Betrachten wir das aktuelle politische Bild in Europa, dann entsteht der Eindruck, dass etwas ziemlich schiefgelaufen ist. Wir erkennen, dass wir – die Linke – zahlreiche schwerwiegende Fehler begangen und dass unsere Schwächen den rechtsgerichteten Bewegungen und Parteien neue Möglichkeiten eröffnet haben.
Nach dem Zusammenbruch der UdSSR und des Ostblocks war die Linke in Europa mit einer völlig neuen Situation konfrontiert. Die sich vertiefende Krise in den Wohlfahrtsstaaten Westeuropas und der radikale Wandel zum Kapitalismus im Osten stellte die europäische und internationale Linke vor große Herausforderungen. Die Umsetzung neoliberaler Programme durch sozialdemokratische Parteien, in Verbindung mit der schwachen radikalen Linken, führte erneut zum Aufschwung der Nationalist_innen und der extremen Rechten. Mit eine Rolle spielte die Tatsache, dass die Linke es verabsäumte, ihre historischen Errungenschaften hinreichend vor dem Angriff verschiedener Gruppierungen rechtsgerichteter Historiker_innen und Politiker_innen zu verteidigen.
Das Beispiel Polens
Obwohl die Situation von Land zu Land verschieden ist, finden sich in ganz Europa, besonders im Osten, einige gemeinsame Merkmale. Es lohnt sich, das Beispiel Polens zu betrachten, das den von Orbán in Ungarn festgelegten Kurs aufmerksam verfolgte und sein Beispiel auf die polnische Realität anwandte.
Bis zum Jahr 2015 schlugen alle parlamentarischen politischen Kräfte in Polen den neoliberalen Weg ein, den der Internationale Währungsfonds und die Weltbank vorgegeben hatten. Vorrangiges Ziel für die nachfolgenden Regierungen waren Wirtschaftswachstum und eine verstärkte Integration in EU und NATO. Sämtliche Regierungen – an der Spitze Polen, Ungarn und die Tschechische Republik – wetteiferten dabei um die Führungsrolle bei der Umsetzung.
Nur kleine Gruppierungen profitierten vom Wandel
Obwohl Polen einer der „Gewinner“ des Wandels in Osteuropa war, ist dieser für Millionen Pol_innen immer noch mit äußerst negativen Auswirkungen verbunden. Große soziale Gruppen sahen sich mit einer Verschlechterung ihrer gesellschaftlichen Stellung konfrontiert, waren von den Vorteilen des Wandels und infolgedessen auch vom demokratischen Prozess ausgeschlossen. Ein weiterer negativer Hauptfaktor lag darin begründet, dass sich der Lebensstandard der Bevölkerung auch nicht wesentlich verbesserte, als die Linke an der Macht war. Vor allem während der zweiten Regierungsperiode des sozialdemokratischen Bündnisses der Demokratischen Linken (SLD) von 2001–2005 wurden die neoliberalen Reformen fortgeführt, und das Wahlresultat für die SLD fiel von über 40 % auf 11 % – ein Wert, den die Linke seitdem nicht mehr wesentlich erhöhen konnte. Dies führte zur Dominanz zweier rechter Parteien: der Bürgerplattform (PO) und der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS).
Nur kleine Gesellschaftsgruppen konnten vom Wandel profitieren, wobei die sozialen Kosten von der Mehrheit getragen wurden. Selbst als einige radikal-populistische und nationalistische Parteien sich ab 2005 die Macht mit der PiS teilten, fand keine wesentliche Veränderung des Reformkurses statt. Dies stärkte die Vorherrschaft von PO und PiS, die die polnische Politik nun seit mehr als einem Jahrzehnt prägen.
