Am 8. Juni hatte Theresa May die britischen Wähler_innen um ein stärkeres Mandat für einen harten Brexit gebeten. Diese erteilten ihr jedoch eine deutliche Absage.
Bis dato führten die Tories eine Mehrheitsregierung. Jetzt finden sie sich jedoch in einer Minderheitsregierung wieder und versuchen nun, mit der Democratic Unionist Party einen Kompromiss zu schmieden. Die nordirische Partei ist ultrareligiös, rechtskonservativ und verfügt über zehn Sitze im Unterhaus. Es gibt großen Widerstand gegen eine derartige Regierung, die weiter ins rechte Spektrum rücken würde als je eine britische Regierung zuvor. Auch in Irland ist man besorgt, dass eine derartige Regierung das Karfreitagsabkommen gefährden könnte.
Obwohl die Regierungspartei mit 42,02 % weiterhin die größte Fraktion stellt, gilt die von Jeremy Corbyn geführte Labour-Partei, die 40 % der Stimmen auf sich vereinen konnte, als die eigentliche Gewinnerin der Wahl. Labour konnte einen Zugewinn von 9,9 % der Stimmen verzeichnen und sich so 30 zusätzliche Sitze sichern. Die Konservativen hingegen gewannen 5,5 % und verloren damit 13 Sitze. Liberaldemokraten, Grüne, SNP und UKIP büßten alle an Zustimmung ein; UKIP muss mit -10,8 % die größten Verluste hinnehmen. UKIP-Wähler_innen wechselten entweder ins konservative Lager oder wählten Labour. Labour gelang der erste Zugewinn an Abgeordneten seit 1997 und der größte Stimmenzugewinn in Prozent seit 1945.
Die Jugend wählt Labour
Der Wahlkampf war geprägt von massiven Angriffen auf die Parteiführung Jeremy Corbyns und seine angeblichen Schwächen in Fragen der Wirtschafts- und Sicherheitspolitik, sowie seine Ablehnung für das britische Nuklearwaffenarsenal. Tatsächlich aber war sein Antikriegs-, Anti-Austeritäts- und Anti-Atomprogramm sehr beliebt; insbesondere unter jungen Menschen. Endlich gab es etwas Neues – etwas, wofür sich Einsatz auch lohnte. 250 000 von ihnen hatten sich in den letzten Tagen vor der Wahl registrieren lassen; ihre Stimmen gaben in einer Reihe von Wahlkreisen den Ausschlag für das letztendliche Ergebnis. In der Gruppe der 18- bis 34-jährigen wählten 63 % Labour und nur 27 % die Konservative Partei. Diese Pro-Corbyn-Bewegung scheint auch Zukunft zu haben; Gruppen von Jugendlichen rufen weiterhin seinen Namen spontan auf der Straße oder bei öffentlichen Veranstaltungen.
Es ging um die Politik, nicht um die Person
Die Wende kam, als die Labour-Partei etwa vier Wochen vor der Wahl ihr Programm vorstellte. Es war ein in vieler Hinsicht sozialdemokratisches Programm – ein Bruch mit dem Neoliberalismus – und enthielt populäre und radikale Elemente wie zum Beispiel Wiederverstaatlichungen, Umverteilung, Unterstützung für das nationale Gesundheitssystem NHS und die Abschaffung der Studiengebühren. Wo das Geld dafür herkommen sollte, wurde ebenfalls gleich erwähnt. Damit hatte sich der Wahlkampf in einen soliden, inhaltlichen Wahlkampf verwandelt und die Personalfragen rückten aus dem Fokus. Labour hatte es nicht nur verstanden, die Jugend auf ihre Seite zu bekommen. Sobald klar war, dass das Programm eine Wirtschaftspolitik umfasst, von der auch die „kleinen Leute“ profitieren, konnten auch ehemalige Labour-Wähler_innen zurückgewonnen werden. Umfragen zeigen außerdem, dass viele derjenigen, die beim Brexit-Referendum für den Verbleib Großbritanniens in der EU gestimmt hatten, nun Labour wählten und so eine fortschrittsorientierte Wähler_innenbasis für Corbyn schufen.
Die Doktrin der Führungselite scheint gebrochen
In den letzten Tagen ging es in der Führungsriege der konservativen Partei und der Regierung chaotisch zu und es bleibt offen, wie lange Theresa May sich halten können wird. Die Niederlage fügte ihrem Ansehen deutlichen Schaden zu. Derartige Pattsituationen im Parlament sind in der britischen Politik selten und es ist gut möglich, dass in naher Zukunft erneute Parlamentswahlen stattfinden werden. Für Labour wäre das eine gute Nachricht. Derzeit illustrieren Umfragen eine weiterhin wachsende Zustimmung zu Labour und ihrem Parteivorsitzenden Corbyn, die der Partei eine Mehrheitsregierung bescheren würde. Dies ist eine bemerkenswerte Veränderung in der britischen Politik. Die Doktrin der Führungseliten – die Labour für sich bereits übernommen hatte – besagt, dass es keine Alternativen zum Neoliberalismus und zur Austeritätspolitik gibt. Doch diese Doktrin ist nun durchbrochen.
Es ist jetzt wichtiger als je zuvor, dass Corbyns Kurs und seine Politik innerhalb der Labour-Partei beibehalten werden. Es gilt derzeit als unwahrscheinlich, dass sich der konservative Flügel der Partei gegen ihn erheben wird – jedoch gibt es Anzeichen dafür, dass er gern einen Anteil an der Erfolgsgeschichte Corbyns hätte. Vermutlich, um Corbyns erfolgreiche, auf die „kleinen Leute“ fokussierte Rhetorik zu durchbrechen. Es geht um alles oder nichts, und für einen weiteren Erfolg ist es unumgänglich, die Energie der jungen Leute zu bündeln und zu nutzen.