Nahezu ein Drittel wählt rechtspopulistisch

Eine etwas geschwächte, aber nicht zerstörte Sozialdemokratie (SPÖ), eine mit nahezu einem Drittel der Stimmen zur zweitstärksten Partei gewordene rechtspopulistische Freiheitliche Partei (FPÖ), stagnierende Grüne mit der Aussicht, wieder gemeinsam mit der SPÖ die Stadtregierung zu bilden, eine auf unter zehn Prozent geschrumpfte, aber in verjüngter Form der NEOS geklonte konservative Volkspartei (ÖVP), sowie eine auf niedrigem Niveau (im Vergleich zur KPÖ 2010) und in bescheidenem Ausmaß gestärkte linke Wahlallianz: das ist kurz gefasst das numerische Ergebnis der Wiener Gemeinde- und Bezirksratswahl 2015.

Dass die SPÖ nach rechts verliert, und zwar nachhaltig, ließ sich nicht erst aus dem Ergebnis der jüngsten steirischen und vor allem oberösterreichischen Landtagswahlen ablesen. Der diesen Verlusten zugrundeliegende Erosionsprozess hat, wie mittlerweile von Teilen der Sozialdemokratie selbst begriffen, mit ihrer Einbindung in das neoliberale Abbruchunternehmen zu tun.
Im Prinzip unterscheidet sich die Situation in Wien nicht von der allgemeinen – allerdings mit einer wesentlichen Einschränkung: Macht und Einfluss der Wiener Sozialdemokratie gründen auf dem beträchtlichen und selbst im europäischen Maßstab relevanten sozialen Erbe („Rotes Wien“), das sie verwaltet. Zu dessen sukzessivem Abbau trägt sie allerdings selbst bei und öffnet so den Rechtspopulist_innen Räume (dies am Beispiel der Wiener Gemeindebauten auch im wortwörtlichen Sinn).
Es waren allerdings zumindest zwei andere aktuelle Momente, die die Spezifik der Wiener Wahl 2015 ausgemacht haben:
Untergehende SPÖ in Oberösterreich
Erstens, das zwei Wochen vor der Wiener Wahl gebotene Drama der untergehenden SPÖ-Landespartei in Oberösterreich (eines von 9 Bundesländern, jenes mit der drittgrößten Bevölkerung), die angesichts des Flüchtlingselends nicht vor hässlichen Lockrufen in rechtsextreme Richtung zurückschreckte – und am Wahlabend erkennen musste, dass ihr die Anbiederung an den Chauvinismus nicht nur nichts gebracht, sondern einerseits ihren Niedergang und andererseits den Höhenflug der FPÖ beschleunigt hat (wobei die linke Alternative, die KPÖ in Linz, für ihr kompromissloses antirassistisches Engagement mit beachtlichem Stimmenzuwachs belohnt wurde, ähnlich wie die dortigen Grünen).
Humanitäres Erwachen der Zivilgesellschaft
Das zweite spezifische Moment der Wiener Wahl, das wahlentscheidend wirkte, war das humanitäre Erwachen breiter Teile der Zivilgesellschaft, ebenfalls kurz vor der Wahl. Die abertausenden freiwilligen Helfer_innen, die sich an den Autobahnen, an Österreichs Grenzen, an den Wiener Bahnhöfen unmittelbar engagierten – sie waren der Kern der antirassistischen Demonstrationen, die unmittelbar vor der Wiener Wahl eine ungeahnte Dimension erreichten: Zehntausende waren in Bewegung, 150.000 bei einem abschließenden Konzert vieler Künstler_innen am Wiener Heldenplatz.
Herbeigeschriebenes „Duell“ um Wien
Der sozialdemokratische Wiener Bürgermeister Michael Häupl hat die Gunst dieser Stunden begriffen. Im Wissen, dass er nach rechts Stimmen verliert, kompensierte er dies, indem er sich nach links wandte. „Keine Koalition mit der FPÖ“, hatte er bereits sehr früh wissen lassen, und in den Tagen unmittelbar vor dem Wahlgang wurde die dominierende Parole der Wiener SPÖ „Menschlichkeit statt Hetze“. Sie wurde zum Motto eines von den Medien mit Begeisterung aufgegriffenen „Duells“ Häupl gegen Strache (Parteivorsitzender und Spitzenkandidat der FPÖ).
