Mit der Bitte um Solidarität

Wichtiges Update (19.09.)

Verhandlungstermine gegen mich vorläufig aufgehoben!

Die zwei angesetzten Verhandlungstage im Mammutprozess gegen mich am 1. und 15. Oktober wurden aufgehoben. Das Amtsgericht will den Ausgang eines ähnlichen Prozesses (Zeigen von YPG-Fahne) am Oberlandesgericht München abwarten. Das heißt die Anklagen gegen mich werden derzeit weiter aufrechterhalten, aber noch nicht verhandelt, weil das Amtsgericht wissen will, wie die höhere Instanz entscheidet. Auf diese Instanz kommt es jetzt an und es könnte sein, dass dort das YPG-Fahnenverbot in Bayern gekippt wird. Oder eben auch nicht.
Seit Wochen haben wir uns auf den Prozess vorbereitet, eine Verteidigungsstrategie überlegt, Zeugen organisiert, Reden geschrieben. Keine zwei Wochen vorher wird alles abgeblasen. Dieser Brief bedeutet, dass die Entscheidungen in meinen Fällen um weitere Monate verzögert werden.

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Liebe FreundInnen, liebe GenossInnen, liebe Interessierte,
am Dienstag, den 01. Oktober 2019 um 09:30 Uhr und am Dienstag, den 15. Oktober 2019 um 09:30 Uhr findet im Amtsgericht München (Nymphenburger Straße 16) jeweils im Sitzungssaal A221 (2. Stock) ein Mammutprozess gegen mich statt. 13 Anklagepunkte werden verhandelt.
Ich bitte euch hiermit, zu diesem Prozess zu kommen. Betroffen ist einer, gemeint sind wir alle. Und in München wissen wir, dass nicht nur ich betroffen bin, sondern dutzende Personen, die sich solidarisch mit den Menschen in Nordsyrien/Rojava und den Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG/YPJ gezeigt haben.

Worum geht es an diesen beiden Prozesstagen konkret?
Die Staatsanwaltschaft München hat in ihrer Anklageschrift insgesamt 13 Anklagepunkte zusammengefasst. Zehn Mal geht es nur um das Zeigen von Symbolen der kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG (Yekîneyên Parastina Gel), der Frauenverteidigungseinheiten YPJ (Yekîneyên Parastina Jin‎) und der Partei der Demokratischen Einheit PYD. Diese Symbole habe ich sowohl im Internet, als auch auf Demonstrationen gegen die Nato-Kriegskonferenz, gegen den türkischen Angriffskrieg auf Afrin und auf der DGB-Demonstration zum internationalen Tag der Arbeit, dem 1. Mai 2018, gezeigt. Dazu stehe ich nach wie vor. Die Staatsanwaltschaft München wirft mir vor, damit eigentlich Symbole der PKK gezeigt zu haben.

Besonders absurd: Weil in der Abendzeitung München ein Foto vom Friedensaktivisten Claus Schreer, dem kurdischen Aktivisten und Migrationsbeiratsmitglied Azad Bingöl und mir erschienen ist, auf dem ich ein Logo der YPG hochhalte [1], wird mir ebenfalls vorgeworfen ein Kennzeichen gezeigt zu haben, „welches sich die ‚PKK‘ zu eigen gemacht hat“, so die Staatsanwaltschaft.

Ein weiterer Anklagepunkt bezieht sich auf einen Facebook-Post zur polizeilichen Durchsuchung meiner Wohnung am 13. November 2017. Damals waren ein oder zwei türkischstämmige Beamte dabei. Eine davon war mir als Polizeibeamtin von vielen Demonstrationen in München bekannt. Im Anschluss an die Hausdurchsuchung bezeichnete ich sie als „türkisch-nationalistisch“. Ich bin deshalb wegen Verleumdung angeklagt…

Die zwei letzten Anklagepunkte beziehen sich auf das Zitieren im Wortlaut aus Anklageschriften oder anderen amtlichen Schriftstücken eines Strafverfahrens.
Konkret: Ich hatte den Durchsuchungsbeschluss meiner eigenen Wohnung teilweise geschwärzt veröffentlicht, sowie einen teilweise geschwärzten Beschluss des Amtsgerichts Aachen über die Ablehnung eines YPG bezogenen Strafbefehls. In keiner der Veröffentlichungen waren persönliche Daten von Betroffenen oder Beteiligten zu erkennen.