Große Gewinne für die rechten Kräfte
Im Jahr 2015 kam es zu einem Durchbruch. Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen brachten große Gewinne für die rechten Kräfte mit sich. Erstmals verfügte eine Partei (PiS) über die absolute Mehrheit im Parlament und gewann im selben Jahr auch noch die Präsidentschaft. Auch eine neue rechtsgerichtete populistische Partei (darunter einige offen rechte Nationalist_innen) trat ins Parlament ein: Kukiz15. Beide rechtsgerichteten Parteien, die nationalkonservative PiS und die nationalliberale Kukiz15, gelangten mithilfe von Parolen gegen das System und das Establishment an die Macht. Sie versprachen den Pol_innen Vorteile aus dem Wirtschaftswachstum und eine Beseitigung der Pathologien der vergangenen beiden Jahrzehnte. Den politischen Kräften der Mitte und der Linken gelang es nicht, die Wähler_innen davon zu überzeugen, ihre gemäßigteren Programme zu unterstützen. Die liberale PO, die zwei Amtsperioden regiert hatte, war gezwungen, die Macht niederzulegen, und die Linke verabsäumte zum ersten Mal den Einzug ins Parlament. Die PiS gewann genügend Stimmen, um alleine zu regieren, Kukiz15 erklärte, die Rolle einer „sanften Opposition“ einnehmen zu wollen und die Regierung in ihren Versuchen, einen Wandel des Systems einzuführen, zu unterstützen.
Seit 2015 nahm die PiS-Regierung die umfassendsten sozialen Reformen seit mehr als 25 Jahren vor: Sie führte ein maßgebliches Kindergeld-Programm für Familien namens 500+ ein; senkte das Rentenalter, das von der vorherigen Regierung hinaufgesetzt worden war; versorgte Menschen über 75 mit Gratismedikamenten und setzte sich für Beschäftigungsstabilität und gerechte Löhne ein. PiS präsentierte sich zunehmend als Partei, die gewöhnliche Bürger_innen vor den Übeln des Geschäfts-und öffentlichen Lebens schützt. Die Sozialprogramme sind Teil einer umfassenderen Strategie der staatlichen Erneuerung im Geiste konservativer Werte (z. B. Nichtzulassung von Alleinerzieherinnen für das Programm 500+, Ablehnung der staatlichen Finanzierung von In-vitro-Behandlungen, gesenkte Renten für all jene, die am Aufbau des vorherigen Systems beteiligt waren). Dazu kommt die Vereinnahmung der öffentlichen Medien, die Politisierung von Justiz und Staatsanwaltschaft, die Überwachung von Bürger_innen, mangelnder Respekt für Frauen und Minderheiten, feindliche Gesinnung gegenüber Geflüchteten, etc. Polen erinnert mehr und mehr an einen Polizeistaat. Die regierende Partei spricht immer öfter von einer Änderung der Verfassung (1997 als nationaler Kompromiss verabschiedet), die sie als „postkommunistisch“ bezeichnet. Eine Lahmlegung des Staates würde diese Aufgabe erheblich erleichtern.
Eine mögliche Verfassungsänderung war zwar nicht Leitthema der Wahlkampagne der PiS, jedoch von ganz wesentlicher Bedeutung für die Wähler_innenschaft von Kukiz15. In zwei Jahren Regierung bewies die PiS, dass es möglich ist, auch ohne Verfassungsänderung weitreichende Veränderungen durchzuführen. Ihr bisheriger Erfolg und der Wunsch, die Wähler_innen von Kukiz15 auf ihre Seite zu ziehen, führten jedoch zu öffentlichen Verlautbarungen, noch vor der nächsten Wahl Verfassungsänderungen durchsetzen zu wollen. Dies ist von besonderer Bedeutung, da beide Parteien über eine ähnliche Wähler_innenschaft verfügen, die sowohl aus gemäßigten Konservativen als auch aus extremen Rechten besteht.
Die Regierung vertritt in zunehmendem Maße eine konservative und reaktionäre Flüchtlingspolitik und entfesselte im ganzen Land eine Welle von Nationalismus und Rassismus. Auch Dekommunisierung (Änderung von Straßennamen, Vorschläge, die kleine kommunistische Partei zu verbieten, etc.) wurde eingesetzt, um die Linke anzugreifen und all das zu dämonisieren, was mit dem vorherigen System in Zusammenhang steht.
