Vier Jahre lang wurde gegen die Herausgeber_innen des Magazins Brzask, dem Newsletter der Kommunistischen Partei Polens und der Website der Partei, ein Gerichtsverfahren geführt. Die Staatsanwaltschaft wirft den Herausgeber_innen vor "öffentlich ein totalitäres Staatssystem zu befürworten". Im Zuge des Verfahrens zeigte sich jedoch, dass es in Wahrheit darum geht, dass Brzask eine Interpretation der Geschichte
Vier Jahre lang wurde gegen die Herausgeber_innen des Magazins Brzask, dem Newsletter der Kommunistischen Partei Polens und der Website der Partei, ein Gerichtsverfahren geführt. Die Staatsanwaltschaft wirft den Herausgeber_innen vor "öffentlich ein totalitäres Staatssystem zu befürworten". Im Zuge des Verfahrens zeigte sich jedoch, dass es in Wahrheit darum geht, dass Brzask eine Interpretation der Geschichte bietet, die in den Augen der Staatsanwaltschaft falsch ist und um die ungesetzlichen politischen Ansichten der Angeklagten.
Ein solches Bild des Verfahrens ergibt sich aus Bruchstücken des Verfahrens am 3. März 2020, das die Angeklagten offenbaren. Die meisten Fragen, die von Staatsanwalt Jakub Jagoda gestellt wurden, betrafen historische Themen und im Gerichtssaal entfaltete sich eine historisch-ideologische Debatte. Hier einige der Fragen des Staatsanwalts, die er dem Angeklagten Marcin Adam stellte:
- "Herr Adam, waren Ihrer Meinung nach die politischen Systeme, die in der UdSSR während der Regierungszeit von Wladimir Lenin, Josef Stalin und in der Volksrepublik China während Mao Tse-tungs Amtszeit vorherrschten, totalitäre Regime?"
- "Waren Ihrer Meinung nach die politischen Entscheidungen, die Wladimir Lenin, Josef Stalin, Feliks Dzerzhinsky und Mao Tse-tung trafen, der direkte Auslöser für Völkermorde und Hungersnöte in den betreffenden Staaten? Kurz gesagt, waren diese Personen direkt für Völkermord in der UdSSR und der VR China verantwortlich?"
- "Kennen Sie das Konzept der ‚Großen Säuberung’ und geben Sie zu, dass die dafür verantwortliche Person Josef Stalin war?"
- "Welches, denken Sie, ist ein besseres politisches System: Jenes in der UdSSR oder das aktuelle demokratische System Polens? Welches davon ist demokratischer und bürger_innenfreundlicher?" [1]
Herausgeber_innen kommunistischer Medien wurden nach dem berüchtigten Artikel 256, Satz 1 des Strafgesetzbuchs angeklagt:
"Wer ein faschistisches oder anderes totalitäres Staatssystem öffentlich befürwortet oder auf der Basis von nationalen, ethnischen, rassistischen oder religiösen Unterschieden oder jemandes atheistischer Gesinnung Hass schürt, wird mit einer Geldstrafe, Freiheitsbeschränkungen oder einer Freiheitsstrafe von bis zu 2 Jahren belegt."
Jedem der Angeklagten wurde angelastet,[
"Teil des Redaktionsteams des Magazins Brzask zu sein, dessen auf seinen Seiten veröffentlicher Inhalt sich direkt auf die Ideen eines kommunistischen Staatssytems und Marxismus und Leninismus bezieht, der daraufhin auf der Website www.kompol.org publiziert wurde, was im Zusammenhang der historischen Erfahrung eine Absage an demokratische Werte darstellt."
In der Anklageschrift wurden jedoch keine spezifischen Anschuldigungen angeführt. Als Beweis heftete die Staatsanwaltschaft etwa 1.000 kopierte Seiten aller Ausgaben von Brzask zwischen November 2008 und August 2014 an, sowie einen großen Teil der Inhalte der offiziellen Website der Kommunistischen Partei Polens aus diesem Zeitraum.
Detaillierte Anschuldigungen waren ausschließlich in der Entscheidung des Bezirksgerichts von Juni 2017 enthalten, das nach einem erstinstanzlichen Freispruch das Bezirksgericht in Dąbrowa Górnicza mit einer Wiederaufnahme des Prozesses beorderte. Das Regionalgericht übernahm daher die Rolle des Staatsanwalts und hängte nur ein paar dutzend ausgewählte Publikationen als Beweismittel an die Anklageschrift an.
