Nachdem die Europäische Zentralbank (EZB) ein neues Ankaufprogramm von Staatsanleihen der Krisenstaaten, die sich einem Sanierungsprogramm unterziehen, beschlossen hatte, registrieren wir auf den Finanzmärkten ein Kursfeuerwerk. Ist mit dem neuen Abschnitt der Geldpolitik jetzt der gordische Knoten der hartnäckigen Krise der Euro-Zone endlich durchschlagen? »Die Finanzmärkte bejubeln den Tod der Bundesbank« titelte die Welt. Sie
Nachdem die Europäische Zentralbank (EZB) ein neues Ankaufprogramm von Staatsanleihen der Krisenstaaten, die sich einem Sanierungsprogramm unterziehen, beschlossen hatte, registrieren wir auf den Finanzmärkten ein Kursfeuerwerk. Ist mit dem neuen Abschnitt der Geldpolitik jetzt der gordische Knoten der hartnäckigen Krise der Euro-Zone endlich durchschlagen?
»Die Finanzmärkte bejubeln den Tod der Bundesbank« titelte die Welt. Sie sieht das Ende einer Geldpolitik, mit der jedwede Form der Staatsschuldenfinanzierung durch Notenbanken ablehnt wird. Teile der europäischen Politik zeigen mehr oder minder unverhohlen Befriedigung über die EZB-Entscheidung. Bundeskanzlerin Merkel habe mit ihrer Blockadehaltung in der Frage eines Schuldentilgungspakts EZB-Chef Draghi keine andere Wahl gelassen, als eine Vergemeinschaftung der Schulden durch die Hintertür einzuführen – mit der Konsequenz, dass die EZB jetzt die europäische Schuldenunion mit größerem Tempo vorantreibe als Regierungen und Parlamente.
Keine Frage: Es gibt einen Kurswechsel und dies führt zu einem erheblichen Machtzuwachs der EZB. Gleich wie die juristischen Auseinandersetzungen um den europäischen Fiskalpakt und den ständigen Rettungsfonds ESM auch ausgehen werden, mit dieser Intervention wird die Haftung für Staatsschulden umverteilt, ohne entsprechende demokratische Legitimation durch die Parlamente der Mitgliedsländer.
Aber bringt dieser Coup der EZB bei allen Risiken wenigstens den Übergang in eine ruhigere Entwicklungsphase? Massive Zweifel sind angebracht, weil schon der zweimalige Einsatz des Waffenarsenals der EZB (»Bazooka«) zum zurückliegenden Jahreswechsel rasch verpuffte. Die EZB hatte auf die Spannungen im Interbanken-Markt mit einer besonderen Liquiditätsoperation reagiert. Über die geldpolitische Operation LTRO (»Longer-term refinancing operation«) hatte die EZB in zwei Tranchen im Dezember 2011 und im Februar 2012 insgesamt brutto mehr als eine Billion Euro in das europäische Bankensystem gepumpt. Den Geschäftsbanken wurde die Möglichkeit gegeben, sich für drei Jahre unbegrenzte Mittel bei der EZB zu einem Zinssatz von 1% zu leihen. Die LTROs haben zu einer starken, weltweiten Rallye bei Aktien beigetragen und die Zinskosten für die Krisenländer vorübergehend gedrückt. Damit wurden die Verwerfungen im europäischen Kreditsystem zeitweilig gemildert und die Befürchtungen vor einem Zusammenbruch wichtiger Banken in den Hintergrund gedrängt.[siehe Grafik I in der Dokumentation]
Aber: Schon wenige Monate später klagen Banker und Politiker erneut über einen wachsenden Ausschluss von Banken und Unternehmen im europäischen Kreditsystem. Finanzinstitute in den Krisenländern haben starke Refinanzierungsprobleme, insbesondere deutsche Banken haben in den vergangenen Jahren ihre Risiken in den Euroländern deutlich abgebaut, vor allem in den Krisenländern des Euro-Raums. Hatten deutsche Banken im Dezember 2009 gegenüber Griechenland, Irland, Italien, Portugal und Spanien noch Forderungen von 522 Milliarden Euro, waren es im Juni nur noch 283 Milliarden Euro. Der Abzug von Finanzmitteln, der nicht nur auf die bundesdeutschen Banken beschränkt blieb, wird durch die Kapitalflucht aus den Ländern verstärkt.[siehe Grafik II in der Dokumentation]
Abzulesen ist die letztere unter anderem an der Entwicklung der Einlagen bei den griechischen Banken. Allein im ersten Halbjahr 2012 zogen die Griechen 15 Milliarden Euro von den heimischen Banken ab. Aus Griechenland sind nach Berechnungen einer US-Nichtregierungsorganisation seit dem Jahr 2003 etwa 261 Mrd. Dollar (knapp 207 Mrd. Euro) an Schwarzgeld ins Ausland transferiert worden. Die italienische Notenbank geht davon aus, dass in den letzten zweieinhalb Jahren rund 300 Milliarden Euro ins Ausland geflossen sind. Ängste vor der Rückkehr zur Lira und der Einführung einer Reichensteuer führten vor allen Dingen zu Abflüssen in die Schweiz.
