Der Wiederaufbau einer Linken, die wir jetzt brauchen

Wir alle rechneten damit, dass die Wahlen am 4. März nicht gut für die Linke ausgehen würden. Das tatsächliche Ausmaß der Katastrophe hatte jedoch niemand erwartet.

Nicht einmal jene, die wie ich im Wahlkampf kreuz und quer durch Italien reisten, ahnten, dass sie es mit einem so schwierigen zu tun haben würden: Denn dieses Mal gestaltete es sich noch schwerer, die richtigen Worte zu finden, um mit den Menschen zu kommunizieren, die wir zufällig auf der Straße ansprachen. Und es war auch sehr schwer, diejenigen zu überzeugen, die bereits eine Verbindung zu uns haben und immer auf unserer Seite standen.

Demokratie in der Krise

Ich sage das, um zu verdeutlichen, dass die Ereignisse eine Folge der allgemeinen Orientierungslosigkeit sind, der mangelnden Klarheit der Bezugspunkte, die traditionell den politischen Rahmen unseres Landes abstecken, bis hin zum völligen Verschwimmen der Meinungen, Orientierungen und Werte. Das zeigt, dass das, was wir derzeit durchmachen, nicht nur eine Krise der Linken ist, sondern vielmehr eine Krise der Demokratie. Wenn wir also an diesem Punkt angekommen sind, dann, weil das politische und soziale Gefüge, das die Parteien bisher als Diskussionsraum zur Verfügung gestellt haben – und damit zur Analyse der Gegenwart und dem gemeinsamen Schaffen eines Projektes – nicht mehr existiert. Ohne dies reicht die Wahl allein nicht aus, um die Demokratie am Leben zu erhalten. Die Wahl allein ist eine Art Agora voller individueller Ausrufe des Missfallens oder Einverständnisses.

So konnten Millionen ehemals linker Wähler_innen dazu gebracht werden zu glauben, dass durch eine Stimme für die Fünf-Sterne-Bewegung die nötige Erneuerung auf den Weg gebracht werden könnte. So zog ein ganzer Schwung unbekannter Abgeordneter ins Parlament ein, deren Fähigkeiten und moralische Eignung niemand prüfen konnte, da sie sich nur mit ihren Lebensläufen auf der Webseite der mysteriösen Bewegung des eigentlichen dunklen Anführers Gianroberto Casaleggio selbst präsentiert hatten. Gleich vom ersten Tag der neuen Legislaturperiode an war die fehlende Bindung an ihr Programm deutlich zu sehen.

Ich rede nicht von einer Krise der Demokratie, um von der Krise der Linken abzulenken, die in Italien schwerer wiegt als anderswo. Ich sage das nicht, um eine Auseinandersetzung damit zu vermeiden. Ich sage das, um hervorzuheben, dass eine sehr große Aufgabe vor uns liegt – nicht nur in Italien.

Die PD und ihre Alternativen

Hier in Italien leiden wir unter der verbreiteten Fehldeutung, die PD (die Demokratische Partei) sei eine Partei des linken Spektrums. Dies wird von den Medien zwar so dargestellt, ganz im Gegenteil trifft diese Partei jedoch seit Jahren Entscheidungen gegen die Interessen derjenigen, die sie früher vertrat: die Ärmsten. So geschehen mit der Arbeitsmarktreform, mit der hart erkämpfte Rechte beschnitten wurden, vor allem das „Statut der Arbeiter_innen“, mit der Rentenreform, der weiteren Anpassung der Schulen an die Bedürfnisse der Kapitalgesellschaften und einem immer weniger progressiven Steuersystem. Hieraus folgte ein bisher einmaliger Zusammenstoß mit der Gewerkschaft CGIL.

Und der vom Innenministerium der PD-Regierung in der Hoffnung auf billige Wähler_innenstimmen angestoßene Ausbau des Polizeiapparats brachte letzten Endes nur Angst und Selbstsucht hervor und förderte damit den Rechtsruck der Wähler_innen. Es war die Lega, eine offen rassistische Partei, die viele der Stimmen für sich beanspruchen konnte, die im Norden einst an die Linke gegangen waren.

Es gilt zu fragen, warum die Unzufriedenheit mit der PD-Regierung nicht zum Stimmenzuwachs für eine linke Alternative führte, die etwas maßgeblich Neues signalisiert hatte, wie die Liberi e Uguali (LeU, „Frei und Gleich“): Diese Allianz formierte sich nach der Abkehr eines großen und erfahrenen Teils der PD-Führung von ihren Ämtern; man könnte sagen, all derer, die aus der Kommunistischen Partei Italiens stammten. Es stimmt, dass diese Führung einige der schlimmsten Entscheidungen zu verantworten hat, die die PD in der jüngeren Vergangenheit traf. Aber noch wichtiger ist die Tatsache, dass neben ihrem betont öffentlichen Parteiaustritt und ihrer Anhängerschaft an ein Programm, das den hauptsächlichen Schaden der Regierung Renzi wiedergutmachen soll, die PD auf diese Weise endgültig und nachdrücklich als eine linke Partei delegitimiert wurde.

Die Sinistra Italiana (italienische Linke) behauptete, dass diese Delegitimierung, deren Ausmaß nicht vorherzusehen war, die alte Basis der PCI aufrütteln würde. Diese ist zwar nicht mehr in der PCI, aber doch mit ihr aufgewachsen und nach wie vor von ihrer Kultur und ihren Traditionen beeinflusst.

