Am Mittwoch, 29.7.2015, übertrug Sto Kokkino, der SYRIZA nahestehende Radiosender, ein langes Interview mit dem griechischen Ministerpräsidenten. Im Folgenden einige wesentliche Auszüge daraus, die einmalige Einblicke in die harten Verhandlungen zwischen Athen und seinen Gläubigern und zum finanziellen Staatsstreich gegen die griechische Linksregierung gewähren.
Lassen Sie uns über diese sechs Monate dauernden Verhandlungen sprechen. Wie würden Sie sie zusammenfassen?
Alexis Tsipras: Wir müssen in unseren Schlussfolgerungen objektiv bleiben. Hinter uns liegen sechs Monate hoher Anspannungen und starker Emotionen, aber Selbstgeißelung hilft niemandem. Gefühle von Freude, Stolz, Dynamik, Entschlossenheit, aber auch von Traurigkeit sind aufgetreten. Ich denke aber, dass wir am Ende des Tages, wenn wir den Prozess objektiv zu betrachten versuchen, nur stolz darauf sein können, diesen Kampf geführt zu haben. Unter widrigen Bedingungen und bei einem schwierigen Kräftegleichgewicht sowohl innerhalb Europas als auch auf der Welt haben wir versucht, die Sicht eines Volkes und die Möglichkeit eines alternativen Weges zu behaupten. Wenn zuletzt die Mächtigen imstande waren, uns ihren Willen aufzuzwingen, bleibt dennoch auf der internationalen Ebene die absolute Klarheit darüber, dass die Austerität eine Sackgasse ist. Dieser Prozess hat in Europa eine gänzlich neue politische Landschaft geschaffen.
Was ist mit dem Mandat des Volkes, das SYRIZA erhalten hat? Die Memoranden wurden ja nicht in der Luft zerrissen. Im Gegenteil: Die Maßnahmen, die das Abkommen erfordert, sind besonders grausam …
Alexis Tsipras: Das Mandat, das wir vom griechischen Volk erhalten haben, war – unter welchen politischen Bedingungen auch immer –, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um Bedingungen zu schaffen, das Ausbluten des griechischen Volkes zu beenden.
Sie sagten, die Memoranden würden mit einem einzigen Gesetz annulliert werden.
Alexis Tsipras: Vor den Wahlen sagte ich nicht, dass die Memoranden mit einem einzigen Gesetz annulliert werden könnten. Niemand sagte das. Wir haben dem griechischen Volk niemals einen Spaziergang im Park versprochen. Das ist der Grund, warum es sich der Schwierigkeiten bewusst ist, auf die wir gestoßen sind und denen es selbst mit einem auffallend kühlen Kopf begegnet. Wir sagten, wir würden den Kampf führen, um uns aus dem Würgegriff zu befreien, in dem das Land infolge der vor 2008 getroffenen politischen Entscheidungen gehalten wurde, die zu immer noch mehr Defiziten und Schulden geführt haben, die uns wiederum nach 2008 die Hände gebunden haben. Wir hatten ein Programm und wir baten um die Unterstützung des Volkes für die unter schwierigen Bedingungen stattfindenden Verhandlungen zur Umsetzung dieses Programms. Wir haben unter Bedingungen noch nie dagewesener finanzieller Erstickungsdrohung harte Verhandlungen geführt. Wir verhandelten sechs Monate lang und konnten zur selben Zeit einen Großteil unseres Wahlprogramms umsetzen – sechs Monate lang, in denen wir ständig in Sorge waren, ob wir die Gehälter und Pensionen am Monatsende auszahlen und unseren Verpflichtungen gegenüber den Werktätigen im Land würden nachkommen können. Darin bestand unsere ständige Besorgnis. Und in diesem Zusammenhang gelang es uns, ein Gesetz zur humanitären Krise zu verabschieden. Tausenden unserer Mitbürger_innen kommt dieses Gesetz gerade jetzt zugute. Es ist uns gelungen, schwerwiegende Ungerechtigkeiten zu beseitigen, wie z.B. jene, die den Putzfrauen vonseiten des Finanzministeriums widerfahren ist, aber auch den Schulwarten, den Angestellten des öffentlichen Radio- und Fernsehsenders ERT, die beide wieder eröffnet werden konnten. Während wir versuchen, die Situation nicht festfahren zu lassen, sollten wir sie auch nicht negativer darstellen, als sie ist. Wenn einige Leute nun meinen, dass sich der Klassenkampf linear entwickelt, dass er mit einer einzigen Wahl gewonnen werden kann und nicht ständigen Kampf erfordert, sowohl innerhalb der Regierung als auch in der Opposition, sollen sie uns das bitte erklären und Beispiele nennen, wie das geht. Wir stehen vor der gänzlich neuen Erfahrung einer radikal linken Regierung innerhalb eines neoliberalen Europa. Wir können aber aus linken Regierungserfahrungen früherer Perioden lernen und wissen, dass Wahlen zu gewinnen nicht bedeutet, dass man von einem Tag auf den anderen Zugang zu den Schalthebeln der Macht bekommt. Den Kampf nur auf der Ebene der Regierung zu führen, ist nicht genug. Er muss auf dem Feld der sozialen Kämpfe ausgetragen werden.