Die Schwäche der Argumentationslinie der Staatsanwaltschaft wird augenscheinlich durch die Tatsache, dass Untersuchungsbeauftragte nicht einmal dazu in der Lage waren, die blutrünstigen Antikommunist_innen des Instituts des Nationalen Gedenkens von der Schuld des Brzask-Teams zu überzeugen. Noch bevor der Fall an das Gericht erging hatte die Staatsanwaltschaft beim Institut des Nationalen Gedenkens um dessen Meinung angefragt. In seiner Antwort schrieb Adam Dziurok von dieser Institution, dass "die öffentliche Verkündung und Befürwortung kommunistischer Werte in jener Form, wie dies die Kommunistische Partei Polens praktiziert, mindestens umstritten ist, auch wenn sie sich nicht explizit auf totalitäre Methoden und Praktiken bezieht". [2] Die Argumente der Staatsanwaltschaft wurden nur von einem Sachverständigen befeuert, der von der Staatsanwaltschaft beauftragt worden war – Dr. Rafał Łętocha, ein Politikwissenschafter und Religionsexperte an der Jagiellonen-Universität, der mit rechtsextremen Kreisen in Verbindung gebracht wird. Łętocha ist für seine Publikationen in den ultrarechten Magazinen Glaucopis, Polityka Narodowa (Nationale Politik) Fronda, Templum Novum und Pro Fide, Rege et Lege bekannt. Er bekannte sich jedoch nie öffentlich zur Partei Ruch Narodowy (Nationale Bewegung). In einer 2010 von einem Blogger der Website Salon24 durchgeführten Umfrage äußerte er seine Bewunderung für historische Figuren wie etwa Roman Dmowski, Wojciech Wasiutyński, Stanisław Piasecki, Jan Mosdorf und Adam Doboszyński. "Die gesamte NSZ [NSZ [Narodowe Siły Zbrojne / Nationale Streitkräfte; die polnische rechte Untergrundorganisation im Zweiten Weltkrieg] würde hier hinzukommen, weil ihre heldenhafte Einstellung – sie kämpften bis zum Ende an zwei Fronten – beeindruckend ist", fügte er hinzu.
Eine dermaßen deutliche ideologische Neigung muss an der Unbefangenheit des Sachverständigen Zweifel schüren. [3] In seinem Sachverständigengutachten fährt Rafał Łętocha schwere Geschütze gegen die Kommunist_innen auf und stellt fest: "Es sollte jedoch angenommen werden, dass die Anwendung revolutionärer Maßnahmen zur Machtübernahme ins Auge gefasst werden". Für ihn ist es nicht glaubhaft, dass sich die Angeklagten nicht zum Totalitarismus bekennen:
"Erklärungen betreffend einer negativen Einstellung zum Totalitarismus (IDs. 104/15, Band 1, S. 118, 130) sollten als Wortklauberei, Unehrlichkeit oder zumindest Haarspalterei gesehen werden, da die Aktivist_innen der Kommunistischen Partei Polens das kommunistische System schlicht nicht als totalitaristisch anerkennen; für sie ist zählt nur Faschismus oder Nazismus, oder möglicherweise Kapitalismus als Totalitarismus".
