In Griechenland finden am 25. Januar vorgezogene Neuwahlen statt. Die Schwesterpartei der LINKEN, das Linksbündnis SYRIZA, hat laut Umfragen gute Chancen, die Wahl für sich zu entscheiden. Sie waren in dieser Woche drei Tage in Griechenland und haben Politikerinnen und Politiker von SYRIZA getroffen. Wie schätzen diese die Situation in Griechenland ein?
Axel Troost: Sie sind sehr optimistisch und gehen auch davon aus, dass sie die Wahlen deutlich gewinnen werden. Und sie sind zuversichtlich, dass den ganzen Kampagnen, die im Augenblick gefahren werden, in den verbleibenden zwei Wochen entgegengewirkt werden kann.
Gegebenenfalls braucht SYRIZA nach einem Wahlsieg Koalitionspartner. Wer käme infrage und wie schwierig könnten sich die Verhandlungen gestalten?
Darüber will man im Augenblick gar nicht nachdenken, weil es völlig unklar ist, wie die Wahlen ausgehen. Im Extremfall ist es so, dass überhaupt keine Sozialdemokratie mehr im Parlament vertreten ist. Es gibt die Pasok und es gibt mit Papandreou eine Parteineugründung aus dem Umfeld der Pasok. Beide Parteien liegen derzeit zwischen drei und fünf Prozent. In Griechenland gibt es eine Drei-Prozent-Hürde. Es kann also sein, dass beide nicht im Parlament vertreten sind. Es wird auf jeden Fall kompliziert werden, wenn SYRIZA nicht die absolute Mehrheit hat, entsprechende Mehrheitsverhältnisse zu finden.
Gesetzt den Fall, die Regierungsbildung gelingt und SYRIZA führt die Regierung an, kommt es dann zum großen Showdown in puncto Schuldenschnitt für Griechenland?
Es wird eine komplizierte Situation, wobei es in Stufe eins, zumindest aus meiner Sicht, nicht um die Frage Schuldenschnitt geht, sondern um Anschlussfinanzierungen. Griechenland hat in diesem Jahr einen Umschuldungsbedarf in der Größenordnung von circa 22 Milliarden Euro. Die wird Griechenland nicht auf dem Kapitalmarkt erhalten, außer zu horrenden Zinsen. Deswegen muss verhandelt werden. Die Frage Schuldenschnitt wird sicherlich angesprochen und dazu wird man dann in diesem oder im nächsten Jahr eine europäische Schuldenkonferenz vorschlagen, wo dann ein Schuldenschnitt nicht nur für Griechenland, sondern auch für andere südeuropäische Länder diskutiert wird. Was aber wirklich gebraucht wird, ist die Anschlussfinanzierung, damit SYRIZA ihren "Nationalen Plan für den Wiederaufbau", und das ist der Schwerpunkt ihrer angestrebten Alternativen, auch umsetzen kann.
Geld gegen Reformen – das ist die geltende Losung der Troika. Sie haben in Athen vor allem Wirtschafts- und Finanzpolitiker von SYRIZA getroffen. Unstrittig scheint zu sein, dass es in Griechenland Missstände gab und gibt. Welche Art von Reform braucht das Land und wie unterscheidet sich das Reformprogramm der Troika von den Vorstellungen von SYRIZA?
Das ist ganz zentral und dies muss man in Deutschland und Europa wissen: SYRIZA will nicht zurück zum Jahr 2010 oder 2008. 40 Jahre Regierung von Pasok und Nea Dimokratia haben das Land heruntergewirtschaftet und zu einem System aus Korruption und Vetternwirtschaft, riesigen Steuerhinterziehungen, Schwarzarbeit und Schmuggel verkommen lassen. Die Schwarzarbeitsquote liegt bei über 40 Prozent. Alleine der Bereich Öl-, Benzin- und Tabakschmuggel führt zu Steuerhinterziehungen von fast 20 Milliarden Euro jährlich. Diese Punkte müssen angegangen werden. Und die sind in den vergangenen vier Jahren unter der Troika schlicht ignoriert worden. Die gegenwärtige Regierung hat in Absprache mit der Troika nur mit Rasenmähermethoden Personal abgebaut und Sozialausgaben gekürzt, aber für keinerlei Effizienzsteigerung im öffentlichen Dienst oder in der Steuerverwaltung gesorgt. Das will SYRIZA ändern und damit können dann die Finanzmittel für eine andere Politik als reguläre Steuereinnahmen vereinnahmt werden. SYRIZA will Schluss machen mit der Austeritätspolitik und damit, dass die Krise auf dem Rücken der Schwächsten der Gesellschaft ausgetragen wird. Das widerspricht den Kürzungsdiktaten von Merkel, Troika und Co. Und deswegen wird es Auseinandersetzungen geben.