Die EZB ist seit geraumer Zeit die wichtigste Institution um die »Balkanisierung« der südeuropäischen Finanzsysteme aufzufangen. Allerdings wird auch die erweiterte Refinanzierungsoperation der EZB – wie die LTROs – das vorgegebene Ziel nicht erreichen. Erneut wurde nur Zeit erkauft. Zu Recht mahnte der Sachverständigenrat Anfang Juli, nachdem von den Staats- und Regierungschef die offensivere Rolle der EZB verabredet worden war: »Die mit den jetzt beschlossenen Maßnahmen gewonnene Zeit sollte daher dazu genutzt werden, möglichst bald umfassende Lösungen zu implementieren, die den Teufelskreis aus Bankenkrise, Staatsschuldenkrise und makroökonomischer Krise durchbrechen und das verlorengegangene Vertrauen in die Stabilität und Integrität der Währungsunion wiederherstellen.«
Auch dieses Mal sind nachhaltige Antikrisenansätze nicht auf den Weg gebracht worden. Die zeitweiligen Erleichterungen werden verfliegen, wenngleich die Wirkung länger vorhalten wird als die LTRO-Kredite. Umfassendere Lösungen können nicht nur in Maßnahmen zur Stabilisierung des europäischen Finanzsystems bestehen, sondern es müsste mit einem Politikwechsel eine Aussetzung der Austeritätspolitik geben und über ein staatlich finanziertes Investitions- und Wachstumsprogramm in Europa eine zukunftsorientierte Wirtschaftsstruktur implementiert werden, die sich eben nicht durch weitere Abwendung einer binnenwirtschaftlichen Ausrichtung und einen noch stärkeren Übergang zu einer höheren Wettbewerbsorientierung auszeichnet.
Die politischen Institutionen der Eurozone handeln immer nur unter Druck und nur so lange, bis der Druck nachlässt. Die schwelenden Probleme zu lösen, ist nicht in erster Linie Aufgabe der Geldpolitik. Gleichwohl hat die Politik der EZB die Hauptrolle erneut zugeschoben.
Die EZB wehrt sich gegen den Vorwurf, die Eurozone befinde sich in einer Liquiditätsfalle, einer Situation, in der sie mit Zinssenkungen oder geldpolitischen Operationen die Wirtschaft nicht mehr beeinflussen kann. In normalen Zeiten senkt eine Notenbank in der Krise die Leitzinsen, um den Banken die Kreditvergabe zu erleichtern und so die Konjunktur anzukurbeln. Doch der Leitzins ist schon auf einem tiefen Niveau von 0,75%. Aus dieser Konstellation speist sich die These von der Liquiditätsfalle: Europa befindet sich in einer finanz- und geldpolitischen Sackgasse, in der weder eine Zinssenkung noch Billionen von Anleihekäufen die Kreditausweitung auslösen werden. Rasche Zinssenkungen und allenfalls eine »quantitative Lockerung« sind dann angesagt, wenn eine anhaltende Deflation und damit eine Liquiditätsfalle droht, also noch nicht zugeschnappt ist.
In der Situation der Liquiditätsfalle, in der sich die Ökonomien der entwickelten Länder nach wie vor befinden, werden geldpolitische Impulse kaum an die Realwirtschaft weitergegeben. Ein bescheidener wirtschaftlicher Aufschwung mit konstanten Wachstumsraten von 3% real würde helfen, die Karre aus dem Dreck zu ziehen. Die Geldpolitik kann in dieser Richtung aber aktuell wenig bewirken. »Keynessche Anreize« wären wirkungsvoller, dem steht vordergründig die Staatsverschuldung entgegen. Aber statt einer Verschärfung der Austeritätspolitik müsste ein Pakt von Wachstumsimpulsen (durchaus kreditfinanziert) und Sanierung der öffentlichen Finanzen geschnürt werden.