Kommunist_innen machen sich laut Łętocha sogar mit ihrer Meinung zu Filmen oder Literatur strafbar:
"Auf den Seiten von Brzask wird der Film Katyn des Regisseurs Andrzej Wajda als ‚abstoßender Schund voller hysterischer Lügenpropaganda’ bezeichnet, der von den Nazis verfälschte Daten zum Massaker von Katyn präsentiere (IDs 104/15 Band V, S. 794). Andererseits wird das Buch Inny świat (Eine andere Welt) von Gustaw Herling-Grudziński als ‚Waffe in der Hand der Imperialist_innen, die allein dem Zweck der Ad-hoc-Propaganda dient und keinen literarischen Wert aufweist’, bezeichnet." (IDs. 104/15 Band V, S. 794) [4]
In seiner Conclusio formuliert Rafał Łętocha Anschuldigungen, die hauptsächlich eine Zukunftsperspektive betreffen, die von den Behörden der Dritten Polnischen Republik als nicht wünschenswert bezeichnet wird. Die Abweichung der Angeklagten von der offiziellen Linie zur historischen Politik des Landes wird als verwerflich angesehen, auch wenn – wie er selbst zugibt – er auf den Seiten der analysierten Medien "keine direkte Forderung nach totalitären Methoden" findet:
"Es besteht für mich kein Zweifel, dass wir sowohl in den Materialien als auch Publikationen der Kommunistischen Partei Polens und noch mehr in jenen der Kommunistischen Jugend Polens auf eine Forderung nach kommunistischen Totalitarismen und die Befürwortung totalitärer Methoden und Praktiken des Kommunismus stoßen. Auch wenn wir dort keine explizite Unterstützung für totalitäre Methoden, sondern ein verbales Bekenntnis zur Demokratie finden, gibt es zweifellos offene Unterstützung für Staaten, in denen verschiedene Formen des Totalitarismus angewendet worden waren oder dies noch sind; auch wenn Personen, die mit der Kommunistischen Partei Polen oder der Kommunistischen Jugend Polens im Verbindung gebracht werden, formell abstreiten, dass sich so etwas dort zugetragen habe oder sich dort zutrage. Darüber hinaus ist der große Respekt und die Ehrbezeugung gegenüber Menschen charakteristisch, die in verschiedenen Staaten totalitäre Regimes eingerichtet haben oder den hiesigen Terrorapparat anleiteten, wie Wladimir Lenin, Josef Stalin, Feliks Dzerzhinsky, Lavrenty Beria, Kim Ir Sen, Kim Dzong Il, Mao Tse-tung, Enver Hoxha, Bolesław Bierut uvm. Auffallend ist auch die Ablehnung jeder Art von Kritik an totalitären kommunistischen Staaten und die unreflektierte Akzeptanz einer Darstellung der Ereignisse und Geschichte, die vom Propagandaapparat jener Staaten verfasst wurde, als die einzig wahre." [5]
Um die Atmosphäre des Terrors zu vervollständigen formuliert Łętocha äußerst unbegründete Anschuldigungen politischer Natur: "Propagiert werden Slogans, die die Unabhängigkeit der Republik Polen bedrohen: ‚Nieder mit der Dritten Republik. Lang lebe die Polnische Sowjetische Sozialistische Republik’. Er verweist jedoch auf keinerlei Beweise, dass die hypothetische Polnische Sowjetische Sozialistische Republik im Sinne des Autors dieses Slogans ein abhängiger Staat sei. Der Sachverständige ist auch darüber empört, dass auf der Website der Kommunistischen Partei Polens "unverblümt die Abschaffung von Privateigentum gefordert wird, wie etwa: Produktionsmittel, Rohstoffe und Bodenschätze, Immobilien, Boden und Kapital". Auch das Bekenntnis der Kommunist_innen zu demokratischen Werten lässt ihn nicht stutzen. Er weiß, dass es sich dabei nur um eine kommunistische Lüge handelt.
"Natürlich genießen es die Aktivist_innen und Ideolog_innen der Kommunistischen Partei Polens und der Kommunistischen Jugend Polens, mit Wörtern wie Demokratie und Freiheit um sich zu werfen, da diese Begriffe, wie schon Benjamin Constant feststellte, leider in verschiedenstem Sinne verwendbar sind", stellt er fest. [6]
Es ist bezeichnend, dass Łętocha zwar einige aufrührerische Artikel zitiert, aber die Namen der Autor_innen nicht angibt. Daher wissen wir nicht, ob diese Texte überhaupt aus der Feder eines der vier Angeklagten stammen. Das bedeutet, dass er das Prinzip der kollektiven Verantwortung gutheißt. Der Herr Doktor legt außerdem einen schlampigen Arbeitsansatz an den Tag: In seinem Sachverständigengutachten bezeichnet er die Website der Kommunistischen Partei Polens konsequent als die Website der Polnischen Kommunistischen Jugendorganisation. [7]
Einer der Angeklagten, Marcin Adam, ist der Ansicht, das jahrelange Verfahren gegen die Kommunist_innen sei ein SLAPP, wie dies in der angelsächsischen Judikatur bezeichnet wird, nämlich ein strategischer Prozess gegen die öffentliche Teilhabe.