Warum haben Sie beschlossen, ein Referendum abzuhalten?
Alexis Tsipras: Ich hatte keine andere Wahl. Sie müssen sich ansehen, womit ich und die griechische Regierung am 25. Juni konfrontiert wurden, das Abkommen, das sie uns vorgeschlagen haben. Ich muss zugeben, dass es eine sehr riskante Entscheidung war. Der Wille der griechischen Regierung widersprach ja nicht nur den Forderungen der Gläubiger, sondern auch jenen des internationalen Finanzsystems und ebenso jenen des politischen Systems und der Medien in Griechenland selbst. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir das Referendum verlieren würden, war umso höher, als unsere europäischen Partner ihre Logik so weit trieben, dass die Banken schließen mussten. Für uns war es allerdings der einzige Weg, da sie uns ein Abkommen anboten, das äußerst grausame Maßnahmen beinhaltete, vergleichbar jenen, die wir im gegenwärtigen Abkommen haben, wenngleich noch eine Spur schlimmer, aber auf jeden Fall grausame und meiner Meinung nach auch wirkungslose Maßnahmen. Gleichzeitig haben sie uns keine Möglichkeit zum Überleben angeboten, da sie uns als Tausch gegen die Akzeptanz dieser Maßnahmen € 10,6 Mrd. für fünf Monate vorgeschlagen haben. Sie wollten, dass Griechenland, wenn es einmal seine Verpflichtungen erfüllt hätte, das nähme, was finanziell vom früheren Programm übrig blieb, ohne einen Euro mehr, denn das ist es, was die Niederlande, Finnland und Deutschland gefordert haben. Das politische Hauptproblem der nordeuropäischen Regierungen bestand ja darin, dass sie um jeden Preis vermeiden wollten, vor ihre Parlamente zu treten und auch nur einem einzigen „zusätzlichen“ Euro an Griechenland zugestimmt zu haben. Sie sind Gefangene des populistischen Klimas, das sie selbst erzeugt hatten, indem sie ihre Bevölkerungen glauben machten, dass sie für die faulen Griechen zahlen würden. Was war das Ergebnis der starken Position des griechischen Volkes, das sie, ungeachtet alle Hindernisse, im Referendum zum Ausdruck brachten? Diese Willensbekundung war imstande, das Problem zu internationalisieren, es über die Grenzen Griechenlands hinauszutragen, das wahre Gesicht der europäischen Partner und Gläubiger zu demaskieren. Damit war das Referendum imstande, der internationalen öffentlichen Meinung nicht das Bild eines faulen Volkes vorzuführen, sondern eines Volkes, das Widerstand leistet und sowohl Gerechtigkeit als auch eine Zukunft für sich verlangt. Wir haben die Grenzen des Beharrens der Eurozone ausgetestet und wir haben Einfluss auf das Kräfteverhältnis genommen. Letztlich haben Frankreich, Italien und die nordeuropäischen Länder alle sehr unterschiedliche Positionen eingenommen. Das Ergebnis ist sicher äußerst schwer umzusetzen, andererseits aber ist die Eurozone unbestritten an ihre Grenzen hinsichtlich ihrer Beharrungsfähigkeit und ihres Zusammenhalts gebracht worden. Die nächsten sechs Monate werden entscheidend sein, aber ebenso kritisch wird das Kräfteverhältnis sein, das in diesem Zeitraum aufgebaut werden kann. Gegenwärtig sind Schicksal und Strategie der Eurozone in Frage gestellt. Es gibt nun mehrere Möglichkeiten. Diejenigen, die gesagt haben „keinen einzigen Euro mehr“, haben letztendlich ihre Zustimmung nicht nur zu einem Euro, sondern zu 83 Milliarden gegeben. So sind wir von € 10,6 Mrd. für fünf Monate auf 83 Mrd. für drei Jahre gekommen, mit der zusätzlich