Die politische Linke gibt es in verschiedenen historischen Ausprägungen seit über zwei Jahrhunderten. Immer ist es ihr Wesen gewesen, die Interessen der Unterprivilegierten zu artikulieren und die Werte des universellen Humanismus durch sozialen Fortschritt zu heben.
Die Linke hat sich immer dann degenerativ verändert, wenn sie statt eines rationalen Projekts für eine bessere Welt nur eine Mischung aus sozialem Hass und Autoritarismus angeboten hat.
Einen besonderen Platz in der Krise der Linken nimmt die historische Niederlage des Sozialismusversuchs auf der Grundlage der Russischen Revolution von 1917 ein.
Modernisierung des Projekts der Linken statt Flucht in die Nostalgie
In der Krise kann sich die Linke in Nostalgie nach utopischen Traditionen und Moralismen flüchten. Anders als die Religion ist die Politik jedoch die Kunst des Möglichen und ihre Praxis braucht heuristische Inhalte. Daher kann nur die Modernisierung dieses rationalen Projekts der politischen Linken einen Nutzen als politische Dienstleistung für die linke Klientel bringen. Eine ausbleibende Modernisierung führt zwangsläufig zu einer weiteren Degeneration. Ein Impuls für die Modernisierung war in Tschechien sowohl das Jahr 1968 als auch das Jahr 1989. Diese Impulse verlängerten objektiv unsere Lebensspanne, aber leider sind sie wieder in Stagnation umgeschlagen.
Krise der Linken: Transformation und Illusionierung
Die Krise der politischen Linken zeigt sich heute in der Schwächung, ja sogar im Verlust ihrer parlamentarischen Vertretung. Das Jahr 1989 brachte die Degeneration der kommunistischen Linken ans Licht, aber es stellte auch die reformistische Linke vor schwierige Herausforderungen. Bei den ersten freien Wahlen in den Übergangssystemen des ehemaligen Sowjetblocks ging es mehr um einen Bruch mit der Vergangenheit als um ein Rechts-Links-Duell. Und obwohl sich die Mehrheit der Bevölkerung zu den Werten der Solidarität und der sozialen Sicherheit bekennt, sind deren Garanten nach und nach nicht mehr die traditionellen Parteien (die Kommunist:innen und die Sozialdemokrat:innen). Trotz der Dominanz sozialer Werte ist die Gesellschaft auch mehrheitlich pro-kapitalistisch.
Nach einer Phase der enthusiastischen Transformation folgte Ende der 1990er Jahre eine logische Phase der Desillusionierung, die auch eine neue Chance für die politische Linke brachte. Bei den Wahlen 2002 in der Tschechischen Republik erreichten die ČSSD und die KSČM zusammen eine Mehrheit der Sitze im Parlament. Gleichzeitig blockierten jedoch gegenseitige Animositäten die Einigung der linken Parteien. Die Vorsitzenden der Parteien, Špidla und Grebeníček, konnten keinen Weg zueinander finden. Leider war das Verhältnis zwischen der radikalen und der reformistischen Linken durch ein historisches Schisma belastet. Die linke Mehrheit wurde nur bei einigen Abstimmungen am Ende der Wahlperiode genutzt. Letztendlich hat die tschechische Linke das Jahr 1989 nicht genutzt, um wieder aufzuerstehen.
Der Anteil der Sitze der Linken im tschechischen Parlament begann dann allmählich zu sinken. Im Jahr 2017 waren es nur noch 15%, und bei den Wahlen 2021 ist die Linke ganz aus dem tschechischen Parlament ausgeschieden.
Raus aus dem nationalen Schneckenhaus
Diese Situation führte zu einer Abwehrhaltung, in Teilen der alten Linken und einem Rückzug zu ideologischen Ritualen. Die Niederlage führte auch zu Skepsis gegenüber der mobilisierenden Rolle linker Werte, die Konservativen in der Linken lebten auf. Unter dem Druck der objektiven Globalisierung der Zivilisation nimmt die Tendenz zum Rückzug in ein nationales Schneckenhaus zu, insbesondere in den Reihen der alternden Linken.
Kultureller Progressivismus oder Neomarxismus ist unter Dogmatiker:innen und Nationalist:innen im Grunde genommen zu einem Schimpfwort geworden.
Was die Sozialdemokratie anbelangt, so verlor ihre Politik des Wohlfahrtsstaates an Wirksamkeit und Attraktivität. Die Politik der kleinen sozialen Zugeständnisse wurde von den Populist:innen übernommen, und der Linken begann ein neues Projekt zu fehlen.