"Ein SLAPP ist eine Gerichtsverfahren, das darauf abzielt, Kritiker_innen zu zensieren, einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen, indem ihnen ihre Anwaltskosten solange aufgebürdet werden, bis sie von ihrer Kritik Abstand nehmen. Solche Verfahren wurden in viele Staaten als ungesetzlich erklärt, da sie die Redefreiheit bedrohen. In einem typischen SLAPP geht der oder die Kläger_in nicht davon aus, den Prozess zu gewinnen. Sein oder ihr Ziel ist bereits erreicht, wenn die Angeklagten aus Angst, Einschüchterung, steigenden Gerichtskosten oder auch Überlastung aufgibt und seine Kritik nicht weiter äußert", so die –hier auf Deutsch übersetzte – englischsprachige Wikipedia.
Marcin Adam stellt fest, dass im Westen solche Verfahren üblicherweise von Unternehmen gegen "unbequeme" Einzelpersonen oder NGOs angestrengt werden, während sich in Polen staatliche Behörden dieser Taktik zuwenden. Er beschreibt weiter, dass diese Art von Verfahren für die Angeklagten mit großen Komplikationen einhergeht, da sie zeit- und kostenintensiv sind und möglicherweise zu Schwierigkeiten bei der Jobsuche führen.
"Dies ist kein Strafprozess. Wir werden aufgrund unserer Ansichten verurteilt – darum geht es schließlich ständig in den Diskussionen im Gerichtssaal. Der Prozess erfüllt alle Charakteristiken eines Ketzerprozesses. Es geht um allgemeine Ketzerei, nicht um ein bestimmtes ketzerisches Vergehen. Es wird keine spezifische Publikation zitiert, die das Gesetz bricht. Als Beweislast wird sehr umfassendes Material verwendet, in Form zahlreicher Ausgaben von Brzask und der Website. Die Suche nach spezifischen Beweisen wird erst im Gerichtssaal vorgenommen", führt er in einem Interview mit dem Autor dieses Textes aus.
Das für einen SLAPP typische Element der Schikane gegen die Angeklagten wurde durch die schiere Länge des Verfahrens, seine zweimalige Wiederaufnahme sowie den Einsatz außerordentlicher Mittel ersichtlich. Die erste Entscheidung des Bezirksgerichts in Dąbrowa Górnicza (wo sich der Sitz der Kommunistischen Partei Polens befindet) fiel im April 2016 als präskriptives Urteil, das üblicherweise bei Bagatelldelikten sowie Situationen, in denen keine Zweifel über die Schuldfrage besteht, zur Anwendung kommt. Dies umfasst die Ausstellung eines Urteils ohne eine sonst übliche Anhörung.
"Das Gericht in Dąbrowa Górnicza berücksichtigte nur den Bericht der Staatsanwaltschaft, ohne dem Redaktionsteam die Gelegenheit zu geben, sich selbst zu verteidigen. Sie hatten nicht die Chance, ihre Argumente darzulegen, nicht einmal das Parteiprogramm der Kommunistischen Partei Polens oder vollständige Fassungen der von der Staatsanwaltschaft beanstandeten Artikel. Die beklagten Redakteur_innen legten Berufung gegen das Urteil ein, was das Gericht dazu zwang, einen regulären Prozess einzuleiten", so Piotr Ciszewski auf der Website Strajk.eu. [8]
Später lehnte das Bezirksgericht in Dąbrowa Górnicza die Anklagepunkte der Staatsanwaltschaft zweimal ab und entschied im Januar 2017, das Verfahren einzustellen. Zwei Jahre später folgte der Freispruch. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft legte das Bezirksgericht Katowice den Fall zweimal zur Wiederaufnahme am Bezirksgericht vor – im Juni 2017 und im Juli 2019. [9] Noch während des Rechtsstreits, am 17. Januar 2017, starb der 90-jährige Marian Indelak, einer der vier Angeklagten. Im Zuge der jüngsten Entwicklungen, am 17. März 2020, stellte das Bezirksgericht Dąbrowa Górnicza das Verfahren ein, verpflichtete jedoch die Angeklagten jeweils zur Zahlung von 1000 PLN – etwa 220 Euro – an den "Opferhilfeverband" und zur Deckung eines Teils der Gerichtskosten. Die angeklagten Redakteur_innen wurden also nicht verurteilt, aber finanziell bestraft, was auch als skurrile Entscheidung zu werten ist. Es sieht danach aus, als hätte das Bezirksgericht eine raffinierte Lösung gefunden: Einerseits konnte es die Angeklagten aufgrund der fehlenden Beweise nicht mit guten Gewissen verurteilen, andererseits wollte es auch die Aufmerksamkeit höhergestellter Behörden nicht auf sich ziehen. Die Angeklagten kündigten Berufung gegen die gerichtliche Entscheidung an.