Eine gespaltene Linke auf der Suche nach ihrem Platz
Die gespaltene und desorganisierte Opposition war nicht in der Lage, sich dem entgegenzustellen, obwohl einige der extremeren Konzepte der Regierung zumindest zeitweise blockiert werden konnten. Viele Bürger_innen haben kein Verständnis für die unkritische Haltung der Opposition gegenüber den unpopulären Institutionen der Dritten Republik. Landesweit wurden zahlreiche Proteste von Frauen, verschiedenen Berufsgruppen und Vertreter_innen lokaler Regierungen organisiert. Die Demonstrationen in Schwarz, die sich gegen den Vorschlag richteten, Abtreibung völlig zu verbieten, nahmen im ganzen Land gewaltige Ausmaße an. Dies führte zu einem kleinen, womöglich nur vorübergehenden Rückzug der Regierung in dieser Frage. Auch die jüngsten Pläne der Regierung, die Gerichte zu reformieren, hatten großangelegte, landesweite Proteste zur Folge, die den Präsidenten veranlassten, zum Teil mit der Regierung zu brechen und eine Veto gegen zwei von deren Vorhaben einzulegen. Es bleibt abzuwarten, ob daraus eine soziale Bewegung entsteht, die imstande ist, die Regierung ernsthaft herauszufordern.
Bedauerlicherweise ist festzustellen, dass es der Linken nicht gelang, ihren Platz in dieser Situation zu finden und die Proteste gegen die Regierung anzuführen. Die Unfähigkeit der Linken, eine brauchbare Alternative zu den neokonservativen und neoliberalen Projekten zu präsentieren, führte lediglich zu einer Vertiefung ihrer aktuellen Krise. Die Linke sieht sich mit dem Dilemma konfrontiert, ob sie sich nun den von den Liberalen angeführten Demonstrationen gegen eine Regierung, die einige progressive Sozialreformen einführte, anschließen soll oder nicht. Hier ist die Linke gespalten. Einige Parteien, wie die SLD und die Grünen, schlossen sich den oppositionellen Protesten an, obgleich sie diese nicht anführten. Andere Parteien, wie Razem, weigerten sich ursprünglich, an den Protesten teilzunehmen, und organisierten selbst kleinere Demonstrationen. In jüngster Zeit nahm jedoch sogar Razem an den gemeinsamen Protesten für Demokratie teil.
Eines der Hauptprobleme bleibt die Tatsache, dass die Linke gespalten ist. Razem und die SLD kooperieren nicht miteinander – Razem beschuldigt die SLD, eine postkommunistische, neoliberale Partei zu sein. Razem versuchte, sich selbst als die dritte Kraft in der polnischen Politik zu präsentieren, was bisher nur bedingt von Erfolg gekrönt war. Die SLD konzentriert sich auf ihre bisherige Kernwähler_innenschaft und ist nicht imstande, auch darüber hinaus Unterstützung zu finden. Eine Linke, die nicht im Parlament vertreten ist, wird immer mehr an den Rand gedrängt und ist in öffentlichen Debatten nicht sichtbar.
Neue Initiativen der Linken
Es gibt jedoch einige neue Initiativen, die Perspektiven für gemeinsame Aktivitäten der Linken gegen Neoliberalismus und rechtsgerichteten Konservativismus bieten. Dazu gehören das „Projekt für eine neue Fünfte Republik“ (www.piatarzeczpospolita.pl) und ein Brief, der vom linksgerichteten Wissenschaftsjournal „Theoretical Practice“ zum gleichen Thema verbreitet wurde. Die Stiftung Naprzód bewertet diese Initiative positiv, ein Abdruck des Briefes findet sich unten.
Fazit
Die regierende Partei Polens steht für die Radikalisierung sozialer Stimmungen. Das neue historische Narrativ, die Bewegung in Richtung Autoritarismus, die Schaffung eines von Nationalstolz geprägten Klimas und Intoleranz gegenüber Minderheiten und Andersmeinenden haben womöglich fatale Auswirkungen.
Diese Situation schafft jedoch eine Reihe neuer Möglichkeiten für die Linke. Erstmals im Lauf von mehr als zwei Jahrzehnten können wir Themen wie Privatisierung, Reprivatisierung, Beschränkung von Privateigentum, die Notwendigkeit staatlicher Investitionen und vieles mehr diskutieren. Zuvor herrschte eine doktrinäre Haltung vor, die Diskussionen zu solchen Themen unmöglich machte. Die Herausforderung für die Linke liegt darin, die Kluft zwischen einer liberalen und konservativen Rechten aufzubrechen und eine Alternative zu bieten, die soziale Rechte und Schutz erweitert, gleichzeitig jedoch demokratische Rechte und Bürger_innenrechte verteidigt.