Wir hatten unrecht: Es war schon zu spät. Diese Basis blieb der Partei über eine Reihe vorgetäuschter Wiedergeburten hinweg (als PDS, DS, PD) treu, wurde jetzt aber desillusioniert. Sie wollte überhaupt nicht von „der Linken“ reden hören, egal von welcher Linken. Sie suchte in den letzten Jahren Zuflucht in einer Protestwahl gegen diejenigen, die die politische Landschaft dominiert hatten – sogar in der Opposition.

Ich bin immer noch überzeugt davon, dass es aller Schwäche zum Trotz keine Alternative zur LeU (Liberi e Uguali) gab. Das zeigt sich auch in dem Versuch der Rifondazione Comunista (Partei der kommunistischen Wiedergründung), nach der eigenen Distanzierung von einer hypothetischen, aber möglichen Einheitsfront mit einer Gruppe aus Vereinigungen die Liste Potere al Popolo (Macht dem Volk) ins Leben zu rufen. Dass diese auch keine Alternative zur LeU darstellte, haben die Wahlen bewiesen: Erreicht wurden kaum mehr als die Hälfte der Stimmen, die die Rivoluzione Civile von Staatsanwalt Ingroia in den desaströsen Wahlen von 2013 bekommen hatte.

Wir müssen uns klar machen, dass eine weitere Vermehrung der Splittergruppen in der Linken die Unterschiede in der Politik nicht verdeutlichen und nur dazu beitragen, die Wähler_innen zu irritieren. Hoffen wir, dass wir diese Erfahrung bei den nächsten Europawahlen nicht zum x-ten Mal wiederholen, auch wenn diese angesichts der noch stärkeren Spaltung Europas nicht leichter zu meistern sein werden.

Zurück auf Anfang – mit Optimismus

Jetzt gilt es, von vorne anzufangen und darüber nachzudenken, was wir gemeinsam tun können.

Es wird nicht leicht, da die Linke stark war, als sie die Möglichkeit hatte, bestimmte gesellschaftliche Interessen zu vertreten. So konnte sie Konflikte schaffen und Projekte kommunizieren. Um diese Fähigkeit zur gesellschaftlichen Repräsentation – die ja die Basis jeden Wiederaufbaus der Linken ist – zurückzuerlangen, müssen wir uns bewusst machen, dass Zerfall der Arbeiter_innenschaft viel schwerer wiegt als die herrschende Ungleichheit. Ein weiterer Protest, ein weiteres Anprangern wie auch ein weiteres Wiederholen keynesianistischer Rezepte sind keine angemessene Reaktion hierauf. Die wiederholte Mahnung, die „Beziehung zu den Regionen wiederherzustellen“, reicht alleine ebenfalls nicht aus. Wir müssen verstehen, was wir mit der regionalen Bevölkerung machen wollen. Wollen wir den bestehenden Konsens bedienen oder die erforderliche Subjektivität aufbringen, einen kollektiven Protagonismus unter der gespaltenen Arbeiter_innenschaft aufzubauen und ihnen „logistische Macht“ zu geben angesichts von Riders und Uber oder der endlosen Subvergabe, derer sich Unternehmen bedienen? Eine derartige Befähigung kann nur aus einer zurückgewonnenen gemeinsamen Identität entstehen.

Für einen Neuanfang braucht es eine Partei, die ein Projekt umreißen kann, mit dem sie die zur Vereinigung sozial und kulturell sehr unterschiedlicher Individuen nötige Mediation leisten kann. Oder ist auch das jetzt veraltet und nicht länger akzeptabel? Wenn nicht, braucht es dann eine neue Partei, oder können wir dies mit dem erreichen, was wir bereits in die LeU investiert haben? Diesen Problemen stehen wir gegenüber, und wir werden Zeit brauchen, um sie zu lösen. Wir, zumindest wir von der Sinistra Italiana, wissen, dass die linke Mitte kurzfristig nicht wieder aufgebaut werden kann und dass die PD jetzt, ohne Renzi, eine andere soziale Schicht vertritt. Wir wissen außerdem, dass es heute keine Alternative zur Regierung gibt. Bestenfalls könnten wir einzelnen Vorschlägen der Fünf-Sterne-Bewegung zustimmen. Wir können ihnen definitiv nicht unser Vertrauen schenken, unter anderem, weil sie sich bereits zu einer perfekt zentristischen Partei „weiterentwickelt“ hat, die steuerfreundliche Positionen mit höheren Staatsausgaben verbindet (vielleicht kommen die DC – die ehemaligen Christdemokraten – doch noch zurück).

Wir können uns nur darüber sicher sein, dass wir gemeinsam mit anderen Europäer_innen für lange Zeit mit dem Wiederaufbau jener Art einer Linken beschäftigt sein werden, die wir heute brauchen.

Aber all das muss mit Optimismus geschehen. Und dieser stammt aus der Tatsache, dass die Menschheit nicht schlecht leben möchte und deshalb an einem gewissen Punkt reagieren wird. Aber vor allem stammt er von denen, die bereits reagiert haben, und das mit außergewöhnlichem Elan: Die Frauenbewegung, die einzige Bewegung, die wächst und zu gewinnen scheint, zeigt ein großes Mobilisierungspotential. Diese wird weder in Analysen der Wahl noch in allgemeineren Analysen der derzeitigen Lage erwähnt. Und doch ist die neue Breite dieser Bewegung ein wichtiges Element und eine unersetzliche Ressource – wenn die Linke lernt, sie zu nutzen.

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