Die Perspektivlosigkeit der bisherigen Politik kann durch einen Blick auf die bisherigen Euro-Länder belegt werden, die unter den Rettungsschirm geschlüpft sind. Vor allem in Griechenland führt der Austeritätskurs zur Verlängerung der Rezession. Griechenland steuert in voller Fahrt auf sein fünftes Rezessionsjahr in Folge zu. Die Wirtschaft des vom Bankrott bedrohten Landes schrumpfte zwischen April und Juni um 6,2% zum Vorjahresquartal. Optimisten werteten dabei als leichten Hoffnungsschimmer, dass sich die Talfahrt immerhin nicht weiter beschleunigte. Gleichwohl sind die Aussichten nicht positiv: Für 2012 wird ein Schrumpfen des Bruttoinlandsproduktes (BIP) um 7,1% und für 2013 von 2,4% erwartet – wegen weiterer deutlicher Rückgänge der verfügbaren Einkommen, steigender Arbeitslosigkeit und einbrechender Investitionen. Zuletzt war die Arbeitslosenquote auf gut 23% gestiegen, fast jeder vierte Grieche ist ohne Job.
Aber auch die anderen Krisenländer können sich der rezessiven Entwicklung nicht entziehen. Irland hatte im November 2010 ein Hilfspaket im Nettovolumen von 68 Milliarden Euro erhalten. Das Land gilt als Vorbild unter den Krisenländern, weil es früher und entschlossener als Portugal, Spanien und Italien mit harten Sparmaßnahmen gegengesteuert hat. Im Frühjahr 2012 billigten die irischen Wähler zudem in einem Volksentscheid den europäischen Fiskalpakt. Aber die globale Konjunkturflaute droht in Kombination mit der Sparpolitik die Erholung auch in Irland abzubremsen. Wegen trüberer Aussichten für die stark exportorientierte Wirtschaft senkte die EU ihre Wachstumsprognose für das BIP im kommenden Jahr auf 1,4% (im Mai waren noch 1,9% vorhergesagt). Für 2012 wurde sie auf von 0,5 auf 0,4% gesenkt.
Irland hat seine Kreditinstitute in den vergangenen Jahren mit Kapitalspritzen von insgesamt 64 Milliarden Euro vor dem Kollaps bewahrt. Nach enttäuschenden Halbjahrszahlen der Bank of Ireland warnen Analysten zudem, das größte irische Kreditinstitut werde womöglich noch mehr frisches Eigenkapital benötigen, um seine Milliardenverluste abzufedern. Der schlechte Kreislauf von wachsenden notleidenden Krediten, Bankenkrise und Anstieg öffentlicher Schulden ist bislang nicht durchbrochen. Das Ausmaß der Bankenkrise in Irland ist nach Einschätzung von Analysten viel größer als in Spanien. Trotz der drastischen Maßnahmen zur Sanierung der Staatsfinanzen ist das Haushaltsdefizit in Irland noch immer höher als in Griechenland, Portugal, Spanien und Italien [siehe Grafik III in der Dokumentation]
Auch Portugal folgt dem ökonomischen Abwärtstrend. Ministerpräsident Coelho hat jetzt weitere Sozialkürzungen angekündigt. Vertreter der internationalen Gläubiger aus EU, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank überprüfen derzeit die Umsetzung des zugesicherten Sparprogramms durch Portugals konservative Regierung. Die Troika führt seit vergangener Woche in Lissabon ihren fünften Evaluierungsbesuch durch. Auf dem Spiel steht die Freigabe einer neuen Tranche des 78-Milliarden-Euro-Hilfspakets in Höhe von 4,3 Milliarden. Das ärmste Land Westeuropas erhielt bisher 57,1 Milliarden Euro. 2011 hatte Lissabon das Sparziel mit einem Haushaltsdefizit von 4,2% deutlich übertroffen. Im Zuge der Sparmaßnahmen wird aber die Wirtschaft 2012 nach einer Rezession von 1,6% im vergangenen Jahr um weitere 3% schrumpfen. Das Kürzungsprogramm war Bedingung für die Gewährung internationaler Finanzhilfen in Höhe von 78 Milliarden Euro. Doch die Maßnahmen machen der Wirtschaft des Landes schwer zu schaffen, und die Arbeitslosenrate liegt mittlerweile bei mehr als 15%.
Portugal wird zum Jahresende nach Einschätzung von Experten ein weitaus höheres Haushaltsdefizit haben als mit der Troika vereinbart. Die vorgesehenen Sparmaßnahmen reichen nicht aus, um das Defizitziel von 4,5% des BIP einzuhalten, stattdessen wird es im ersten Halbjahr dieses Jahres zwischen 6,7 und 7,1% liegen. Die Experten machten vor allem den deutlichen Rückgang an Steuereinnahmen für das Verfehlen des Sparziels verantwortlich. Man werde wegen eines Einbruchs der Steuereinnahmen in Folge der Rezession das Ziel ohne zusätzliche Sparmaßnahmen nicht erreichen.
