Nach der Veröffentlichung des letzten EU-Fortschrittsberichts über Albanien ist eine intensive Diskussion über die Beitrittsaussichten des Landes ausgebrochen. Auch bei den politischen Parteien steht das Thema – unabhängig von ihrer Größe oder Ausrichtung – weit oben auf der politischen Agenda.
Zunächst gibt es die Sozialist_innen der Allianz für ein europäisches Albanien, der von Edi Rama geführten Regierungskoalition aus 37 Parteien, die 2013 zustande kam, nachdem sie 57,63% der Stimmen auf sich vereinte hatte. Die Partei geht davon aus, dass Albanien im ersten Regierungsjahr EU-Beitrittsverhandlungen aufnehmen wird. Voraussetzung dafür ist eine Vielzahl von Reformen in den Bereichen Judikative, Polizeiapparat und Staatsverwaltung, die die fehlgeleitete Politik der Vorgängerregierung korrigieren sollen. Kroatien fungiert hier als Vorbild im Beitrittsprozess.
Annäherung an Kosovo
Neben dem europäischen Integrationsprozess will Rama die wirtschaftlichen Beziehungen nach Asien ausweiten und mit China und Indien Gespräche aufnehmen. Während die Reformen laut Regierung für einen gelungenen Integrationsprozess notwendig sind, könnte die Erweiterung der Wirtschaftsbeziehungen eine Möglichkeit für eine Annäherung an die neu geschaffene Republik Kosovo sein. Die Regierung hat ein Statement veröffentlicht, in dem sie sich für eine Zusammenarbeit der beiden Länder im Integrationsprozess ausspricht, da nur so die Lebensstandards für die Menschen beider Staaten verbessert werden könnten.
Die Minderheitenfrage
Hinsichtlich der Minderheitenfrage beabsichtigt Ramas Regierung, sich an die Vorgaben der internationalen Konventionen zu halten. Dies allerdings scheint ein schwieriges Thema, das den gesamten Integrationsprozess verzögern könnte. Einer der bekanntesten Parlamentarier der Allianz, Alfred Peza, ein bekannter Journalist und Nachrichtendirektor des Fernsehsenders Vizion Plus, hat diesbezüglich letzten September klare Worte im Parlament gefunden: Der Integrationsprozess werde nicht vor 2020 abgeschlossen sein und mit Sicherheit erst dann, wenn die vollständige Integration von Frauen, nationalen und kulturellen Minderheiten sowie Homosexuellen ins Wirtschafts- und Sozialleben des Landes geglückt sei. Diese Pro-Minderheiten-Initiative wird auch von der Allianz-Partei Vereinigung für die Menschenrechte unterstützt.
Die Mitte-Rechts Opposition
Die albanische Mitte-Rechts Opposition heißt Allianz für Beschäftigung, Wohlstand und Integration und setzt sich aus 25 Parteien zusammen, die bei den letzten Wahlen gemeinsam 39,45 % erreicht haben. Diese Allianz glaubt, dass große Schritte zur Integration bereits während Berishas Administration getan wurden, etwa der Beitritt zur NATO oder die Aufhebung des Visum-Zwanges für Reisen innerhalb Europas. Der Opposition zufolge trägt die sozialistische Allianz Schuld an der Überprüfung des Integrationsprozesses, weil sie Parlamentssitzungen ferngeblieben war – dies war eine der Strategien von Edi Rama, der das Wahlergebnis von 2009 nicht anerkennen wollte und zu einer Wahlwiederholung aufgerufen hatte. Lulzim Basha, Sprecher der Opposition und Anführer der größten Allianz-Partei, der Demokratischen Partei Albaniens, betont, dass er – anders als Rama es zu Oppositionszeiten gemacht habe – alles für einen möglichst schnellen und reibungslosen Integrationsprozess tun werde. Zudem kritisiert er die amtierende Regierung massiv für die Erhöhung der Unternehmenssteuer von 10 auf 15 %, was ausländische Investoren vertrieben habe.
Die linke Opposition
Eine andere pro-europäische Kraft ist die Sozialistische Bewegung für Integration, die vom ehemaligen Premierminister Ilir Meta gegründet wurde. Sie spielt eine zentrale Rolle in der Parlamentspolitik, nachdem sie es zuerst mit der Mitte-Rechts Allianz und 2013 mit den Sozialisten in die Regierung geschafft hat. Als einzige deklariert linke Partei hat sie es trotz aller Widrigkeiten – sie war in einen Finanzskandal verwickelt – geschafft, mit 10,46 % drittstärkste Kraft zu werden. Als Koalitionspartner in den letzten beiden Regierungen sieht sich die Partei nun als Garantin für einen linearen und reibungslosen Integrationsprozess.
Abschließend noch kurz zu den außer-parlamentarischen Linksparteien. Alle von ihnen stehen hinter der pro-europäischen Haltung der Regierung, mit Ausnahme der Neuen Arbeiterpartei Albaniens. Die Nachfolgepartei der Albanischen Arbeiterpartei, die das Land von 1945 bis 1991 geführt hatte, hält als einzige an Enver Hoxhas politischem Erbe fest und bekämpft die EU und die NATO als institutionelle Vertreter ausländischer Interessen. Die Kleinpartei – sie erhielt 0,44 % – spricht sich für eine andere Form der Zusammenarbeit mit der EU aus, Konkreteres dazu ist allerdings nicht bekannt.
Nicht nur die politischen Parteien, auch die Menschen in Albanien begrüßen den europäischen Integrationsprozess. Die Zustimmung der Öffentlichkeit bleibt trotz weltweiter wirtschaftlicher Turbulenzen ungebrochen und wird von einer Hoffnung auf Erholung genährt.