Der Fall wurde offensichtlich auf Wunsch von regierungsnahen Kräften aufgeschaukelt. Das wird auch durch sein Zustandekommen deutlich. Das Verfahren nahm mit einer Anzeige des Parlamentsabgeordneten Bartosz Kownacki von der PiS (Prawo i Sprawiedliwość – Recht und Gerechtigkeit) 2013 seinen Ausgang. Damals weigerte sich die Staatsanwaltschaft jedoch, ein Verfahren einzuleiten. Das Verfahren wurde schließlich doch auf der Basis dieser Anzeige aufgenommen, jedoch erst nachdem die PiS die Parlamentswahlen 2015 gewonnen hatte. Am 31. Dezember 2015 übermittelte die Bezirksstaatsanwaltschaft in Katowice eine Anklageschrift an das Bezirksgericht in Dąbrowa Górnicza. Das politische Motiv hinter der Anklage wird von seinem Urheber, der als Zeuge während einer Anhörung auftrat, auch gar nicht verschleiert. Er sagte vor dem Gericht aus, dass Menschen wie die Angeklagten "mit Brandeisen gekennzeichnet werden sollten".
Das Verfahren wurde von linksgerichteten Kreisen mit großem Interesse verfolgt. Sie sehen es als gefährlichen Präzedenzfall, der sich in anderen EU-Staaten ähnlich abspielen könnte. Am Tag vor neuen Anhörungen wurden in vielen Hauptstädten der Welt vor den polnischen Botschaften Protestveranstaltungen abgehalten. Kommunistische EP-Abgeordnete nahmen auch als Beobachter_innen an einigen Anhörungen teil. Die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) war ins diesem Bereich besonders aktiv.
Eine Bestätigung der von den westeuropäischen Kommunist_innen geäußerten Bedenken ist die Resolution "Zur Bedeutung des europäischen Geschichtsbewusstseins für die Zukunft Europa", die vom Europaparlament am 18. September 2019 verabschiedet wurde.
"Diese Entschließung verfälscht die Geschichte in Bezug auf den Hauptgrund für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, mit der Nennung des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts, der im August 1939 vom Dritten Reich und der UdSSR unterzeichnet wurde. (…) Niemand schreibt die Geschichte neu, ohne die Absicht, die Gegenwart und Zukunft auf eine gewisse Weise zu formen. Heute geht es darum, nicht nur Kommunist_innen – die mit der Ausnahme Portugals heute in keiner Regierung Europas etwas mitzureden haben – zu diskreditieren und ihnen ihre Legitimität abzusprechen, sondern ganz pauschal allen linksgerichteten Personen, die sich links der alten, am Establishment orientierten Sozialdemokratie, die schon vor langer Zeit vom neoliberalen Mainstream aufgesaugt wurde, verorten", kommentierte Kolumnist Jarosław Pietrzak dies auf der Website Strajk.eu. [10] Die Schmutzkübelkampagne gegen Kommunist_innen in Polen ist Teil dieses Plans.