So mancher deutscher Kritiker verunglimpft Alexis Tsipras und das Programm der Syriza. Das klingt zum Beispiel so: "Die Kreditverträge mit der EU und dem IWF für nichtig erklären, den Beamtenapparat wieder aufblähen, fröhliches Leben auf Pump, alles wieder wie früher, das ist Tspipras‘ Botschaft." Lässt sich das SYRIZA-Programm darauf reduzieren?
Nein, das lässt es nicht. Das ist eben die Unverschämtheit, insbesondere von Politikern, wenn sie von der CDU oder der SPD kommen, deren Partnerparteien diesen unhaltbaren Zustand in Griechenland herbeigeführt haben. Die Programme von SYRIZA sind ein vernünftiges zivilgesellschaftliches Projekt. Wer sich die Pläne zur Steuer- und Arbeitsmarktpolitik, zur Neuordnung der Sozialversicherung und zur Umgestaltung des Staatswesens ansieht, der wird das feststellen: Da ist vernünftige Reformpolitik und keine Revolution vorgesehen. Insofern muss man sicher auch in der deutschen Linken deutlich machen, es geht nicht darum – wie in Lateinamerika mit Chavez –, dass eine SYRIZA-Regierung große Verstaatlichungen und anderes vornimmt. Eine SYRIZA-Regierung wird sozialpolitisch und arbeitsmarktpolitisch Sofortmaßnahmen ergreifen, wird durch eine Schuldenregulierung der Klein- und mittelständigen Unternehmen die Binnenwirtschaft wiederbeleben und sie wird den Staat auf eine solide Finanzierungsbasis stellen. Dafür sollen endlich auch die Reichen und Gutverdienden herangezogen werden. Das hat es bisher nicht gegeben. SYRIZA will die seit Jahrzehnten existierende Klientelwirtschaft endlich abschaffen.
Und wie soll das konkret gelingen?
SYRIZA setzt auf ein Programm mit vier Säulen. Die erste ist die Bewältigung der humanitären Krise und die Armutsbekämpfung. Da geht es unter anderem um die Sicherung der Strom- und Gesundheitsversorgung, aber auch um Mietzuschüsse, Lebensmittelgutscheine, Sonderkarten für öffentliche Verkehrsmittel und die Erhöhung der Renten für RentnerInnen mit weniger als 430 Euro netto. Das Programm hat ein Volumen von zwei Milliarden Euro.
Die zweite Säule ist die Ankurbelung der Wirtschaft. Dazu muss man wissen, dass sehr viele kleine und mittelständische Unternehmen inzwischen beim Staat und den Sozialversicherungen wegen nicht gezahlter Steuern und nicht abgeführter Sozialversicherungsbeiträgen hoch verschuldet sind. Aber diese Unternehmen sind der Kern der griechischen Wirtschaft. Deshalb sollen in allen Regionen schnell Schiedsstellen eingerichtet werden, die mit diesen Unternehmen verhandeln, damit sie zurück an den Markt kommen, Aufträge annehmen und Menschen beschäftigen können. Außerdem soll sofort der Mindestlohn, der zwischen Unternehmerverbänden und Gewerkschaften vor 2010 einvernehmlich festgelegt wurde, wieder auf 751 Euro festgelegt werden. Darüber hinaus wird in vier bereits vorliegenden Gesetzentwürfen die Lockerung des Kündigungsschutzes und die Einschränkung des Streikrechts zurückgenommen und das Arbeits- und Tarifrecht wieder in Kraft gesetzt werden. Alles Maßnahmen, die von der Regierung auf Druck der Troika ausgehebelt worden sind.
