Ist es möglich, aus einer Niederlage siegreich hervorzugehen?

Als am 24. April 2022 nach und nach die Ergebnisse der slowenischen Parlamentswahlen bekannt wurden, schienen die Unterstützer*innen der führenden Linkspartei des Landes, Levica (slowenisch für „Die Linke“), vor einer Katastrophe zu stehen. Zunächst schien die Partei sogar an der Vier-Prozent-Hürde für den Einzug ins Parlament zu scheitern – obwohl ihr in den Umfragen vor der Wahl ein Ergebnis von bis zu 12 Prozent prognostiziert wurde.

Auch als sich später in der Nacht herausstellte, dass Levica die Hürde mit 4,46 Prozent – etwa der Hälfte des Ergebnisses von vor vier Jahren – knapp überwunden hatte, kam nicht wirklich Feierstimmung auf. Für einige schien Ministerpräsident Janez Janša, ein enger Verbündeter des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, der wahre Sieger zu sein, auch wenn dieser nicht für eine weitere Amtszeit zurückkehren würde. Doch jetzt, da sich der Staub gelegt hat, findet sich die slowenische Linke plötzlich in einer überraschend starken Position wieder und hat in der neuen Regierungskoalition des Landes mehrere Schlüsselpositionen übernommen. Wie kommt das?

Bei näherer Betrachtung der slowenischen Politik ist dieser Teufelskreis zwischen der Regierung von Janša und verschiedenen „neuen Gesichtern“ nun schon seit Jahren zu beobachten. Das läuft etwa so ab: Janša wird zum Ministerpräsidenten gewählt, aber schon bald verliert er die Gunst der Öffentlichkeit. Dann beginnen die liberalen Parteien mit einer Mobilisierung rund um das, was etwas hochtrabend als „Antijanšismus“ bezeichnet wird. Anschließend kanalisiert sich der Fokus der Opposition darauf, liberale Tugenden zu signalisieren, die sich gegen die autoritären Tendenzen und die moralische Unanständigkeit der Regierung richten und eine romantische Vorstellung von einer national-ethischen Wiedergeburt propagieren, während im Stillen die neoliberale Politik, technokratische Maßnahmen und einwanderungsfeindliche Mechanismen weiter vorangetrieben werden.

Diese besondere slowenische Strömung des Liberalismus steht in einer parasitären Beziehung zu der historisch starken antikollaborativen Haltung des Landes und dem immer noch lebendigen jugoslawischen Partisan*innenerbe. Die liberalen Eliten tragen den roten Stern und organisieren Kundgebungen, bei denen sie die alten kommunistischen Parolen „reinwaschen“. Um den Ressentiments der Bevölkerung gegen die politischen Eliten Genüge zu tun, tauchen politische Unternehmer*innen ohne jede nennenswerte Erfahrung auf und präsentieren sich als Lösung gegen die Korruption und als Vermittler*innen für die gespaltene Nation. Sie werden gewählt, aber dann enttäuscht ihre Regierung schnell oder fällt gar auseinander – und so ist früher oder später wieder die Zeit für Janša gekommen.

Den Teufelskreis durchbrechen

Bereits seit geraumer Zeit liegt die einzige Hoffnung, diesen Teufelskreis zu durchbrechen, bei Levica. Sie ist die einzige Partei, die soziale Sicherheit, Löhne, Arbeitnehmer*innenrechte, die akute Wohnungskrise und die imperialistische Politik der NATO anspricht und diese Themen in die Arena der parlamentarischen Politik holt.

Derzeit haben vor allem viele junge Menschen in Slowenien mit den Folgen des postsozialistischen Übergangs zu kämpfen, der sich rasant beschleunigt: Die Mieten sind in die Höhe geschossen und der Kauf einer Wohnung ist für Durchschnittsbürger*innen vollkommen unerschwinglich geworden, während zugleich prekäre Arbeitsverhältnisse weit verbreitet sind. Das steht in einem starken Kontrast zu den Erfahrungen der Generation ihrer Eltern, die von einem schrittweisen Übergang und der Entstaatlichungspolitik Sloweniens profitierten, was es ihnen ermöglichte, Eigentum zu erwerben, in einer festen Anstellung zu arbeiten und somit ein bürgerliches Leben zu führen.

Angesichts dieser Situation hofften viele Linke zu Recht, dass die Wähler*innen Levica die Möglichkeit geben würden, ihr Programm einen Schritt voranzubringen. Doch stattdessen gewann wieder ein „neues Gesicht“, diesmal mit 41 Parlamentssitzen – ein neuer Rekord.

