der Demokratie gesetzt. Auch ökologische Anliegen können in diesem Kontext nicht gelöst werden.
Europa befindet sich am Scheideweg – seine Legitimität schwindet
Mehr als jemals zuvor liegt der Ausweg aus der Krise im Widerstand und im Kampf gegen den Euro-Pakt Plus, die neue europäische Wirtschaftsregierung, die Verallgemeinerung der Sparprogramme und den Druck mit der Staatsverschuldung. Er liegt in einer Veränderung Europas zu einem Kontinent der Zusammenarbeit und Solidarität. Wir müssen in Europa gemeinsam handeln, um den Spaltungen, dem Nationalismus und den Ressentiments zu begegnen, die nur die populistische und rechtsgerichtete Strömungen begünstigen, deren Bedeutung heute ständig zunimmt. Wir müssen die europäischen Anliegen mit den Kämpfen auf nationalstaatlicher Ebene verbinden und überall darüber aufklären, wo unsere Gemeinsamkeiten liegen.
Die soziale und politische Auseinandersetzung hat sich verschärft
Für die Lohnabhängigen, RentnerInnen und prekär Beschäftigten, für junge Menschen, MigrantInnen und die Ärmsten in der Gesellschaft und alle jene, die von Armut bedroht sind, verschlimmert sich die Lage laufend. Überall sind Frauen am stärksten betroffen. Wir begrüßen und empfinden als sehr ermutigend die Bewegungen der „Empörten“, die in mehreren europäischen Ländern für „eine wirkliche Demokratie“ eintreten.
Konvergente Forderungen, die zusammenführen
Wir konnten beobachten, dass eine Anzahl an Kämpfen in dieselbe Richtung führen, da sie die Forderung nach einer Harmonisierung der Rechte auf hohem Niveau beinhalten. In dieser Atmosphäre der Entrüstung bestehen viele Übereinstimmungen zwischen sozialen und zivilgesellschaftlichen Bewegungen, GewerkschafterInnen ebenso wie sozialen und politischen AktivistInnen.
• Die Antwort auf Probleme, die in Europa ihren Ursprung haben, ebenso wie die Antwort auf akute Schwierigkeiten in einzelnen Ländern muss eine gesamteuropäische und gemeinsame sein.
• Ziel der ökonomischen Zusammenarbeit auf europäischer Ebene muss es sein, die Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse sicherzustellen. Die Architektur des Euro, der Institutionen, der europäischen Verträge und Abkommen muss entsprechend geändert werden, um dies zu gewährleisten.
• Die öffentlichen Schulden müssen reduziert werden: durch neue Einnahmen, durch eine Senkung der von Staaten und Gemeinden zu bezahlenden Zinssätze; durch eine Verringerung der Transferzahlungen an die Kreditgeber, durch Maßnahmen des Erlasses der illegitimen Teile der Schulden auf Grundlage öffentlicher Audits durch die BürgerInnen, wodurch die Bestrafung von Spekulanten und der Schutz einfacher Spareinlagen und Pensionen sichergestellt würden.
• Neue öffentliche Besteuerungssysteme müssen eingerichtet werden, z.B. müssen ein gerechteres und weniger ungleiches Steuersystem geschaffen, das fiskalische Dumping beendet; die Besteuerung der Einnahmen aus Kapital- und Finanztransfers sichergestellt und inakzeptable Ausgaben, z.B. von Militärausgaben, reduziert werden.
• Vielfältige politische Maßnahmen müssen dazu beitragen, eine radikalere Umverteilung des Reichtums zu organisieren um die sozialen Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten zu reduzieren.
• Banken und andere Finanzinstitutionen müssen strenger reguliert werden: mit Massnahmen öffentlicher Aneignung der nötigen Instrumentarien durch die Gesellschaft, damit eine neue Form der sozialen und ökologischen Entwicklung unterstützt wird. Die restriktive Politik der EZB muss beendet werden.
• Es ist wichtig, eine Perspektive sozialer Konvergenz auf hohem Niveau zu eröffnen, und die Abwärtsspirale des Sozialdumpings, des Abbaus sozialer Schutz- und Pensionssysteme und der zunehmenden Prekarisierung und Verarmung zu stoppen.
• Eine an hohen Standards orientierte Angleichung der Einkommen ist nötig: die Einführung eines europäischen Mindestlohns auf der Grundlage des Durchschnittseinkommens
jedes Landes, um sozialem und Lohndumping zu begegnen; die sozialen Mindeststandards haben sich am Mindesteinkommen zu orientieren. Als Sofortmaßnahme gegen sozialen Ausschluss muss festgelegt werden, dass kein Einkommen die Armutsgrenze unterschreiten darf. Frauen, am meisten von Niedriglöhnen Betroffenen, haben ein besonders Interesse an einen solchen Richtungswechsel.
• Um der Verarmung neuer Teile der Bevölkerung entgegenzutreten, muss das Konzept der sozialen Sicherheit erweitert werden, sodass alle Menschen darin eingebunden werden.
