Die jüngsten Wahlergebnisse in Griechenland waren ein heftiger Schlag für die Regierungen von Merkel und Sarkozy und ebenso für die anderen neoliberalen Parteien, Politiker, Analysten, für die Beamten der EU, der EZB und des IWF, die dachten, dass die europäischen Völker passiv und auf unbegrenzte Zeit die extremen Austeritätspolitiken der neoliberalen Orthodoxie zu ertragen bereit wären, die angeblich darauf abzielen, einen Ausweg aus der kapitalistischen Krise in Europa zu eröffnen.
Obwohl es seit Ausbruch der Krise fast überall in den EU-Ländern Widerstand auf der Straße und hoffnungsvolle Ergebnisse an den Wahlurnen gegeben hat, ist es interessant, dass die deutlichste Botschaft gegen den Neoliberalismus in der EU aus einem kleinen Land im europäischen Süden kam. Anstatt zu akzeptieren, willentlich oder mit Gewalt in das Schlachthaus getrieben zu werden, beschloss die Bevölkerung des berüchtigtsten der PIIGS, zu revoltieren, indem sie massiv gegen die Mitte-Links stehende Panhellenische Sozialistische Bewegung (PASOK) und die Mitte-Rechts stehende Neue Demokratie (ND) und damit gegen jene zwei Parteien wählte, die zusammen mit dem rechtsextremen Volksalarm / Laikos Orthodoxos Synagermos (LAOS) das Schandmemorandum mit der „Troika“ unterzeichnet haben und zuletzt an der Regierung von Papademos beteiligt gewesen sind.
Es wäre legitim zu behaupten, dass die Wahlergebnisse sich ausschließlich der Tatsache verdankten, dass die Krise und die Politik, die zu ihrer Bewältigung versucht wurde, die traditionellen Bindungen zwischen Unter- und Mittelschichten der griechischen Gesellschaft einerseits und PASOK und ND andererseits zerstört hat, wodurch das mächtige politische Zweiparteiensystem zu Bruch ging, das das Land seit dem Sturz der Diktatur 1974 beherrscht hatte. Tatsächlich ist es so, dass innerhalb der zwei Jahre, die seit dem zwischen den griechischen Regierungen und der „Troika“ vereinbarten Rettungspaket vergangen sind, eine große Zahl an Abgeordneten der PASOK und der ND zurückgetreten sind, unabhängig wurden, andere politische Parteien gründeten oder anderen Parteien oder Koalitionen beitraten.
Allerdings ereignete sich weder der Bruch des politischen Systems automatisch noch war der Zuwachs der Macht der politischen Linken eine „natürliche“ Folge der Krise. Die Neuwahlen wurden nicht aus freiem Willen – weder des zusammenbrechenden griechischen politischen Systems noch der Merkozy-, Lagarde-, Trichet/Draggi- oder Barroso-Allianz ausgerufen – tatsächlich bestand der Wunsch dieser „Heiligen Allianz“ und der „Märkte“ ja darin, dass die Dreiparteienregierung unter dem nicht gewählten Technokraten Papademos zwei weitere Jahre im Amt bleiben soll, wie Monti in Italien. Der Hauptgrund dafür, warum das Land zu den Wahlurnen schritt, sollte auf den hauptsächlich auf den Straßen ausgetragenen Widerstand des griechischen Volkes zurückgeführt werden, aber auch auf jenen an den Arbeitsplätzen (auf die Bewegung auf den Plätzen, die Streiks und Massendemonstrationen, den zivilen Ungehorsam, der sich beispielsweise in der „Wir zahlen nicht“-Bewegung ausdrückte, den Buh-Rufen gegenüber Mainstream-Politikern, wo immer sie in der Öffentlichkeit auftauchten usw.).
Gleichzeitig war auch der Erfolg der radikalen Linken bei den Wahlen keine lineare Funktion der schlechten wirtschaftlichen Lage. Die Geschichte hat uns gelehrt, dass Arbeitslosigkeit, Armut und – allgemein – die Verschlechterung der wirtschaftlichen Bedingungen nicht notwendigerweise eine günstige politische Umgebung für die Linke herbeiführen. Die Situation in den Ländern Zentral- und Osteuropas nach dem Zusammenbruch des so genannten real existierenden Sozialismus ist hierfür ein schmerzliches Beispiel.