Unglücklicherweise ist die im Parlament vertretene Linke über diese Bedrohungen scheinbar nicht im Bilde, da sie angesichts der Schikanen seitens der Staatsanwaltschaft gegen das kommunistische Redaktionsteam völlig gleichgültig blieb. Piotr Nowak, Kolumnist bei strajk.eu, warnt vor den Konsequenzen einer solchen Tatenlosigkeit: "Die Überzeugung der Aktivist_innen der Kommunistischen Partei Polens zeigt an, in welche Richtung sich die Behörden entwickeln. Der Weg ist bereits vorgezeichnet. Nahezu alle rechtsextremen Regimes haben mit Übergriffen auf Kommunist_innen begonnen – von Mussolini, Hitler und Franco bis Pinochet und Suharto." Er ist der Ansicht, dass die Belästigung von Kommunist_innen einen Versuch darstellt, das höhere Ziel einer "tatsächlichen Kriminalisierung aller Ansichten links der Sozialdemokratie" zu erreichen. Die Bedrohung sei ernst, da "die Bande an Ignorant_innen, die sich an die Spitze der Machtstrukturen gesetzt haben, viel gefährlicher ist, als dies in der Vergangenheit der Fall war, da sie heute von einer Vision besessen sind, die nationale Bevölkerung von bedrohlichen Elementen zu säubern." Die Behörden greifen Kommunist_innen an, während Organisationen eindeutig braungefärbter Gesinnung in engen Reihen marschieren, Staatswürdenträger_innen auf Friedhöfen sich tief vor rechtsextremen Held_innengräbern verneigen, rassistische oder fremdenfeindliche Ansichten im öffentlich-rechtlichen Fernsehen verbreitet und legitimiert werden, deren aktuelle Angestellte sich erlauben, offen zu Gewalt aufzurufen, wie etwa mit dem Slogan "und Kommunist_innen werden anstelle von Blättern von den Bäumen hängen". [11]
Eine neue Bedrohung für die Äußerung linker Ansichten geht von der geplanten Änderung des Artikels 256 des Strafgesetzbuchs aus. Ein Zusatz soll kommunistische Aktivitäten verbieten und Gefängnisstrafen auf drei Jahre erhöhen. Nach dieser Änderung soll § 1 durch folgenden Passus ersetzt werden:
"§ 1: Wer öffentlich ein nazistisches, kommunistisches, faschistisches oder anderes totalitäres Staatssystem propagiert oder auf der Grundlage nationaler, ethnischer, rassistischer, religiöser Unterschiede oder aufgrund von jemandes Atheismus Hass schürt, soll mit einer Gefängnisstrafe von bis zu drei Jahren belegt werden."
Unter dem neuen § 1a ist es auch verboten, nazistische, kommunistische oder faschistische Ideologie sowie Ideologie, die "zur Anwendung von Gewalt mit dem Ziel der Beeinflussung des politischen oder sozialen Lebens aufruft" zu verbreiten. Strafbar macht sich außerdem jede Person, die
"Druckmaterial, Aufnahmen oder jeglichen anderen Gegenstand, der unter § 1 oder § 1a beschriebene Inhalte verbreitet, herstellt, speichert oder importiert, kauft, vernichtet, anbietet, aufbewahrt, besitzt, präsentiert, transportiert und versendet, oder der nazistische, kommunistische, faschistische oder andere totalitäre Symbole auf eine Weise zur Schau stellt, dass sie den Inhalt in § 1 oder § 1a befürworten."
Wären solche Bestimmungen aktuell in Kraft, hätte die Staatsanwaltschaft – wenn man das Ziel der Kommunist_innen in Polen, legal ihren Aktivitäten nachzugehen, in Betracht zieht – leichtes Spiel, das Gericht von den totalitären Tendenzen der Kommunist_innen zu überzeugen – die Situation ist also wirklich gefährlich. Artikel 256 in seiner neuen Form stellt eine Bedrohung für die Demokratie und eine Kriminalisierung der Verbreitung linker Ideen dar. Die Behörden werden dazu in der Lage sein, solche Ideen völlig willkürlich als "Kommunismus" zu bezeichnen. Dies ist nicht nur für linke Parteien oder Gruppierungen gefährlich, sondern ganz allgemein für soziale Organisationen. Nicht nur das: Der abgeänderte Artikel 256 stellt auch für die Welt der Wissenschaft eine potentielle Bedrohung dar. Der Aktivist der Initiative Rote Geschichte Piotr Ciszewski sagte im Zuge einer Demonstration am 12. Juni 2019, dass sich jede_r, der/die die Schriften von Marx oder Engels zitiert, damit schuldig machen kann. Die Änderung des Paragraphen im Strafgesetzbuch wurde an den Verfassungsgerichtshof weitergeleitet, der sich am 26. Mai mit diesem Thema befassen wird. [12]
Im Zusammenhang mit dem Verfahren gegen die Herausgeber_innen von Brzask und den wachsenden antikommunistischen Tendenzen in Regierungskreisen lohnt es sich auch auf Artikel 13 der polnischen Verfassung hinzuweisen, der häufig von rechten Politiker_innen und Kolumnist_innen zitiert wird:
"Verboten sind alle politischen Parteien und anderen Organisationen, die in ihren Programmen auf totalitäre Methoden und Praktiken des Nazismus, Faschismus und Kommunismus verweisen sowie jene, deren Programme oder Aktivitäten rassistischen und auf Nationalität beruhenden Hass, die Anwendung von Gewalt zur Machtübernahme oder Beeinflussung der staatlichen Politik erwägen oder zulassen, oder dafür sorgen, dass ihre Strukturen oder Mitgliedschaften im Verborgenen bleiben."