wichtigen Zusage einen Schuldennachlass betreffend, über den im November diskutiert werden soll. Das ist die Schlüsselfrage, die darüber entscheidet, ob Griechenland einen Weg beschreiten kann, der das Land aus der Krise führt. Wir müssen den Geschichten ein Ende setzen, die die Herren Samaras und Venizelos erzählten und in denen sie behauptet haben, dass sie uns aus den Memoranden herausführen würden. Die Wirklichkeit ist, dass in dieser Geschichte ein großes Loch klafft und dieses besteht in den Schulden. Mit Schulden in der Höhe von 180-200 Prozent des BNP kann man keine stabile Wirtschaft haben. Der einzige Weg, den wir nehmen können, ist der des Schuldennachlasses, der Schuldentilgung, der Schuldenerleichterung. Die Bedingung dafür, dass das Land einen finanziellen Spielraum gewinnen kann, ist, dass es nicht mehr länger verpflichtet ist, hohe Budgetüberschüsse zu erwirtschaften, die für die Begleichung von unbezahlbaren Schulden vorgesehen sind.
Das „Nein“ des Referendums war ein „Nein“ zur Austerität …
Alexis Tsipras: Die Frage des Referendums bestand aus zwei Teilen. Teil A betraf die früher von uns geforderten Maßnahmen und Teil B den Finanzierungsplan. Um ehrlich zu sein und nichts zu beschönigen: Das Abkommen, das auf das Referendum folgte, ist, sofern es Teil A betrifft, ähnlich dem, das das griechische Volk abgelehnt hat. Andererseits müssen wir auch, was Teil B betrifft, ehrlich sein und diesbezüglich besteht ein Unterschied wie zwischen Tag und Nacht. Zuvor hatten wir 10,6 Mrd. für fünf Monate [in denen unsere öffentlichen Ausgaben besonders genau überprüft werden würden]. Jetzt haben wir 83 Mrd. – was einer mittelfristigen finanziellen Gesamtabdeckung (2015-2018) entspricht, wobei 47 Mrd. für die Rückzahlung ausländischer Schulden vorgesehen sind, 4,5 Mrd. für Rückstände des öffentlichen Sektors und 20 Mrd. für die Rekapitalisierung der Banken und schließlich ist da noch die zentrale Verpflichtung die Schuldenfrage betreffend. Somit besteht, was Teil A betrifft, ein Zurückweichen der griechischen Regierung, hinsichtlich Teil B jedoch eine Verbesserung: Das Referendum hat eine Funktion erfüllt. Am Mittwochabend vor der Abstimmung waren bestimmte Kreise im Land damit beschäftigt, die Grundlage für einen Staatsstreich zu legen, wobei sie die Notwendigkeit der Erstürmung des Amts des Ministerpräsidenten verkündeten, behaupteten, dass die Regierung das Land in eine schreckliche wirtschaftliche Katastrophe führe, wobei sie auf die Menschenschlangen vor den Banken verwiesen. Ich muss sagen, dass das griechische Volk einen kühlen Kopf bewahrt hat, was soweit ging, dass es Fernsehleuten schwer gefallen ist, Menschen zu finden, die sich über die Situation beschwerten – die Gefasstheit der Bevölkerung war wirklich unglaublich. An jenem Abend habe ich mich in einer Ansprache an die griechische Bevölkerung gewandt und die Wahrheit gesagt. Ich sagte nicht: „Ich halte ein Referendum über den Austritt aus dem Euro ab.“ Ich sagte: „Ich halte ein Referendum ab, um uns eine Verhandlungsdynamik zu geben.“ Das „Nein“ zum schlechten Abkommen war kein „Nein“ zum Euro, kein „Ja“ zur Drachme. Man mag mich schlechter Berechnung zeihen, mir vorwerfen, dass ich Illusionen gehabt hätte, aber in jedem einzelnen Moment habe ich die Dinge klar benannt; zweimal habe ich das Parlament informiert; ich habe dem griechischen Volk die Wahrheit gesagt.