Das Gesicht ist nun das von Robert Golob, einem erfolgreichen Manager des staatlichen Energieunternehmens GEN-I. Als Kandidat der neugegründeten Freiheitsbewegung verkörpert Golob in vielerlei Hinsicht das Image eines modernen Geschäftsführers, der seine Angestellten mit inspirierender, aber leerer Rhetorik dazu motivieren kann, noch härter und noch länger zu arbeiten. Die Partei wird von einer Vielzahl sozialer Gruppen unterstützt, die kein gemeinsamer Klassenhintergrund, sondern eine vage Vorstellung von Veränderung, Wiedergeburt und vor allem Antijanšismus verbindet.

Der neuen Regierung unter der Führung der Freiheitsbewegung gehören auch die slowenischen Sozialdemokrat*innen und – ein wenig überraschend – Levica an. Die Regierungsbeteiligung von Levica ist wahrscheinlich auf zwei Gründe zurückzuführen, von denen einer ideologischer und einer machiavellistischer Natur ist.

Das Unternehmen von Robert Golob fördert den Einsatz grüner Technologien und er selbst stammt aus einer Küstenregion, in der antifaschistische und linke Ansichten noch heute stark sind, was auf die historische Erfahrung mit der italienischen Besatzung zurückzuführen ist. Hinzu kommt, dass Golobs geschäftliche Einstellung ausgesprochen kollektivistisch ist: So ermutigt er Arbeitnehmer*innen, sich in einer Weise an Managementprozessen zu beteiligen, die an linke Vorstellungen von kollektivem Management erinnert.

Pragmatisch gesehen sind die Sozialdemokrat*innen tief in den staatlichen und lokalen Institutionen verwurzelt. Sie befehligen ein mächtiges Netzwerk und sind vor allem für ihren Machthunger und weniger für ihre Politik als solche bekannt. Dass neben ihnen auch Levica an der Regierung beteiligt ist, verschafft Golob mehr Möglichkeiten, ihren Einfluss auf die Koalition zu kontrollieren.

So wurden Levica drei wichtige Ministerien zugesprochen: das neugeschaffene „Ministerium für eine solidarische Zukunft“, das Kultur- und das Familienministerium – wobei die beiden letzteren in den anhaltenden slowenischen Kulturkämpfen zentrale Brennpunkte sind. Kritische Stimmen machen sich über das neue Ministerium lustig, weil sein Name nach einer typisch neoliberalen Formulierung klingt. Memes im Internet ziehen Vergleiche zu Ministerien in klassischen Fantasy-Romanen oder bei Harry Potter. Doch abgesehen von ihrem fragwürdigen Namen wird diese Institution vor allem die Aufgabe haben, die Grundlagen für einen Marktsozialismus zu schaffen. Sie soll den rechtlichen Rahmen für die Beteiligung von Arbeitnehmer*innen an Unternehmen festlegen und eine neue Form von dem umsetzen, was in der Region als „Selbstverwaltung“ bekannt ist und an die Erfahrungen der Selbstverwaltung der Arbeitnehmer*innen im sozialistischen Jugoslawien anknüpft.

Auch wenn das Konzept fest in einem kapitalistischen Rahmen verankert bleibt, ist diese Selbstverwaltung in mancherlei Hinsicht demokratischer als ihre Vorgängerin aus dem zwanzigsten Jahrhundert. So war im sozialistischen Jugoslawien immer noch der Staat Hauptarbeitgeber und somit auch Manager in letzter Instanz. Die Bezeichnung des früheren Staates als „sozialistisch“ und der neuen (eng mit Levica verbundenen) Idee als nichtsozialistisch ist eine Frage der Perspektive. Fakt ist jedoch, dass die Unternehmen in Jugoslawien dennoch auf dem Weltmarkt im Wettbewerb antraten und die Arbeitnehmer*innen nicht unabhängig über das Produkt ihrer Arbeit entscheiden konnten. Doch wie dem auch sei: Jede Art von Selbstverwaltung ist eng mit der jugoslawischen Vergangenheit verknüpft, weshalb die slowenische Bevölkerung wahrscheinlich offener dafür ist als das restliche Europa.

Ein weiteres wesentliches Anliegen ist der Bau von Tausenden von Sozialwohnungen, die in Slowenien dringend benötigt werden. Das Ministerium wird Luka Mesec unterstehen, dem Landeskoordinator und bekanntesten Vertreter von Levica, einem Intellektuellen, der mit Theorien der Selbstverwaltung vertraut ist und mehreren progressiven Denkfabriken im Land nahesteht. Er wird die Möglichkeit haben, etwas Neues zu etablieren, was hoffentlich ein Beispiel für den Rest der EU-Länder sein wird.