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„Abgesang an die Dritte Republik! Ein offener Brief an die Linke“
Nachstehend geben wir einen Brief der Zeitschrift „Theoretische Praxis“ wieder, der von zahlreichen Aktivist_innen verschiedener Parteien, Organisationen und Bewegungen in Polen unterzeichnet wurde. Die polnische Version und die Liste der Unterzeichneten finden sich hier.
Ein Schreckgespenst um in den Straßen – das Schreckgespenst einer weiteren Republik. All die Kräfte der alten Dritten Republik sind in einem Heiligen Krieg zugange, um die alte Ordnung zu verteidigen. Dieses Schreckgespenst führt uns jedoch über die Alternativen der alten Ordnung und des schleichenden Autoritarismus hinaus, der versucht, diese zu stürzen. Die alte Ordnung der vergangenen 28 Jahre hat die Demokratisierung des öffentlichen Lebens, jegliche Alternative zu neoliberaler Wirtschaftspolitik oder die Infragestellung der parasitären politischen und unternehmerischen Elite erfolgreich verhindert. Wir appellieren an die Linke, die immer wieder von dieser Alternative ausgegrenzt wurde, dieses Schreckgespenst nicht zu exorzieren, sondern es zum Leben zu erwecken.
Wir empfinden die rapide Aneignung des Staates und die Demontage der Institutionen liberaler Demokratie als äußerst verstörend. Der aktuelle Personalwechsel an den Gerichten, der ausschließlich den Interessen der regierenden Partei dienen soll, nicht jenen der Bürger_innen, wie die PiS behauptet, hat zurecht eine Welle von Protesten ausgelöst. Unserer Ansicht nach bestätigt die Leichtigkeit, mit der die Dritte Republik zusammengebrochen ist, die Diagnose, dass der politische und wirtschaftliche Wandel in Polen auf einer extrem schwachen sozialen Grundlage stattgefunden hat. Demzufolge ist jede Rechtfertigung des Status quo unter diesen Umständen nicht nur gefährlich, sondern vor allem unmöglich.
Die diskreditierten Politiker_innen der gegenwärtigen Opposition werden von einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung mit ihrer antisozialen Politik, ihrem überheblichen und elitären Tonfall und einem fehlenden Programm in Verbindung gebracht, das vermocht hätte, das Leben der Bevölkerungsmehrheit zu verbessern. Es sind äußerst schwache Verteidiger_innen der Demokratie. Demokratie ist nicht nur eine Ansammlung abstrakter Werte, freier Wahlen, einer pluralistischen Medienlandschaft und fairer Gerichte, in erster Linie umfasst sie tatsächliche soziale Inklusion und einen leistungsfähigen Staat, mit dem sich die Bürger_innen identifizieren können und in dem sie das Gefühl haben, von den Politiker_innen vertreten zu werden. Im Laufe der vergangenen 28 Jahre war die Dritte Republik nicht imstande, dies zu leisten.
Die Dritte Republik hat ihre Versprechen, die sie zum Ende der polnischen Volksrepublik gab, nicht eingehalten. Die Ideale der Solidarność-Bewegung und die Forderungen vom August 1980 fanden keinen Niederschlag in den Schocktherapie-Reformen, die ein Programm wilder Privatisierungen und die Deregulierung des Arbeitsmarktes mit sich brachten. Da die Dritte Republik ihre Versprechen nicht eingelöst hat, ist es an der Zeit, ihr Lebwohl zu sagen und die Notwendigkeit einer neuen Republik zu verkünden. Wenn wir dazu beitragen, die alte Ordnung zu verteidigen, dann wird es Jarosław Kaczyński (Führer der regierenden Partei für Recht und Gerechtigkeit – PiS) sein, der sie für uns errichten wird.