Nun ist dieses Duell-Gehabe SPÖ gegen FPÖ in Wien nichts Neues. Auch 2010 wurde dieses Stück gegeben, von den Medien mit beflissenem Engagement ausgeschmückt. Doch lief die Inszenierung diesmal nicht nur um Einiges heftiger ab, sondern vor dem Hintergrund eines viele Menschen zu Recht erschreckenden Höhenflugs der Rechtspopulist_innen bzw. Rechtsextremen, der viele linke Wähler_innen – selbst aus den Reihen der KPÖ – nahezu panisch die Häupl-SPÖ unterstützen ließ. Diese Panik wurde von Meinungsforschungsinstituten befeuert, die als hochwirksame Meinungsbildungsinstitute und als Wahlhelfer_innen sowohl für die SPÖ als auch für die FPÖ agierten.
Linke Allianz mit kleinem Erfolg
Der Alternative links von SPÖ und Grünen, d. h. der aus KPÖ, Piratenpartei, Plattform der Unabhängigen und der Gruppe Echt Grün bestehenden Wahlallianz „Wien anders – ANDAS“, gelang es in dieser Situation, das Stimmenniveau der KPÖ auf Gemeindeebene geringfügig, auf Bezirksebene deutlicher zu heben (von rund 10.600 auf knappe 12.500 Stimmen) und zusätzlich zu den drei KPÖ-Mandaten in drei Wiener Bezirken zwei weitere dazuzugewinnen. Was von außen, unter Beachtung der Umstände dieser Wahl, als durchaus respektables Ergebnis erscheint, wird von vielen „Wien-anders“-Aktivist_innen als Enttäuschung erlebt. Meiner Meinung nach zu Unrecht, auch wenn es nicht gelungen ist, das hochgesteckte Ziel, den Schwung von Europa anders „mitzunehmen“ (bei den Europawahlen 2014 wurden in Wien an die doppelt so viele Stimmen für die linke Allianz abgegeben). Zu unterschiedlich waren die Voraussetzungen dieser beiden Wahlgänge.
Tendenz geht trotzdem nach rechts
Von einem Linksruck der SPÖ bzw. gar einer nach links tendierenden Wiener politischen Landschaft zu sprechen wäre im ersten Fall eine verwegene Illusion, im zweiten schlicht falsch und realitätsfern. So gut es ist, dass der Sozialdemokrat Häupl Bürgermeister in der einzigen österreichischen Millionenstadt bleibt und eben kein Rechtspopulist ihn ablöst, so real ist, dass der Rechtsextreme Johann Gudenus gemäß Stadtverfassung nun Wiener Vizebürgermeister ist; dass die reale Macht der Rechtspopulist_innen in den Bezirken spürbar zugenommen hat; dass viele sozialdemokratische Repräsentant_innen auf Bezirksebene gut mit den Freiheitlichen können; und dass es natürlich auch in der Häupl-SPÖ Tendenzen gibt, letzteren entgegenzukommen. Der burgenländische SPÖ-Landeshauptmann Hans Niessl hat sich bereits in eine formale Koalition mit der FPÖ begeben. Burgenland liegt, von Wien aus betrachtet, ums Eck.
Die Aktivist_innen von „Wien anders“ werden in den kommenden Jahren genügend zu tun haben, um ihre Präsenz in den Wiener Bezirken auszubauen. Und nach allem, was bisher aus ihren Reihen zu hören war, sind sie fest entschlossen, daran zu arbeiten. Das wird auch nötig sein, denn von einem gegen den neoliberalen Mainstream gerichteten Richtungswechsel in der SPÖ kann – Duell hin oder her – keine Rede sein.

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