Sommer 2017: Wenige Monate vor den letzten Parlamentswahlen reisen der spätere FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache und sein Adlatus, der damalige Vizebürgermeister von Wien und FPÖ-Klubobmann, Johann Gudenus, nach Ibiza, um sich dort mit einer vermeintlichen russischen Oligarchennichte zu treffen. Strache und Gudenus versuchten, der Investorin halb Österreich zu verscherbeln, wenn diese über den Kauf der größten österreichischen Tageszeitung, der Kronen-Zeitung, der FPÖ zur Regierungsbeteiligung verhelfen würde – das Absetzen missliebiger JournalistInnen und verschleierte Parteispenden an die FPÖ inklusive.
„Schau, wenn sie [die angebliche Oligarchennichte] wirklich die Zeitung vorher übernimmt […] Wenn DAS Medium zwei, drei Wochen vor der Wahl, DIESES Medium auf einmal uns pusht […] Dann machen wir nicht 27, dann machen wir 34 [Prozent]. […] Sobald sie die Kronen-Zeitung übernimmt, sobald das der Fall ist, müssen wir ganz offen reden […] und müssen sagen: Diese drei, vier Leute, die müssen wir pushen. Drei, vier Leute, die müssen abserviert werden.“
In dem stundenlangen Gespräch tätigt Strache diese und andere Aussagen – und wird dabei heimlich gefilmt. Die angebliche Oligarchennichte und ihr Begleiter sind Lockvögel, die die wahre Haltung der Spitzenpolitiker aufdecken wollen.
Kurze Regierung
Auch ohne die Realisierung dieses Deals ermöglichte das Ergebnis der Wahlen vor zwei Jahren die Bildung einer Rechtsregierung, der neben der nach rechts gerückten konservativen ÖVP auch die rechtsextreme FPÖ angehörte. Letztere erhielt nicht nur die Position des Vizekanzlers, sondern unter anderem alle sicherheitsrelevanten Ressorts (Landesverteidigung und Innenministerium). Diese Regierung setzte umgehend einige langjährige Forderungen der Industrie- und Wirtschaftsverbände um, so etwa die Möglichkeit der Einführung des 12-Stunden Arbeitstages und der 60-Stundenwoche in allen Branchen. Die FPÖ nutzte ihre Regierungsbeteiligung um ihre Positionen – nicht zuletzt auch auf Kosten der konservativen ÖVP – im Staatsapparat auszubauen.
Rechtextreme FPÖ in Schwierigkeiten
Die Regierung platzte im Mai dieses Jahres, einen Tag, nachdem das Video vom deutschen Magazin Spiegel und der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht wurde. Der 20 Jahre alte Partyhit „We are going to Ibiza“ landet wieder auf Platz Eins der österreichischen Charts und wird zur Hymne der österreichischen RegierungsgegnerInnen.
Die derart zur Kenntlichkeit geoutete FPÖ-Führung war selbst für die Konservativen nicht mehr in der Regierung zu halten, obwohl der 32-jährige Kanzler Kurz alle rechtextremen Äußerungen seines Koalitionspartners bis dahin konsequent ignoriert hatte.
Nicht nur mit den Stimmen fast aller Oppositionsparteien, sondern auch mit den Stimmen der FPÖ wurde wenige Tage später der Regierung Kurz im Parlament das Vertrauen entzogen. Lediglich die neoliberalen NEOS stimmten – gemeinsam mit den regierenden Konservativen – dagegen. Der Bundespräsident ernannte daraufhin eine Übergangsregierung aus RichterInnen und hohen Beamten. Bundeskanzlerin wurde die ehemalige Höchstrichterin Brigitte Bierlein, die erste Frau in dieser Position.
Bei der kurz darauf folgenden EU-Wahl stürzte die FPÖ auf unter 20% ab, stabilisierte sich aber in den Umfragen danach wieder bei dieser Marke. Trotz der Tragweite des Skandals glaubten viele FPÖ-AnhängerInnen offenbar der Schutzbehauptung des ehemaligen Vizekanzlers, es habe sich auf Ibiza um eine „b’soffene G’schicht“ (Strache bei seiner Rücktrittsrede am 18. Mai) gehandelt und sind fest der Meinung, die Korruptionsbereitschaft der FPÖ unterscheide sich nicht von der der anderen Parteien. Trotz des Auftauchens weiterer Skandale in und um die FPÖ liegt diese nur zwei Prozentpunkte hinter der Sozialdemokratischen Partei (SPÖ) und ringt mit dieser um den Platz zwei bei der kommenden Wahl.