Der unerwartet hohe Prozentsatz der radikalen Linken bei den Wahlen kann großteils ihren guten Strategien als politische Partei zugeschrieben werden: a) der Schaffung und Aufrechterhaltung der Koalition der Radikalen Linken (SYRIZA), einem schwierigen Bündnis von Synaspismos mit kleineren Parteien und Gruppen zumeist aus der extremen Linken; b) dem Bündnis von SYRIZA mit Gruppen oder Einzelpersonen aus der PASOK, die in der allgemeinen Öffentlichkeit großes Ansehen genossen (in der Tat war ja der Name der Wahlliste SYRIZA-Soziale Einheitsfront); c) dem Appell, den sie an alle Kräfte der Linken, hauptsächlich an die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) und die Demokratische Linke (DIMAR) – jene Partei, die vor zwei Jahren nach der Spaltung von Synaspismos gegründet worden war – richtete, ein Bündnis einzugehen, das das Land regieren könne – ein außergewöhnlich ehrgeiziges Ziel für die kommunistische, post-kommunistische, erneuerte und radikale Linke in Griechenland. In einem Land, in dem Persönlichkeiten eine wichtige Rolle in der Politik spielen, sollte einer der Gründe für den Erfolg von SYRIZA der Person des Parteichefs Alexis Tsipras, eines charismatischen und beliebten jungen Politikers, zugeschrieben werden.
Was das tatsächliche Wahlergebnis anbelangt, so erreichte die Koalition der Radikalen Linken (SYRIZA) einen Prozentsatz von 16,8%, womit sie die PASOK hinter sich ließ, die 30% ihrer Macht einbüßte und von 43,92% und 160 Sitzen im Jahr 2009 auf 13,18% und 41 Sitze im Jahr 2012 abfiel. Neue Demokratie fiel von 33,47% und 91 Abgeordneten auf 18,85%, verfügt aber jetzt aufgrund eines unglaublich ungerechten Wahlgesetzes über 108 Abgeordnete (da ihr als stimmenstärkster Partei der Bonus von 50 Sitzen aus insgesamt 300 zufällt, und zwar unabhängig von den in den Wahlen erreichten Prozenten), während die Kommunistische Partei (KKE) ihre Macht marginal von 7,5% auf 8,5% erhöhen konnte, womit sie das erste Mal ihre vorherrschende Rolle im linken Spektrum einbüßte. LAOS, die Partei der extremen Rechten, die an der Papademos-Regierungskoalition beteiligt gewesen war, schaffte den Einzug ins Parlament nicht mehr. Dasselbe Schicksal erlitten die Ökologen/Grünen, Mitglied der Europäischen Grünen. Der Rest der Sitze entfiel auf die Partei der Unabhängigen Griechen (eine nationalistische, ausländerfeindliche Partei, die aus einer Abspaltung von Neue Demokratie entstand, die das „Memorandum“ mit der Troika ablehnt – 10,6%), die Demokratische Linke (die Partei, die 2010 nach einer Abspaltung von Synaspismos entstand – 6,11%) und die faschistische Gruppe der Goldenen Morgenröte, der es gelang, 7% der WählerInnenstimmen auf sich zu vereinigen und 21 Sitze im griechischen Parlament zu erlangen.
Obwohl SYRIZA die große Gewinnerin der Wahlen ist, sollte eine weitere wichtige Tatsache nicht übersehen werden. Ignoriert man den eigenartigen Anspruch der KKE, dass sie KommunistInnen und keine Linken (!) seien, ist das gemeinsame Wahlergebnis der zugegebenermaßen gespaltenen Linken in Griechenland das beste in der jüngsten politischen Geschichte des Landes – zusammen erreichten sie über 30% und haben somit den Rekord der alten Partei der Vereinten Demokratischen Linken (EDA) gebrochen, der es im Jahr 1958 (9 Jahre nach Ende des Bürgerkriegs) gelungen war, 25% der WählerInnenstimmen auf sich zu vereinen und der damals „freien Welt“ einen Schrecken einzujagen.
Obwohl es für eine detaillierte Analyse der Wahlergebnisse der radikalen Linken noch zu früh ist, glauben wir, dass es Sinn macht, auf einige ihrer wichtigen Besonderheiten hinzuweisen: SYRIZA wurde die von JungwählerInnen und WählerInnen unter 55 am häufigsten gewählte Partei. Sie lag in den großen städtischen Zentren vorn, dort wo die Wirtschafts- und Gesellschaftskrise am akutesten ist. Es gelang ihr auch, große Teile der Schichten in den armen Stadtvierteln von Athen und anderen Großstädten anzusprechen, wo ihr Einfluss bisher eher gering gewesen war.
Gestatten Sie mir, diese erste Notiz zu den griechischen Wahlergebnissen mit zwei abschließenden Bemerkungen abzurunden.