Aus einer schwierigen Situation das Beste machen

Dieses Arrangement ist freilich mehr, als Levica angesichts der schlechten Wahlergebnisse und der anhaltenden Dominanz neoliberaler Ideen erhoffen konnte. Andererseits hat sie damit den Zorn einiger ihrer orthodoxen marxistischen und kommunistischen Anhänger*innen auf sich gezogen, die mit einer aus ihrer Sicht kapitalistischen Regierung keine Kompromisse eingehen wollen.

Was Slowenien gerade erlebt, ist vielleicht ein Moment des historischen Wandels, der bald auch andere entwickelte kapitalistische Volkswirtschaften ereilen könnte. Robert Golob gehört einer neuen Generation von kapitalistischen Manager*innen an, die erkannt haben, dass der Kapitalismus angesichts der endlichen natürlichen Ressourcen, des Klimawandels, des Aufstiegs von China und der Gefahr von Unruhen in der Bevölkerung infolge von Knappheit und Prekarisierung nicht so weitermachen kann wie bisher, wenn er überleben will. Es hat den Anschein, dass ein großer Teil seines Regierungsprogramms, insbesondere die Wirtschafts- und Sozialpolitik, von Levica übernommen wurde, was bedeutet, dass die Partei bei der Transformation Sloweniens eine wichtige und beispiellose Rolle spielen wird.

Ein weiterer, komplementärer und eher zufälliger Grund könnte auch sein, dass der Raum im Mitte-Links- und im liberalen Spektrum durch die bereits erwähnte Polarisierung und den Aufstieg der Rechten derart entleert wurde, dass er im Zusammenspiel mit den ideologischen Überzeugungen Golobs mehr Raum für Levica bietet. Dennoch bleibt die Frage, warum die Partei weniger Stimmen erhielt als erwartet. Der wichtigste Grund ist nach wie vor, dass einige ihrer Unterstützer*innen zu Golobs Partei der Freiheitsbewegung übergelaufen sind, was wiederum das Ergebnis einer taktischen Abstimmung gegen Janša war. Doch gibt es noch weitere Faktoren, die eine Rolle spielen.

Levica weist eine Reihe interner Widersprüche auf: Einige ihrer Mitglieder sind eher sozialdemokratisch und reformistisch orientiert, während andere zu einer traditionellen kommunistischen Einstellung tendieren. Letztere urteilten teils hart über Slowen*innen, die einer allgemeinen Impfpflicht skeptisch gegenüberstanden, was einige Wähler*innen abgeschreckt haben dürfte. Die Menschen in Slowenien standen der Darstellung der Pandemie durch die Regierung äußerst kritisch gegenüber und es gab viel Empörung und Protest in der Bevölkerung.

Zudem weigerte sich Levica, Waffenlieferungen an die Ukraine zu unterstützen, und verteidigte angesichts des Krieges die Notwendigkeit einer friedlichen Lösung. Auch das könnte die Partei einige Stimmen gekostet haben, wenngleich Eurostat-Umfragen zeigen, dass die Slowen*innen in der EU gegenüber westlichen Narrativen über die russische Invasion in der Ukraine die skeptischste Haltung vertreten (was wohl wiederum ein Erbe der antiimperialistischen Traditionen Jugoslawiens und der Bewegung der Blockfreien Staaten ist).

Die Identitätskrise der Linken lösen

So bedeutend diese Probleme auch sind, sie wären durchaus zu bewältigen, wenn die Partei in der Lage wäre, auch die Bevölkerung außerhalb der Städte anzusprechen – oder wenigstens die Bewohner*innen der Städte jenseits der Hauptstadt. Levica leidet darunter, dass sie bei der Mehrheit der Bevölkerung in einem gewissen „salonbolschewistischen“ Ruf steht und oft mit der kulturellen Elite von Ljubljana in Verbindung gebracht wird.

So fand beispielsweise die live im Fernsehen übertragene Wahlparty von Levica in einer Bar namens Pritličje im Zentrum von Ljubljana statt – direkt neben dem Büro von Bürgermeister Zoran Janković, einem liberalen Politiker und ehemaligen Manager, der seit Jahrzehnten in Korruptionsskandale verwickelt ist. Zwar ist der Besitzer der Bar für seinen moralisierenden linksliberalen Aktivismus bekannt, doch hat er sich nie zu der eklatanten Korruptionsgeschichte des Bürgermeisters geäußert, der seinerseits dafür bekannt ist, seinen politischen Verbündeten Räume in Ljubljanas gentrifizierter Innenstadt zuzuspielen.

