„Wie lange soll der Einsatz dauern? Was sind die konkreten Aufgaben? Was sind die Ziele des Kampfes? Wann sind sie erreicht? Wann ist der Einsatz abgeschlossen?“ Diese Fragen stellte der Vorsitzende der PDS-Fraktion, Roland Claus, im November 2001 im Deutschen Bundestag als Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) gemeinsam mit seinem Außenminister Joseph Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) die Beteiligung der Bundeswehr am Krieg in Afghanistan beantragte.
Es waren die richtigen Fragen wie wir heute – zwanzig Jahre später – wissen. Antworten gab es damals darauf nicht. Eine Mehrheit der anderen Parteien aus Regierung und Opposition beschloss stattdessen die Teilnahme Deutschlands am sogenannten „Krieg gegen den Terror“ von George W. Bush.
Auch die PDS hatte kurz nach den Terroranschlägen in New York City und Washington D.C. zur großen Demonstration „Keine Macht dem Terror – Solidarität mit den Vereinigten Staaten“ mit aufgerufen. Aber sie warnte eben darüber hinaus, dass Krieg die falsche Antwort auf die furchtbaren Verbrechen wäre, weil er immer auch Unschuldige träfe und die Gefahr in sich trüge, zu noch mehr Radikalisierung beizutragen.
Wenn damals – 2001 – klar gewesen wäre, dass der Bundeswehr-Einsatz fast zwanzig Jahre lang dauern würde, 150.000 deutsche Soldatinnen und Soldaten an den Hindukusch fliegen würden, dass 59 Soldaten dort ihr Leben lassen würden und Unzählige an Körper und Seele verletzt würden: niemals hätte es dafür im Bundestag eine Mehrheit gegeben. In der Bevölkerung gab es sie ohnehin nie. Und schon gar nicht wäre das der Fall gewesen, wenn man geahnt hätte, dass am Ende die Taliban wieder an der Macht sind und erneut ihr islamistisches Emirat ausrufen konnten.
Der Präsident der Vereinigten Staaten, Joe Biden, sagte jetzt nach der Niederlage:
„Wir sind vor fast 20 Jahren mit klaren Zielen nach Afghanistan gereist: Wir holen diejenigen, die uns am 11. September 2001 angegriffen haben – und stellen sicher, dass Al-Qaida Afghanistan nicht als Basis benutzen kann, um uns erneut anzugreifen. Das haben wir getan […] – vor einem Jahrzehnt. Unsere Mission sollte nie ‚nation building‘ sein.“
Das klang damals in Deutschland, aber auch in Afghanistan selbst allerdings ganz anders. Für Freiheit, Menschenrechte und Demokratie, für Frauenrechte und Bildung für Mädchen zu kämpfen, das sind Ziele, die lohnend erscheinen.
Offenbar hat die US-Regierung die Öffentlichkeit und ihre Verbündeten angelogen. Das ist von der Washington Post im Dezember 2019 in den „Afghanistan Papers“ sogar nachgewiesen worden. Keiner der in einer internen Untersuchung des Pentagon befragten Generäle glaubte an einen positiven Verlauf des Kriegs oder gar einen Sieg. Öffentlich sagten sie jedoch das Gegenteil. Als ich Außenminister Heiko Maas damals im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages damit konfrontierte, entgegnete er mir, er würde die „Afghanistan Papers“ nicht kennen.
In Deutschland vertrat nur die PDS und später DIE LINKE einhellig die Position, dass der Bundeswehr-Einsatz ein Fehler und zu beenden sei. Im September 2009 befahl ein deutscher Oberst die Bombardierung eines Tanklastzugs in Kundus. Es starben über 100 Zivilistinnen und Zivilisten, darunter etliche Kinder. Als Abgeordnete der LINKEN die Namen der Getöteten im Bundestag zeigten, wurde die Fraktion dafür von der Sitzung ausgeschlossen. Auch in den anderen Parteien wuchs die Zahl der Zweiflerinnen und Zweifler, aber Jahr für Jahr wurde der Einsatz verlängert.
Dabei folgten die Regierungen aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU, CSU und FDP dem Zick-Zack-Kurs der US-Regierung ohne eine eigene Strategie. Auch eine ernsthafte Evaluation lehnten sie ab. Nicht mal an den Schutz der Menschen in Afghanistan, die mit den Deutschen zusammengearbeitet haben, wurde gedacht, dabei wurde das Thema seit Jahren auch von uns Linken immer wieder benannt.
Aber im Angesicht der Tragödie, die sich jetzt in Afghanistan abspielt, Rechthaberei zu betreiben, wäre verfehlt. Es gilt nun zunächst den Menschen zu helfen, die die Folgen dieser falschen Politik zu tragen haben. Die den Versprechungen geglaubt haben und nun dafür von den Taliban verfolgt werden. Das Mindeste, was die Weltgemeinschaft tun kann, ist es denjenigen, die das Land verlassen wollen, Schutz zu gewähren. Auch Deutschland hat durch seine Präsenz in Afghanistan Verantwortung übernommen und darf sich jetzt nicht davonstehlen.
Und dann müssen Lehren für künftiges Handeln gezogen werden. Die Politik, mit militärischen Mitteln einen „Regime Change“ herbeizuführen, ist mehrfach und nun auch in Afghanistan endgültig gescheitert. Ich bin überhaupt nicht dagegen, dass Deutschland tatsächlich mehr Verantwortung übernimmt. Es war gut, dass Bundeskanzlerin Merkel gemeinsam mit dem französischen, dem russischen und dem ukrainischen Präsidenten in Minsk versucht hat, eine friedliche Lösung für den Krieg im Osten der Ukraine zu finden. Und auch der Versuch, für das geschundene Libyen einen Ausweg zu finden, war gut und richtig. Deutschland konnte hier nur deshalb eine Vermittlerrolle einnehmen, weil die Regierung Merkel/Westerwelle dem Militäreinsatz in Libyen im UN-Sicherheitsrat im Jahr 2011 eben nicht zugestimmt hat und sich daran auch nicht direkt beteiligt hat. Mehr Verantwortung bedeutet nicht mehr Soldatinnen und Soldaten!
Ich bleibe dabei: Nicht jeder Einsatz der Bundeswehr im Ausland ist eine Kriegsbeteiligung und wir müssen die Debatte darum in jedem Einzelfall ergebnisoffen führen. Und nicht all unsere Positionen zum Thema Afghanistan waren immer konsistent. Zu Recht warnten unser damaliger Vizefraktionsvorsitzender Bodo Ramelow, der heutige Ministerpräsident von Thüringen, und andere im Jahr 2009, dass ein sofortiger Abzug der Bundeswehr genau das nach sich ziehen könnte, was wir jetzt erleben und ernteten damit heftigen Widerspruch aus den eigenen Reihen.
Aber in der Ablehnung des Kriegs in Afghanistan waren wir uns immer einig. Wir bleiben dabei:
Der Kampf gegen den Terror kann gewonnen werden, ein Krieg dagegen allerdings nicht.