Erstens: Einer der Gründe, warum der Erfolg von SYRIZA eine solch wichtige Entwicklung in einem europäischen Rahmen darstellt, liegt darin, dass (obwohl man erwarten konnte, dass die ehemaligen Großparteien aufgrund der Unzufriedenheit in der Bevölkerung an Macht verlieren würden) nicht offensichtlich war, welche der politischen Kräfte aus der Delegitimierung des politischen Systems und den wachsenden sozialen Unruhen politischen Gewinn würde ziehen können. Nationalistische, fremdenfeindliche und sogar faschistische Gruppen strebten dieses Ziel an, indem sie Argumente für „ein starkes, reines und unabhängiges Land“ ins Treffen führten. Von den politischen Eliten sowohl innerhalb als auch außerhalb des Landes ebenso wie von den Mainstream-Medien wurden laufend Ängste verbreitet und Erpressungen ausgesprochen, sollte es zu einem Austritt aus der Euro-Zone kommen – dies käme einem totalen Zusammenbruch der Wirtschaft des Landes gleich. Gleichzeitig blieb die Linke zersplittert, da sich die Kommunistische Partei weigerte, in einen wie auch immer gearteten Dialog zu treten, und es der Partei der Demokratischen Linken (DIMAR) nicht gelang, die Linien ihrer Abgrenzung festzulegen. Das ist der Grund, warum der Sieg von SYRIZA so wichtig war. Aber es gab noch einen weiteren Grund, der uns alle stolz darauf sein ließ, Mitglieder oder UnterstützerInnen von Synaspismos und der anderen Gruppen dieses politischen Bündnisses zu sein: Trotz intensiven Drucks von Seiten beinahe aller Teile des politischen Spektrums und der Medien ist SYRIZA nicht von seiner Haltung der Verteidigung der Rechte von MigrantInnen abgegangen und hat somit klar Position gegen die nicht so unpopuläre Errichtung von Konzentrationslagern zur Anhaltung von MigrantInnen gezogen – das erste wurde nicht zufällig erst wenige Tage vor der Wahl eröffnet – und sich für den Schutz der Menschenrechte gerade in einer Zeit ausgesprochen, in der die Gesellschaft so anfällig für diese Art von Propaganda ist.
Die Wahlergebnisse in Griechenland sind nicht nur für dieses Land wichtig, sondern für Europa als Ganzes. Jetzt hat sich mehr als jemals zuvor gezeigt, wie sehr die europäischen Länder voneinander abhängig sind, da Entwicklungen sogar in einem kleinen Land an der südlichen Peripherie einen „Schmetterlings-Effekt“ haben können, der so stark ist, dass er die Entscheidungsfindungsprozesse in ganz Europa bis ins Mark erschüttern kann. Das ist der Grund, warum Synaspismos niemals das Dilemma akzeptiert hat, wonach Griechenland entweder die gegenwärtigen politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen der EU zu akzeptieren hat – was von der PASOK und der ND vertreten wird – oder freiwillig aus der EU austreten soll – eine Forderung, die die KKE, aber auch einige Gruppen innerhalb von SYRIZA stellten. Im Gegenteil, wir glauben, dass Kämpfe und Ungehorsam auf nationaler Ebene mit Zusammenarbeit auf der europäischen Ebene kombiniert und auf eine Neugründung Europas orientiert werden müssen, was auch das Ziel der Partei der Europäischen Linken darstellt. Entweder wird sich die EU ändern, oder sie wird aufhören zu bestehen.
In unseren schwierigen Zeiten können Siege der Bewegungen und der radikalen Linken in einem europäischen Land die politischen und sozialen Kämpfe in einem anderen positiv beeinflussen. Der Sieg von SYRIZA in Griechenland gehört auch den Bewegungen der Empörten in ganz Europa, verdankt sich den Erfolgen der Streikenden in Spanien, dem Erfolg der GenossInnen der Kommunistischen Partei Frankreichs und der Linksfront in den jüngsten französischen Wahlen. Wir waren von ihnen inspiriert und hatten das Bewusstsein und die Empfindung, dass wir diese Inspiration zurückgaben. Wir werden niemals die tatsächliche Anwesenheit von VertreterInnen der Parteien der Europäischen Linken bei unseren Kundgebungen und die moralische Unterstützung vergessen, die wir von unseren GenossInnen in ganz Europa bekommen haben.
Trotz unseres Sieges ist uns bewusst, dass kein Sieg als gegeben angesehen werden kann. In unserem Kampf stehen wir tagtäglich zwei großen Feinden gegenüber: a) den politischen Kräften des Establishments, die die Völker Europas ihren Austeritätspolitiken unterwerfen wollen, und b) den Kräften der radikalen Reaktion, der extremen und faschistischen Rechten, der Nationalen Front in Frankreich, der Goldenen Morgenröte in Griechenland und ihren Verbündeten in anderen europäischen Ländern.
Der Kampf geht weiter!
Dieser Artikel ist das Ergebnis eines Gesprächs und eines Meinungs- und Ideenaustauschs zwischen dem Autor und Elena Papadopoulou.