Die dritte Säule ist ein Arbeitsmarktprogramm. SYRIZA will unmittelbar 300.000 Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose schaffen. Und das ist für deutsche Ohren etwas ungewohnt: Die Auswahl der Personen soll computergestützt erfolgen, aus Angst dass die Klientelwirtschaft wieder nur ihre eigenen Personen vor Ort versorgen wird.
Die vierte Säule, und das ist vielleicht der Kern der Frage gewesen, ist dann die institutionelle und demokratische Umgestaltung des politischen Systems. Dazu gehört dann die Umstrukturierung der Steuerverwaltung, eine Steuerfahndung einzusetzen und festzulegen, dass nicht nach jeder Wahl die Führungspositionen in den Finanzämtern je nach Parteibuch ausgetauscht werden. Wenn ich das steuerpolitische Konzept meinen Kolleginnen und Kollegen aller Parteien im Finanzausschuss des Bundestages vorlegen würde, würde niemand erschrecken und sagen, das ist jetzt aber kurz vor dem Sozialismus.
Sprechen wir noch einmal kurz über die Schuldenproblematik. Welche Bedeutung hat die Wahl in Griechenland für eine Abkehr von der herrschenden Austeritätspolitik?
Durch die öffentlichen Kredite ist es im Falle Griechenlands inzwischen gelungen, dass die gegenwärtigen Zinszahlungen zu bewältigen sind. Das Neue an der Staatsschuldenkrise ist, dass für den ständigen Umschuldungsbedarf immer Geldgeber gebraucht werden, die einen neuen Kredit zu vernünftigen Konditionen zur Verfügung stellen, um den alten Kredit ablösen zu können. Daher rührt die Erpressbarkeit, wenn dieses Geld nicht zur Verfügung steht. Wie gesagt, Griechenland muss 2015 22 Milliarden Euro umschulden. Und dafür muss gekämpft werden, dass IWF und ESM die entsprechenden Finanzmittel zur Verfügung stellen. Das läuft auf einen Prinzipienstreit hinaus. Ich habe SYRIZA geraten, diesen Prinzipienstreit zunächst gegen die verheerende Austeritätspolitik und die völlig unsinnigen Troika-Auflagen zu führen, nicht aber unmittelbar für einen Schuldenschnitt nur für Griechenland. Dafür lassen sich europaweit im linken Parteienspektrum, bei den Gewerkschaften und der sozialen Bewegung ganz viele Bündnispartner finden. Deshalb lässt sich unter diesem Punkt eine breite Solidaritätskampagne für Griechenland organisieren.
Zur Veränderung der herrschenden Austeritätspolitik werden aber auch Mehrheiten auf europäischer Ebene gebraucht. Ist das realistisch?
Es ist sicherlich schwierig. Zunächst einmal: Die Bundesregierung, also Merkel und Co., und Co. heißt in diesem Falle auch die SPD, wollen auf Biegen und Brechen an dem bisherigen Kurs festhalten. Andere, wie beispielsweise Frankreich und Italien, aber auch Herr Juncker, haben erkannt, dass die bisherige Politik in die wirtschaftliche Katastrophe führt, weil Deflation droht, weil weiter hohe Arbeitslosigkeit existiert. Und die versuchen nun eine Politikvariante, die weiterhin den öffentlichen Haushalten Austeriät verordnen und die sogenannten "Reformen" beim Arbeitsmarkt und in der Rentenpolitik vorantreiben will, aber auch Wachstum für nötig hält. Deswegen der sogenannte Juncker-Plan, mit dem private Investitionen gefördert werden sollen. Es ist zumindest die Erkenntnis da: Austeritätspolitik funktioniert nicht und ruiniert Wirtschaft und Gesellschaft. An diese Bewegung kann man anknüpfen und klarmachen, dass es in Griechenland nicht um große öffentliche Investitionsprogramme gehen wird. Die sind gar nicht im Mittelpunkt des SYRIZA-Programms, sondern es geht um die vier Säulen, die ich eben dargestellt habe. Und dann lässt sich darüber vielleicht bei viel parlamentarischer und außerparlamentarischer Unterstützung aus dem linken Spektrum der Länder in der Eurozone auch eine Duldung der Umsetzung einer Syriza-Politik erreichen, die vom griechischen Volk mehrheitlich so gewollt wird.
10 Jänner 2015
Quelle: Axel Troosts website
Kontakt: axel.troost@bundestag.de