Zum Jahresende scheint in der schwedischen Politik nun alles in Schwebe. Die Sozialdemokrat_innen, die das Land fast das ganze 20. Jahrhundert über regierten – allein oder in Koalition mit einer oder zwei Parteien – schafften es nun nicht einmal, eine Parlamentsmehrheit für ihren Budgetentwurf zu bilden. Kürzlich stimmte das bürgerliche Oppositionsbündnis gegen den Haushaltsplan der Regierung, worauf Premierminister Stefan Löfven öffentlich Neuwahlen ankündigte.
Die aktuelle Koalitionsregierung aus Sozialdemokrat_innen und Grünen hatte mit der Linkspartei verhandelt, um deren Unterstützung für den Haushaltsplan zu gewinnen. In früheren Jahren hätte deren Unterstützung für eine Parlamentsmehrheit gereicht. Wenn sich keine stabile Mehrheit fand, war es in der bisherigen Praxis nämlich so, dass die größte Minderheitskoalition eine Regierung bilden und so ihren Haushaltsplan durchsetzen konnte. Diese Praxis greift aber nicht mehr, wie die jüngsten Ereignisse zeigen.
Ein gewichtiger Faktor ist die neue Realität einer starken rechtsextremen und populistischen Partei, die Schwedendemokraten, die fast 13% der Stimmen für sich verbuchen konnte. Noch treffender wären die Schwedendemokraten als neo-faschistische Partei zu bezeichnen. Zu diesem Thema gibt es eine wissenschaftliche und auch öffentliche Diskussion, aber es genügt wohl der Hinweis darauf, dass die Wurzeln der Partei in der „White power“-Bewegung liegen und sie noch in den 1990ern eine offen faschistische Organisation war, die sich hauptsächlich aus Skinheads zusammensetzte. Nach wie vor schließt die Partei jede Woche wegen problematischen Aussagen über Ausländer_innen, Migration, die Verbrechen des NS-Regimes etc. Mitglieder aus.
Wenn man von ihrer Verortung einmal absieht, hat die Partei ihre Position als „Königsmacherin“ außerhalb der beiden größten politischen Blöcke der schwedischen Politik also bereits genutzt, um das Haushaltsverfahren zu kippen. Die Schwedendemokraten hatten klargestellt, dass sie für den Haushaltsentwurf des oppositionellen Mitte-rechts-Bündnisses, also des zweiten Minderheitsblocks, stimmen würden; damit war es auch dieser Haushaltsentwurf, der in der letzten Woche angenommen wurde.
Damit blieben der sozialdemokratischen Regierung drei Möglichkeiten, von denen keine besonders attraktiv schien.
Sie konnte einerseits zurücktreten und sehen, ob eine neue Regierung gebildet werden kann, was jedoch unwahrscheinlich schien, da Sozialdemokrat_innen und Grüne zusammen noch immer die größte Minderheit darstellen. Andererseits konnte sie auch mit dem gebilligten Haushaltsentwurf der Opposition regieren. Oder aber, und wofür sie sich letztendlich dann auch entschloss, konnte sie Neuwahlen ausrufen.
Formalvorschriften besagen, dass Neuwahlen nicht vor dem 19. Dezember ausgerufen und vor dem 22. März nicht abgehalten werden dürfen. Die Sozialdemokrat_innen bekundeten, dass sie bei einigen Themen noch immer zu Kompromissen bereit seien, die eine oder zwei der Mitte-rechts-Parteien der Allianz dazu bewegen könnten, dem von der Regierung vorgeschlagenen Haushaltsentwurf doch noch zuzustimmen, jedoch scheiterten bisher alle dahingehenden Verhandlungen. Die Schwedendemokraten erklärten, die kommenden Wahlen als eine Volksabstimmung zum Thema „Massenimmigration“ nutzen zu wollen und jeden Haushaltsentwurf abzulehnen, der den aktuellen politischen Konsens in Schweden zum Thema Migration unterstützt.
Dies sind die ersten vorgezogenen Neuwahlen, die in Schweden seit dem Jahr 1958 abgehalten werden. Damals fanden sie noch im Rahmen der alten Verfassung statt, was die gegenwärtige Situation zu einer neuartigen macht.
Das vergangene Jahr für Schweden ein sogenanntes „Superwahljahr“, in dem innerhalb von vier Monaten vier Wahlen abgehalten wurden und aus dem die meisten Parteien und auch die Öffentlichkeit von den vielen Wahlkämpfen erschöpft hervorgingen. Und obwohl die Wahlplakate der letzten Wahlen noch nicht einmal überklebt sind, steht nun anscheinend schon der nächste Urnengang ins Haus.
Die meisten Beobachter_innen gehen davon aus, dass es im Vergleich zu den letzten Wahlen keine größeren Veränderungen im Wähler_innenverhalten geben wird, was abermals dazu führen würde, dass sich Schweden in einer Patt-Situation mit zwei Minderheitskoalitionen und einer rechtsextremen Partei wiederfindet, in der niemand regieren kann.
Das einst stabile und konsensorientierte schwedische Parlament existiert offenbar nicht mehr. Offen bleibt, was an seine Stelle tritt.