Daher kündigte die Mitte-Rechts-Regierung des vom Bankrott bedrohten Eurolandes neue Maßnahmen zur Sanierung der Staatsfinanzen an. Man werde 2013 die Sozialversicherungsabgabe der Arbeitnehmer von 11 auf 18% erhöhen. Zur Bekämpfung der Rekordarbeitslosigkeit von 15,7% soll der Beitrag der Arbeitgeber zur Sozialversicherung im Gegenzug von 23,75 auf 18% gesenkt werden. Die bereits für 2012 beschlossene Streichung des 13. und 14. Monatsgehalts für Rentner des privaten Sektors und des öffentlichen Dienstes gelte auch für 2013. Die Beamten müssen zudem im kommenden Jahr auf ein Monatsgehalt verzichten.
Auch in Spanien ist die Mischung von rezessiver Entwicklung und Überschuldung das Kernproblem. Die spanische Wirtschaft ist im zweiten Quartal 2012 erneut geschrumpft. So sank das BIP gegenüber dem Vorquartal um 0,4%, nachdem es im ersten Quartal 2012 um 0,3% nachgegeben hatte. Damit befindet sich Spanien weiterhin in einer Rezession.
Die Rezession und die damit verbundene hohe Arbeitslosigkeit sind der Nährboden für die anhaltenden Bankprobleme. Im Mai 2012 war die Krise um die marode Großbank Bankia offen geworden, die vom Staat zur Sanierung ihrer Bilanzen 23,5 Milliarden Euro benötigt. Die Eurogruppe hat Spanien für die Rekapitalisierung der notleidenden Banken bis zu 100 Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Es wird erwartet, dass die Regierung in Madrid im September die genaue Summe bekanntgeben wird, die sie davon beanspruchen will.
Dass die erneute Zuspitzung der Lage Spaniens nicht für Aufregung an den Kapitalmärkten sorgt, liegt vor allem an der EZB. Aufgrund der beschlossenen Interventionen dürfte eine verschlechterte Lage in Spanien mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Eingreifen der EZB führen. Ohne die einheitliche Währung und die Ströme von der EZB würde Spanien bereits in einer großen Währungskrise stecken. Auch in diesem Land ist eine massive Kapitalflucht zu konstatieren, die sowohl Bankenforderungen als auch Wertpapiere betrifft. Sie hat im ersten Halbjahr einen neuen Rekordstand erreicht. Insgesamt 219,8 Milliarden Euro wurden in den ersten sechs Monaten des Jahres aus Spanien abgezogen. Im entsprechenden Vorjahreszeitraum hatte das Land noch einen Kapitalzufluss von 22,5 Milliarden Euro verzeichnet. Allein im Monat Juni belief sich die Kapitalflucht auf 56,6 Milliarden Euro, gegenüber 41,4 Milliarden Euro im Vormonat.
Nimmt man die Erfahrungen der Krisenländer zusammen, wird deutlich, dass die expansive Geldpolitik der EZB bereits der letzten Jahre sowie die in den letzten beiden Jahrzehnten oft zu niedrigen Leitzinsen weder kosten- noch folgenlos sind. Sie führen letztlich zu verzerrten Anreizen, Umverteilung und Problemen bei Investoren. Zinsen haben in einer Volkswirtschaft eine wichtige Steuerungsfunktion. Sie signalisieren Bürgern, Unternehmen sowie Teilnehmern an den Finanzmärkten, ob es tendenziell attraktiver ist, zu sparen oder sich zu verschulden. Dem Wirtschaftsverlauf nicht angemessene Leitzinsen verzerren Anreizstrukturen. Sind die Leitzinsen zu niedrig, werden Investoren zu Projekten verführt, die sich beim »richtigen« Zinsniveau nicht rechnen würden. Ein sehr niedriges Zinsniveau befördert Wirtschaftssubjekte dazu, zu konsumieren statt zu sparen – obwohl es vielleicht gerade vernünftiger wäre, erst zu sparen, um Schulden abzubauen und sich so vermehrten Konsum in der Zukunft zu verdienen. Von keynesianisch ausgerichteten Ökonomen werden daher als Alternative zu geldpolitischen Impulsen staatliche Konjunkturprogramme als Mittel propagiert, um aus der Liquiditätsfalle zu kommen.
Erstveröffentlicht auf www.sozialismus.de