Es kann irreführend sein, dass Proteststimmen zum Rechtsextremismus tendieren und dass die traditionelle Wähler:innenschaft der Linken, vor allem in Osteuropa, alt ist und daher scheinbar konservativ.
Aber es ist ein Widerspruch in sich, jeglichen Fortschritt oder Avantgarde aus konservativen Prämissen und durch die Rückkehr zu überholten Traditionen organisieren zu wollen.
Außerdem fühlten sich die liberaleren jüngeren Wähler:innen in Tschechien zunächst mehr zu den Grünen hingezogen und nach deren Diskreditierung und Ausscheiden aus dem Parlament zu den Piraten (Tschechische Piratenpartei – liberal-progressiv orientiert). Der konservative Kurs der Linken hat dazu geführt, sie völlig von der jüngeren Generation abzukoppeln. Trotzdem hat sich der Streit über diesen Kurs fortgesetzt und unter dem Einfluss der Ereignisse in der Ukraine und dem geopolitischen Druck Russlands noch verschärft.
Oxymoron Konservative Linke
Eine gewisse Analogie zu dieser Situation bietet schon der Text des Kommunistischen Manifests von 1848, in dem Marx und Engels reaktionäre Tendenzen als paternalistischen oder konservativen Sozialismus beschreiben. Darin besprenkeln bigotte Ewiggestrige den sozialen Fortschritt mit Weihwasser und impfen den Armen den nationalen Egoismus ein. Auch heute halten manche den Progressivismus für eine elitäre Verirrung und scheuen sich nicht, alte Tabus zu rehabilitieren. Sie sehen im Populismus eine Garantie für das Plebejertum. Da die Unsicherheit unter den Menschen zunimmt, bedienen sie sich irrationaler Instinkte, einschließlich Feindlichkeit gegenüber Menschen, die anders sind. Leider öffnet sich heute auch innerhalb der Linken die Kluft zwischen den so genannten „slunickari“ (analog zum deutschen „Gutmenschen“) und den Fremdenhassern. Dieses Problem betrifft sowohl die reformistische als auch die radikale Linke.
Die Mobilisierung der Protestwähler:innen ist taktisch verständlich, aber sie darf nicht auf Kosten der programmatischen Identität gehen. Die extreme Rechte ist ideologisch toxisch. Die Anpassung an hasserfüllte Fremdenfeindlichkeit, die Entschuldigung des Imperialismus und Kolonialismus, wenn er nicht aus dem Westen, sondern aus dem Osten kommt, Fortschrittsfeindlichkeit und kulturelle Intoleranz, ist unvereinbar mit den Werten der Linken und verstärkt nur das Misstrauen und provoziert Spaltungsprozesse.
Der Verrat an den grundlegenden Wertvorstellungen durch ein Bündnis mit toxischen Figuren der ultrarechten Szene würde die unumgängliche Zusammenarbeit der Linken blockieren. Die Vorstellung, dass J.L. Melenchon in Frankreich M. Le Pen die Hand reicht, um die verhassten Zentrumsliberalen in die Zange zu nehmen, ist wahnsinnig. Traditionalist:innen auf der Linken mögen zu Recht auf die Notwendigkeit einer Hierarchie der Themen hinweisen. In der Tat sind einige kulturelle Themen für die soziale Basis der Linken schwieriger zu verstehen. Das bedeutet aber nicht, dass die kulturelle Linke mit faschistoiden Gruppierungen verraten werden muss. Erleuchtete Autoritaristen und Massenhypnotiseure sind nicht der richtige Weg, um die Linke aufzuwecken.
Ein Fuß in der Tür der linken Zukunft
Die Krise der Linken erfordert eine stärkere Betonung der Synergie von linken Kräften. Die Fähigkeit, miteinander zu kommunizieren und Debatten zu moderieren, wird entscheidend sein. Ob sich die Linke für ein lockereres Bündnismodell oder eine engere institutionelle Zusammenarbeit entscheidet, hängt von den lokalen Bedingungen ab. Es gibt die Erfahrung der polnischen Linken, ebenso wie die der portugiesischen oder spanischen Linken. Wenn dies gelingt, kann die plebejische Basis mit dem kreativen und emanzipatorischen Potenzial der Avantgarde verbunden werden. Vor allem die junge Generation muss dann den Fuß in die sich schließende Tür der linken Zukunft stellen. Es ist unwahrscheinlich, dass die alte Linke neue Impulse bringen wird. Wenn sie verantwortungsbewusst ist, wird sie in der Lage sein, ihre Erfahrungen weiterzugeben und den linken Millennials und der aufkommenden Generation Z mehr Raum zu geben.