Es ist nicht möglich, demokratische Werte wirksam zu verteidigen, ohne die Unterstützung zumindest eines kleinen Teils der Wähler_innenschaft zu gewinnen, der desillusioniert von der Dritten Republik ist. So gaben also die Menschen bei der letzten Wahl ihre Stimme entweder der PiS, ließen sich von der radikalen Rhetorik des populistischen Politikers Paweł ködern oder gingen einfach nicht zur Wahl. Die regierende Partei legt es darauf an, die polnische Gesellschaft in eine „Elite“ und in das „Volk“ zu spalten. Aus diesem Grund nimmt sie Richter_innen, Künstler_innen oder oppositionelle Politiker_innen ins Visier und setzt gleichzeitig einige bedeutende Sozialreformen um, von denen der Großteil der Bevölkerung profitiert. Das aktuelle Narrativ der liberalen Opposition – die Dämonisierung der PiS-Wähler_innen, die beschuldigt werden, von der regierenden Partei „bestochen“ worden zu sein – sagt sich nicht vom PiS-Narrativ los und kehrt die Rolle von „Gut“ und „Böse“ in der Gesellschaft lediglich ins Gegenteil um. Ein solcher Versuch schließt die Möglichkeit aus, jene von den demokratischen Projekten zu überzeugen, die die Sozialprogramme der Regierung begrüßt haben, etwa im Bereich Kindergeld, Mindestlohn und Senkung des Rentenalters. Ehe die Elite anfängt, gewöhnliche Menschen zu beschuldigen, sie hätten sich für das neue Kindergeld der Regierung verkauft, fragen wir sie, weshalb sie diese Menschen für ihre eigenen Privilegien verraten hat. Wir alle zahlen nun für 28 Jahre an Privilegien der Elite.
Wir wenden uns an die linken Kreise, da wir glauben, dass es nur möglich ist, die Demokratie in ihrem weitesten Sinn zu verteidigen – was den Idealen der Linken am nächsten steht. Wir sprechen hier von einer Formel, die jene Ungerechtigkeiten mitberücksichtigt, auf denen die Dritte Republik aufgebaut wurde. Dafür muss die Linke mit ihrer eigenen Stimme sprechen und sich deutlich von den Liberalen abgrenzen. Sie darf auch keine Angst haben, die alte Ordnung zu kritisieren oder eigene Lösungen vorzuschlagen. Es reicht nicht, mit den Vertretern der Elite zu demonstrieren. In einem solchen Szenario wird das Schreckgespenst der Veränderung von den Medien und dem Establishment überschattet sein, und die Opposition wird weiterhin von den neoliberalen Tiraden dominiert werden, oder von sexistischen Witzen durch Politiker des liberalen Lagers, die bestrebt sind, die Linke zu schwächen.
Die aktuelle Lage in den Gerichten ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Verzögerung von Reformen bei vielen Bürger_innen das Gefühl erzeugt hat, nicht in einem Staat zu leben, dessen Rechtssystem die Interessen der Schwachen vertritt. Die regierende Partei bietet eine Rhetorik auf, die „den Staat den Menschen zurückgeben“ will, während sie ihn tatsächlich ihren eigenen Interessen entsprechend reformiert. Trotzdem sollte die Linke das Thema der Reform der Gerichte nicht umgehen, sondern vielmehr ihre eigene Vision einer Umsetzung präsentieren.
Wir haben uns entschlossen, diesen Brief zu unterzeichnen, da wir der Ansicht sind, dass die Linke in der kommenden Periode bei der Schaffung einer Alternative zur alten Ordnung wieder eine Rolle spielen wird. Rechtsgerichteter Autoritarismus wird von der liberalen Opposition zehren, und ihr Widerstand wird die Unterstützung für die Regierung stärken. Nur die Linke kann diesen geschlossenen Kreis aufbrechen und sollte sich – während sie opportunistische politische Kalkulationen vermeidet – von politischen Parteien und sozialen Bewegungen in anderen Ländern inspirieren lassen, die es gewagt haben, eine andere Art von Politik für möglich zu erklären. Wir sind inspiriert von der großen Zahl junger Menschen bei den jüngsten Demonstrationen zur Verteidigung der Gerichte. Sie zeigen nicht viel Vertrauen in die alte politische Elite. Die Rolle der Linken sollte darin bestehen, diese junge Generation davon zu überzeugen, dass das Überleben der Demokratie von ihnen abhängt und davon, ob sie im Interesse der Gesamtgesellschaft agieren. Sie sollten sich bewusst machen, dass es möglich ist, einen Staat zu erschaffen, der nicht auf Klassenhass und Diskriminierung von Frauen und Minderheiten beruht, und der nicht den Millionär_innen, der Kirche und den privilegierten Kasten dient. Wir sollten ihnen – ungeachtet unserer Gegensätze – gemeinsam zu verstehen geben, dass eine andere Republik möglich ist.