PKK-Verbot in Deutschland

Seit 1993 ist die PKK in Deutschland verboten. Ein Geschenk des damaligen Innenminister Manfred Kanthers (CSU) an den Nato-Partner Türkei, aber auch für die deutsche Innenpolitik. Zu offensichtlich setzte die türkische Armee alte deutsche Panzer gegen kurdische Zivilbevölkerung ein. Das sorgte für Empörung in Deutschland. Mit dem Verbot von 1993 wurden diese Waffen dann auf einmal nur noch gegen "Terroristen" verwendet. In der EU wurde sie 2002 auf die Terrorliste gesetzt, zumindest von 2014 bis 2017 stand sie dort zu Unrecht, wie der Europäische Gerichtshof im November 2018 urteilte.[2]
Die Verfolgung der kurdischen Freiheitsbewegung in Deutschland, die eigentlich schon 1989 mit den sogenannten Düsseldorfer Prozessen begann, kennt hingegen keine Grenzen. Zehntausende Kurden wurden in den letzten 30 Jahren wegen politischer Meinungsäußerungen verfolgt und eingesperrt, Asylverfahren wurden mit PKK-Verweis negativ beschieden, Einbürgerungen durch angebliche Erkenntnisse des Verfassungsschutzes verhindert, das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit massiv eingeschränkt.
Belgien hingegen sieht die PKK nicht als Terrororganisation, sondern als Partei in einem innerstaatlichen Konflikt. Mit dieser Begründung wurde die Verfolgung von dutzenden Mitgliedern der PKK in Belgien im März 2019 höchstinstantzlich eingestellt.
Nicht so in Deutschland, dessen Partnerschaft mit der Türkei mehr als 100 Jahre alt ist. Im März 2017 legte das Innenministerium nach und legte eine Liste mit zahlreichen Symbolen vor, die angeblich on der PKK "vereinnahmt" worden seien. Darunter auch die Logos der Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG/YPJ, die mit einem hohen Blutzoll, 10.000 Tote, mehr als 20.000 Verletzte, den sogenannten Islamischen Staat besiegt haben. Seitdem läuft die Verfolgung jeglicher Solidarität mit den Befreiern Kobanês und weiter Teile Nord- und Ostsyriens auf Hochtouren. Vor allem in Bayern stehen dutzende Menschen vor Gericht, weil sie YPG/YPJ-Fahnen im Internet geteilt oder auf Demonstrationen getragen haben.

Ein politischer Prozess…

Am ersten Prozesstag, den 1. Oktober 2019, sind von der Staatsanwaltschaft bereits acht(!) Polizeibeamte als Zeugen vorgeladen, darunter vor allem sogenannte Staatsschützer. Welchen Staat und welche Ordnung sie damit ,schützen’, sei dahingestellt. Der erste Tag ist deshalb von 9:30 Uhr bis mindestens 17 Uhr terminiert.

Ich werde von den Anwälten Berthold Fresenius (Frankfurt) und Yunus Ziyal (Nürnberg) vertreten, die langjährige Erfahrung in politischen Prozessen haben. Fresenius war in der NSU-Nebenklage aktiv und beide vertreten bis heute zehn türkischen KommunistInnen, die seit Jahren vor Gericht in München stehen.

Apropos politischer Prozess: Es ist für mich eindeutig, dass die Anklagepunkte der Staatsanwaltschaft gegen mich rein politischer Natur sind. Es geht um Einschüchterung und Disziplinierung. Dies hat bei mir 2014 begonnen mit der Kontokündigung der Commerzbank, ging weiter mit dem angedrohten Berufsverbot 2016 und nun stehen 2019 die YPG-Prozesse an.
Es geht darum kritische Stimmen in Bayern mundtot zu machen. Doch dies wird nicht gelingen, solange wir zusammenstehen. Wir werden den Prozess deshalb ebenfalls politisch führen, entsprechende Zeugen einladen und zeigen, dass dieses Vorhaben der Staatsanwaltschaft nicht aufgehen wird.

Die Staatsanwaltschaft München hat in Bayern und bundesweit eine einzigartige Ermittlungs- und Anklagewelle ins Laufen gebracht, obwohl es bundesweit in diesen Fragen (YPG/YPJ-Symbole etc.) fast nur Freisprüche oder Verfahrenseinstellungen gibt. In den allermeisten Bundesländern wird das Zeigen von YPG/YPJ-Symbolen deshalb gar nicht mehr zur Anzeige gebracht. Selbst in München wurden in den letzten Monaten zahlreiche Beschuldigte freigesprochen oder die Verfahren eingestellt (nur die Aktivsten wurden verurteilt, auch hier geht es darum ein Exempel zu statuieren). In fast allen diesen aktuellen Urteilen ist die Münchener Staatsanwaltschaft jedoch in Berufung gegangen. Die Verfahren in zweiter Instanz laufen derzeit noch.

Was das alles an Zeit, Nerven und Geld kostet, mag man sich gar nicht vorstellen. Wir sollten uns auch daran erinnern, wenn aus Justizkreisen wieder über eine angebliche Überbelastung gejammert wird.

Zum Schluss: Nach wie vor gilt meine Solidarität denjenigen Kräften in Rojava/Nordsyrien, die für die Befreiung der Frau, für eine emanzipierte Gesellschaft und gegen den sogenannten Islamischen Staat kämpfen. Das sind nach wie vor die Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG/YPJ. Sie verteidigen mit ihrem Kampf auch unsere Freiheit.

Es würde mich also freuen, wenn ihr Zeit und Lust habt, am Dienstag, den 01. Oktober 2019 um 09:30 Uhr und am Dienstag, den 15. Oktober 2019 um 09:30 Uhr ins Amtsgericht München (Nymphenburger Straße 16) zu kommen.

Es gilt das Motto: Alleine machen sie uns ein, gemeinsam sind wir stark.

Solidarische Grüße

Kerem Schamberger

PS: Ihr könnt diesen Aufruf gerne an Personen weiterleiten, die ebenfalls Interesse haben zu kommen. Es sei hier explizit erwähnt, dass dies kein Aufruf zu einer Kundgebung ist. Es geht um Prozessteilnahme und -beobachtung. Da das Interesse an einer Prozessteilnahme recht hoch sein dürfte, werden wir die Verlegung des Prozesses in einen größeren Raum beantragen. Dieser wird ggf. rechtzeitig bekannt gegeben.

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Fußnoten

[1] abendzeitung-muenchen.de, PKK-Fotos verboten: Stadt beschränkt Siko-Demo, 14.02.2018

[2] tagesschau.de: PKK zu Unrecht auf EU-Terrorliste, 15.11.2018

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