Konservative ÖVP in günstiger Position
Kurz, der jüngste Altkanzler der Zweiten Republik, und seine Partei führt weiterhin in den Umfragen mit großem Abstand vor SPÖ und FPÖ, die unter dem neuen Parteiobmann wieder eine Regierungsbeteiligung durch und mit der ÖVP anstrebt. Diese hat allerdings einige Hürden aufgebaut: Um ihre angebliche Null-Toleranz gegenüber Rechtsextremismus öffentlichkeitswirksam zu demonstrieren, will sie insbesondere den für seine besonders rassistische und abstoßenden Wahlslogans bekannten ehemaligen FPÖ-Innenminister Herbert Kickl nicht mehr in eine Regierung aufnehmen. Kickl war es auch, der nach 17 Jahren konservativer Führung das Innenministerium übernommen hat und in seinem Ressort eine blaue Umfärbung startete.
Auch sendet die ÖVP zur Stimmenmaximierung Signale in Richtung SPÖ- und Grün-WählerInnen. So änderte sie ihre Haltung zu in Ausbildung stehenden AsylwerberInnen, die nun doch ihre Lehre sollen abschließen dürfen, auch wenn sie einen abschlägigen Aufenthaltsbescheid erhalten haben. Gegenüber MieterInnen – in Österreich mehr als die Hälfte der Bevölkerung – kündigte sie an, dass die Kosten für MaklerInnen von den VermieterInnen übernommen werden sollten – eine langjährige Forderung der MieterInnenverbände und auch der KPÖ.
Die Grünen, die bei der Wahl 2017 an der Vier-Prozent-Hürde gescheitert und seither nicht mehr im Parlament vertreten waren, konnten sich bei der EU-Wahl mit einem zweistelligen Ergebnis zurückmelden und können mit dem Wiedereinzug in den Nationalrat rechnen. Auf Grund der Schwäche der Sozialdemokratie, die mit ihrer neuen Parteivorsitzenden antritt, ist allerdings eine rot-grüne Regierung kaum möglich. Die ÖVP ist daher in der bequemen Lage aus mehreren Koalitionsvarianten wählen zu können, da es kaum möglich sein wird, gegen sie zu regieren.
Die Grünen-Abspaltung Liste Jetzt wird aller Voraussicht nach die Vier-Prozent-Hürde nicht übertreffen. Die zweite kleinere Partei im Parlament, die NEOS, vertritt eine extrem neoliberale Wirtschaftpolitik und strebt eine Regierungsbeteiligung in einer ÖVP-Regierung an.
Linkes Wahlbündnis
Neben der – sehr kleinen – linken Gruppe der Wandel, die der von Yanis Varoufakis ins Leben gerufenen DiEM 25 nahe steht sowie mit der Partei der Europäischen Linken (EL) kooperiert, kandidiert die Kommunistische Partei Österreichs. Die KPÖ, seit 1959 nicht mehr im Nationalrat vertreten, bemühte sich in den letzten Jahren um breitere Wahlbündnisse, um das Stimmgewicht der Linken in Österreich zu erhöhen. Die Hürde, um in das Parlament einzuziehen, ist mit vier Prozent verhältnismäßig hoch, sodass viele linke WählerInnen aus Angst, ihre Stimme ginge verloren, das vermeintlich „kleinere Übel“ wählen. Dadurch erhielten durchaus nicht-linke Parteien unverdientermaßen linke Stimmen. Diesmal ist es gelungen mit der Alternativen Liste Innsbruck (ALI), der türkisch-kurdischen Gruppe DIDF (Föderation Demokratischer Arbeitervereine) und unabhängigen Linken die Wahlplattform Alternative Listen, KPÖplus, Linke und Unabhängige zu bilden.
Das Wahlbündnis konzentriert sich unter der Losung „Wir können“ auf die Themen leistbares Wohnen, gegen die Käuflichkeit der Politik, gegen die sich öffnende Schere zwischen Arm und Reich, gegen Rassismus und die klimakillenden Konzerne.
Wohin Österreich vier Monate nach Ibizia gelangen wird, wird sich in Kürze zeigen.