In den Augen der Antikommunist_innen zielt diese Bestimmung darauf ab, die Aktivitäten kommunistischer Parteien zu verbieten. In der Tat stellt sie jedoch wegen ihrer ungenauen, nahezu journalistischen Formulierung keine direkte Bedrohung für die Existenz radikal linker Initiativen dar. Auch wenn sie auf indirekte Weise die Gestalt der Rechtsprechung beeinflusst, indem sie Menschen beispielsweise inspiriert, solche Aktivitäten wie in der zuvor genannten Änderung an Artikel 256 des Strafgesetzbuchs vorzunehmen. Verfassungsrechtsexperte Prof. Marek Chmaj ist der Ansicht, dieser Passus stelle nur totalitäre Tendenzen unter Strafe. "Diese Bestimmung sollte im Kontext mit den anderen Bestimmungen gesehen werden und es sollte anerkannt werden, dass sie jene Praktiken des Nazismus, Faschismus oder Kommunismus verbietet, die unter die Definition des Totalitarismus fallen oder sich auf Totalitarismus beziehen", stellt er fest. [13] Natürlich bewegen wir uns hier auf dem unsicheren Terrain der Definition von Totalitarismus. Die beste Lösung wäre es daher, diese unglücklich formulierte Verfassungsnorm zu streichen. Sie wurde auch bereits vom herausragenden Verfassungsrechtsexperten Prof. Wojciech Sokolewicz als überflüssig erklärt. "Eine ähnliche Funktion wie die umfassenden Bestimmungen von Artikel 13 würde das schlichte Verbot von Parteien (Organisationen) erfüllen, deren Ziele und Aktivitäten in Konflikt mit der Verfassung stehen". [14]
Quellen
- Aufnahme von Marcin Adam während der Anhörung am Gericht Dąbrowa Górnicza, online: Youtube, Odrodzenie Komunizmu: Proces KPP -Przesłuchanie Tow Marcina Facebook, Bartosz Bieszczad
- Dokument mit dem Datum 21. Mai 2015, Geschäftszahl 1 Ds. 104/15
- SALON24, Krzysztof Wołodźko: Rafał Łętocha: O ruchu narodowym, POLITYKA
- Ebd.
- Sachverständigengutachten zum Thema: Preisen die Publikationen, die in den Gerichtsverhandlungen vorgebracht wurden sowie die Gründungsdokumente der Kommunistischen Partei Polens in Dąbrowa Górnicza ein totalitäres Staatssystem oder beziehen sie sich darauf? Eine gesonderte Analyse des Magazins Brzask gemeinsam mit Publikationen auf der Website der Kommunistischen Partei Polens und eine gesonderte Analyse der auf der Website der KOMUNISTYCZNA PARTIA POLSKI – Verein der Kommunistischen Jugend Polens publizierten Inhalte (Gerichtsakten KR – 2036/13, RSD-KR-726/13)
- Ebd.
- Ebd.
- Strajk.eu, Piotr Ciszewski: Najpierw przyszli po komunistów
- KOMUNISTYCZNA PARTIA POLSKI, cpofpoland: Proces redaktorów pisma Brzask wraca na wokandę
- Strajk.eu, Jarosław Pietrzak: Unia Europejska, faszyzm, komunizm i znak równości
- Strajk.eu, Piotr Nowak: Kiedy przyszli po komunistów
- Trybunał Konstytucyjny: Nowelizacja kodeksu karnego – postępowanie legislacyjne, dopuszczalny zakres poprawek senackich
- Marek Chmaj, Kommentar zu Artikel 11 und 13 der Polnischen Verfassung, Warschau 2019, S. 158.
- Wojciech Sokolewicz, Artikel 13. In: The Constitution of the Republic of Poland. Commentary, (Hg.) L. Garlicki, Warschau 2007, S. 20.
Der Originaltext in polnischer Sprache wurde im Magazin Nasze Argumenty 1 (3)/2020 veröffentlicht.