Mit den 61,2% in Händen, mit denen die griechische Bevölkerung Sie ausgestattet hat: Was wäre denn das Abkommen gewesen, das Sie gerne aus Brüssel mitgebracht hätten?
Alexis Tsipras: Am Morgen des Freitag, 25. Juni, des Tages des Ultimatums, als sich bereits die Aussicht der Erniedrigung abzeichnete, haben wir während eines Treffens in Brüssel beschlossen, das Referendum voranzubringen. Ihre Haltung war ja: Friss oder stirb. „Das Spiel ist vorbei“, hat Donald Tusk, der Vorsitzende des Europäischen Rates, wiederholte Male gesagt. Sie machten kein Geheimnis daraus; sie wollten einen politischen Wandel in Griechenland. Wir hatten gar keine andere Wahl; wir wählten den Weg der Demokratie und ließen das griechische Volk zu Wort kommen. Als ich an jenem Abend nach Griechenland zurückkehrte, berief ich den Regierungsrat ein und wir haben die Entscheidung getroffen. Ich habe das Treffen unterbrochen, um mit Angela Merkel und François Hollande zu sprechen und sie über meine Entscheidung in Kenntnis zu setzen; an jenem Morgen hatte ich ihnen noch erläutert, dass das, was sie vorschlugen, keine ehrliche Lösung sei. Sie fragten mich, was ich der griechischen Bevölkerung raten würde und ich sagte ihnen, dass ich den Menschen raten würde, mit „Nein“ zu stimmen und zwar nicht, um auf Konfrontationskurs zu gehen, sondern als Möglichkeit, die Verhandlungsposition Griechenlands zu stärken. Und ich bat sie, mir dabei behilflich zu sein, diesen Prozess erfolgreich und in Ruhe abzuschließen, und auch, mir dabei zu helfen, die Eurogruppe, die sich 48 Stunden später treffen sollte, zu einer einwöchigen Verlängerung des Programms zu bewegen, sodass das Referendum unter sicheren Bedingungen stattfinden könnte und nicht unter Bedingungen der Erpressung, mit geschlossenen Banken. Allein, die Kanzlerin warnte mich, dass sie ein öffentliches Statement zum Referendum abgeben würde, in dem sie es als eine Frage über den Verbleib Griechenlands im Euro darstellen würde. Ich sagte ihr, dass ich absolut nicht damit einverstanden wäre, dass die Frage nicht wäre, Euro oder Drachme, dass sie aber frei wäre zu sagen, was sie wollte. Das war der Punkt, an dem das Gespräch endete. Dieses Versprechen wurde nicht gehalten. 48 Stunden später traf die Eurogruppe eine gänzlich andere Entscheidung. Ihre Entscheidung fiel in dem Moment, als das griechische Parlament der Abhaltung des Referendums zustimmte. In nur 24 Stunden führte die Entscheidung der Eurogruppe zu jener der EZB, den ELA-Rahmen [Notfall-Liquiditätshilfe, von der die griechischen Banken abhängig sind] nicht noch weiter zu erhöhen, was uns dazu zwang, Kapitalkontrollen einzuführen, um den Zusammenbruch des Bankensystems abzuwehren. Die Entscheidung, die Banken zu schließen, war meiner Meinung nach ein Racheakt gegen die Entscheidung der Regierung, sich an ihr Volk zu wenden.
Haben Sie dieses Ergebnis erwartet?