Seit Levica im Jahr 2017 von einem Wahlbündnis zu einer Partei wurde, hat sie damit zu kämpfen, ihre eigene Identität zu finden. Mesec zum Beispiel stammt aus der Arbeiter*innenklasse, wird aber von Teilen der Wähler*innenschaft irrtümlicherweise einer privilegierten Klasse von Akteur*innen eines Staates im Staat (Deep State) zugeordnet. Auch wenn er längst kein radikaler Kommunist, sondern eher eine Art Linkskeynesianer ist, hat seine Rhetorik von einer „Verstaatlichung“ während des Wahlkampfes einige Leute verschreckt. Neben Mesec neigt der Levica-Abgeordnete Miha Kordiš dazu, eine traditionelle leninistische Rhetorik zu fetischisieren, was es natürlich schwierig macht, ein Mainstream-Publikum zu erreichen.

Zudem ist die Tendenz der Partei problematisch, die tief verwurzelten antikatholischen Einstellungen im Land zu vernachlässigen, was nun von neuen woken politischen Trends begleitet wird. Im Allgemeinen ist Levica für diese Bigotterie weit weniger empfänglich als die meisten Liberalen, distanziert sich aber oft nicht ausdrücklich davon. So kommt es, dass sich viele ländliche und katholische Sympathisant*innen nicht mit der Partei identifizieren können, selbst wenn sie viele ihrer Werte teilen. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass es in Slowenien vor und während des Zweiten Weltkriegs eine starke christlich-sozialistische Bewegung gab, die im kollektiven Gedächtnis nachträglich unterdrückt wurde. Tatsächlich weisen die traditionellen slowenischen Gesellschaftsformen starke kommunitäre Tendenzen auf, die sich Rechte gern zunutze machen.

Außerhalb der Kulturszene der Hauptstadt ist Levica so gut wie nicht präsent. Die Partei hat keine klare Vorstellung, wie sie auf die Bevölkerung in den Kleinstädten und Dörfern oder selbst in den Vorstädten und im Sozialismus entstandenen multikulturellen Arbeiter*innenvierteln zugehen soll. Folglich hat Levica zwar viele Anhänger*innen in der Innenstadt von Ljubljana, aber viele potenzielle (aber immer noch skeptische) Wähler*innen auf den Basketballplätzen und in den einfachen Wohnungen in den Stadtteilen Moste oder Fužine wenden sich dann doch den Sozialdemokrat*innen zu – und damit einer Partei, die sich auf die kapitalistische Klasse bezieht.

Weil ihr eine klare politische und praktische Ausrichtung fehlt, was sogar unter ihren eigenen Anhänger*innen gelegentlich Verwirrung stiftet, büßt die Partei einen Großteil ihres Potenzials ein. Lokale Parteikomitees engagieren sich zwar teils in den Gemeinden, aber viele Menschen auf lokaler Ebene haben den Eindruck, dass die Führung kein großes Interesse an ihnen hat. In diesem Sinne könnte Levica von etwas Selbstreflexion und Neuausrichtung profitieren – wenngleich das Problem, die Arbeit im Parlament und die Mobilisierung in der Gesellschaft insgesamt miteinander in Einklang zu bringen, eines ist, mit dem sich alle linken parlamentarischen Organisationen auf der ganzen Welt konfrontiert sehen.

Die slowenische Linke befindet sich also in einer äußerst ambivalenten Position. Einerseits steht Levica viel besser da als erwartet, obwohl sie viel weniger Stimmen erhalten hat. Andererseits ist sie als Partei relativ unerfahren und steht vor einer gewaltigen Herausforderung: Sie muss ein extrem wichtiges Ministerium aufbauen und eine zutiefst reformorientierte Politik von Grund auf umsetzen. Angesichts der hohen Erwartungen der Wähler*innen werden schon kleinste Fehler zu harscher Kritik führen. Ohne eine stärkere Identität und eine Basisbewegung, die in der Lage ist, in der Bevölkerung ein tieferes Vertrauen aufzubauen, bleibt Levica politisch verwundbar und ihre Zukunft unklar. Das Risiko ist hoch – aber die Aussichten sind auch vielversprechend.

Ursprünglich veröffentlicht auf der Website der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

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