• Die besonders hart von der Krise betroffenen Menschen, die wegen der Schuldenlast in Polen, Ungarn und Rumänien ebenso wie in anderen europäischen Ländern bedroht sind, aus ihren Wohnungen vertrieben zu werden, müssen Beistand und ein durchsetzbares Recht auf Wohnen erhalten.
• EU-Subventionen, die insbesondere den Ländern Osteuropas gewährt werden, dürfen in keinem Fall zu einer Erhöhung der Schulden der Gemeinden führen: dass das Vermögen der Gemeinden für Kredite verpfändet wird, muss verboten werden.
• Die EU-Migrationspolitik muss sich radikal dahingehend ändern, dass die sozialen und Menschenrechte von MigrantInnen respektiert werden und dass Zusammenarbeit und Solidarität gefördert werden.
• Die öffentlichen Dienste in der EU müssen bewahrt und entwickelt werden, damit den Grundsätzen von Gleichheit, Solidarität und Bildung für alle Rechung getragen werden kann; Forschungsprojekte müssen der Gesellschaft und der Herausbildung eines neuen Modus gesellschaftlicher und ökologischer Entwicklung dienen. Das ist ein grundlegendes Ziel, das gewährleisen soll, dass soziale Aktivitäten im Bereich der Öffentlichkeit verbleiben und nicht transferiert werden zu Lasten der Frauen als unbezahlte häusliche Tätigkeit oder unterbezahlte Lohnarbeit.
• Mehr als jemals zuvor verlangen ökologische und soziale Belange die Kontrolle ökonomischer Entscheidungen durch die demokratische Öffentlichkeit. Eine Entwicklung in Richtung einer anderen Art des Wirtschaftens ist auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene erforderlich.
• In Europa befindet sich die Demokratie aber auf dem Rückzug; sie muss verteidigt werden und mehr zur Wirklichkeit werden, so wie das die BürgerInnen in ganz Europa fordern.
Die Mobilisierungen in Europa müssen intensiviert werden und Kräfte zusammenführen, mit dem Ziel eines radikalen Wandels in Europa – das hat hohe Dringlichkeit. Diese Konferenz bringt ihre volle Solidarität mit den Bewegungen zum Ausdruck, die Widerstand gegen die Sparprogramme und die Schuldenlasten leisten, ebenso mit jenen, die für echte Demokratie eintreten.
Mehrere Initiativen zur Entwicklung und Verbreiterung der Bewegungen sind bereits in Vorbereitung:
• 19. Juni: ein Aktionstag in Spanien, der von den „Entrüsteten“ der Puerta del Sol initiiert und von solidarischen Initiativen in anderen Ländern unterstützt wird;
• 21. Juni: Europäischer Aktionstag, zu dem der EGB aufruft
• 1. Oktober: eine Konferenz gegen Sparprogramme und Privatisierungen in London
• 15. Oktober: ein internationaler Aktionstag, initiiert von der Bewegung des 15. Mai (Puerta del Sol)
• 1. November: eine Demonstration gegen die G-20 (bei Cannes/Nizza in Frankreich), gefolgt von einem Forum der Völker
Mehrere weitere Schritte werden noch diskutiert:
• Die Wege auf denen gegen den Euro-Pakt Plus und das ökonomische Regierungspaket Widerstand geleistet werden kann, mittels einer Vervielfachung von Initiativen und Informations- und Aufklärungskampagnen;• Die Durchführung öffentlicher Anhörungen bzgl. der Staatsschulden in verschiedenen Ländern, gefolgt von einem europaweiten Treffen um die Ergebnisse zusammenzuführen und gemeinsame Strategien zur Tilgung der illegitimen Schulden der europäischen Staaten zu erarbeiten;• Eine Vielzahl an Aktionen am 23. und 24. Juni während des Treffens des Europäischen Rates zum „Governance Paket“;• Eine Restitution der Arbeiten der Konferenz im Europäischen Sozialforumsprozess, von dem diese Initiative ausging;• Ein Beschluss zur Schaffung eines offenen und der Mobilisierung dienenden Netzwerks, das dem Thema „Schulden und Sparprogramme“ gewidmet ist und zum Ziel hat, Analysen, Konvergenzen und Initiativen zu erarbeiten.Einige Fragen blieben in der Diskussion offen, insbesondere ein Vorschlag, der von griechischen TeilnehmerInnen eingebracht wurde: Sollen wir versuchen, eine „gemeinsame Front von Gewerkschaften, Bewegungen und politischen Kräften“ deren Zielen konvergent sind? Oder sollen wir den Weg eines „BürgerInnen-Pakts“ zum Aufbau eines neuen Europa einschlagen?
Kontakt:
Verveine Angeli – angeli@solidaires.org
Elisabeth Gauthier – elgauthi@internatif.org
Christine Vanden Daelen – christine@cadtm.org