Alexis Tsipras: Ich gestehe, dass ich bis Mittwoch [vor dem Referendum] den Eindruck hatte, dass das Ergebnis unentschieden sein würde. Am Donnerstag begann ich zu erkennen, dass das „Nein“ gewinnen würde, und am Freitag war ich davon überzeugt. Angesichts dieses Siegs kam das Versprechen, das ich dem griechischen Volk gegeben hatte, nicht mit einer humanitären Katastrophe zu spielen, zum Tragen. Ich habe nicht mit dem Überleben des Landes und seiner Bevölkerung gespielt. Danach wurden in Brüssel mehrere Schreckensszenarien auf den Tisch gelegt. Ich wusste, würde ich während der siebzehn Stunden, in denen ich diesen Kampf führen musste – allein und unter schwierigen Bedingungen –, das tun, was mein Herz wollte, nämlich aufstehen, mit der Faust auf den Tisch schlagen und abreisen – die ausländischen Zweigstellen der griechischen Banken noch am selben Tag zusammenbrechen würden. Innerhalb von 48 Stunden würde die Liquidität, die Abhebungen in der Höhe von € 60 erlaubte, versiegen und, was noch schlimmer war, die EZB würde sich für eine Absenkung der Sicherheiten der griechischen Banken entscheiden und sogar Rückzahlungen fordern, die zu einem Zusammenbruch des gesamten Bankensystems geführt hätten. In diesem Fall hätte ein Zusammenbruch keine Verringerung der Spareinlagen, sondern ihre Auflösung bedeutet. Trotz alledem habe ich diesen Kampf geführt und versucht, Logik und Leidenschaft in Einklang zu bringen. Ich wusste, wenn ich aufstand und ging, würde ich wiederkommen müssen und mit noch ungünstigeren Bedingungen konfrontiert werden. Ich stand also vor einem Dilemma. Die öffentliche Meinung auf der ganzen Welt verkündete „#This Is A Coup“, es ging sogar so weit, dass dies in jener Nacht auf Twitter zum führenden Hashtag weltweit wurde. Auf der einen Seite stand die Logik; auf der anderen die politische Vernunft. Im Rückblick bleibe ich bei der Überzeugung, dass die richtige Entscheidung darin bestand, das Volk zu beschützen. Andererseits hätten die verschärften Vergeltungsakte das Land zerstört. Ich habe eine verantwortungsvolle Entscheidung getroffen.
Sie glauben nicht an das Abkommen und haben dennoch die Abgeordneten gebeten, dafür zu stimmen. Was haben Sie im Sinn?
Alexis Tsipras: Ich denke, und das habe ich auch dem Parlament gesagt, dass das, was unsere europäischen Partner und Gläubiger errungen haben, ein Pyrrhus-Sieg ist, dass dieser aber gleichzeitig für Griechenland und seine Linksregierung einen großen moralischen Sieg darstellt. Es ist ein schmerzhafter Kompromiss, sowohl auf der wirtschaftlichen als auch auf der politischen Ebene. Sie wissen, Kompromisse sind Teil der politischen Realität und auch Teil der revolutionären Taktik. Lenin war der erste, der über den Kompromiss gesprochen hat, und zwar in seinem Buch „Der ‚Linke Radikalismus‘, die Kinderkrankheit im Kommunismus“, in dem er mehrere Seiten lang erklärt, dass Kompromisse Teil revolutionärer Taktik sind. In einer Passage erwähnt er das Beispiel eines Banditen, der seine Pistole gegen dich richtet und sagt: „Geld oder Leben?“ Was tut ein Revolutionär in dieser Situation? Sein Leben hergeben? Nein, er muss das Geld hergeben, um sein Recht zu leben zu behaupten, und den Kampf fortführen. Wir sahen uns mit einem Dilemma unter Gewaltandrohung konfrontiert. Heute machen die Oppositionsparteien und die etablierten Medien viel Aufhebens, wobei sie sogar so weit gehen, dass sie strafrechtliche Schritte gegen Yanis Varoufakis fordern. Es ist uns völlig bewusst, dass wir in diesem politischen Kampf unseren Kopf riskieren. Aber wir führen ihn gemeinsam mit der überwiegenden Mehrheit der griechischen Bevölkerung an unserer Seite. Und das ist es, was uns Kraft verleiht.
Übersetzt von Hilde Grammel
Das Interview wurde geführt von Kostas Arvanitis (STO kokkino), Erstveröffentlichung auf Französisch in L’Humanité, 31. Juli 2015