Mit einer hohen Wahlbeteiligung von 66% wählte die tschechische Bevölkerung am 26. und 27. Januar im zweiten Wahlgang ihren Präsidenten. Nach einem aufsehenerregenden Kopf-an-Kopf-Rennen im Wahlkampffinish wurde schließlich der amtierende Präsident Miloš Zeman zum Wahlsieger gekürt.
Da im ersten Wahlgang keiner der vorgestellten Kandidaten eine absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhielt, wurde eine Stichwahl zwischen den beiden bestplatzierten Kandidaten Miloš Zeman und Jiří Drahoš anberaumt, die im ersten Wahlgang jeweils 38,56% bzw. 26,60% der Stimmen auf sich vereinigt hatten.
Im zweiten Wahlgang konnte sich schließlich der amtierende Präsident Miloš Zeman mit 51,36% der Stimmen gegen seinen Kontrahenten Jiří Drahoš durchsetzen, der ihm mit 48,63% unterlag. Zeman gewann in 10 der 14 tschechischen Regionen, wobei er sein bestes Ergebnis in der Mährisch-Schlesischen Region einfuhr: Dort gingen 62,32% der Wähler_innenstimmen auf sein Konto. Drahoš wurde in vier Regionen stimmenstärkster Kandidat und erreichte in Prag mit 68,75% der Stimmen ein beeindruckendes Ergebnis. In fünf von sechs Städten mit über 100.000 Einwohner_innen wurde Drahoš zum Wahlsieger gekürt.
Insgesamt standen neun Kandidaten zur Wahl, wovon die Mehrheit von Anfang an Position gegen Zeman bezog und im zweiten Wahlgang Drahoš unterstützte.
Die beiden Kandidaten der Stichwahl
Miloš Zeman, Jahrgang 1944, ist Ökonom und seit 1990 politisch aktiv. In den 1990er-Jahren gründete er die tschechische sozialdemokratische Partei (ČSSD) und war zwischen 1998 und 2002 tschechischer Premierminister. Vor der Revolution 1989 gehörte er intellektuellen Kreisen von Regimegegner_innen an; während des Prager Frühlings 1968 war er Mitglied der Kommunistischen Partei.
Jiří Drahoš, Jahrgang 1949, ist Chemiker und war sein gesamtes Berufsleben über im Bereich der wissenschaftlichen Forschung tätig. Zwischen 2009 und 2017 war er Vorsitzender der tschechischen Akademie der Wissenschaften. Er deklariert sich als parteilos und war nie politisch aktiv, bis er sich in die öffentliche Debatte zur staatlichen Unterstützung der universitären Wissenschaft einbrachte.
Der Wahlkampf
Im ersten Halbjahr 2017 fand der Wahlkampfauftakt statt. Neue Regulierungen kamen zur Anwendung, die sich hauptsächlich auf die Wahlkampffinanzierung bezogen (etwa Wahlkampfkostenobergrenzen, Verwendung transparenter Konten und die Offenlegung von Wahlkampfspenden).
Schnell bildete sich ein informeller „Anti-Zeman“-Block aus vier sehr aktiven Kandidaten heraus. Diese richteten ihr Augenmerk besonders darauf, Präsident Zemans Politik und seine bisherigen politischen Aktivitäten zu kritisieren, anstatt sich auf die Zukunftsperspektiven des Landes zu konzentrieren. Zeman vermied die direkte Konfrontation mit seinen Kontrahenten bei Wahlveranstaltungen; sein eigener Wahlkampf war außerdem nicht besonders aufsehenerregend.
Vor dem offiziellen Auftakt der Präsidentschaftswahl fanden die Parlamentswahlen statt. Keine der Parlamentsparteien nominierte davor jedoch ihren Kandidaten. Drei Kandidaten (einschließlich Zeman) bestätigten ihre Kandidatur, da sie die dafür erforderliche Anzahl an Unterschriften vorlegen konnten (das Minimum hierfür lag bei 100.000), die anderen Kandidaten konnten sich auf die Unterstützung der erforderlichen Anzahl an Parlamentsabgeordneten oder Senator_innen verlassen.
Abseits von ständiger Kritik an Zeman kreisten die Hauptthemen des Wahlkampfs um Außenpolitik (hauptsächlich wurde Kritik an Zemans freundschaftlichem Verhältnis zu Russland und China geübt) und europäische Integration, wobei fast alle Kandidaten eine proeuropäische Haltung vertraten. Zeman unterstrich, dass Tschechien während seiner Amtszeit als Premierminister der NATO und der EU beigetreten sei. Er begründete sein enges Verhältnis zu Russland und China damit, dass er so die wirtschaftlichen Interessen Tschechiens wahre – er kritisierte die EU für ihre Sanktionen gegen Russland. Andere Schwerpunktthemen umfassten Migration und die Flüchtlingsquote, wie auch Sicherheit in Europa. Die Kandidaten behandelten dieses Thema mit großer Vorsicht, da es stark polarisiert. Innenpolitischen Problemen kam keine große Aufmerksamkeit zu. Auch hier wurde hauptsächlich Kritik an Zemans angeblicher Polarisierung der tschechischen Gesellschaft und seiner Feindlichkeit gegenüber den Mainstream-Medien geübt. Drahoš versuchte das Gerücht zu verbreiten, dass der Kreml (mittels pro-russischer Propaganda und gezielter Falschinformation) versuchen würde, auf die Wahlen Einfluss zu nehmen. Einschließlich der tschechischen Geheimdienste nahm dies jedoch niemand ernst und so verschwand das Thema wieder aus den Medien.
Die realpolitische Auseinandersetzung fand zwischen dem ersten und zweiten Wahlgang statt. Schließlich nahm Zeman auch persönlich an Events teil, wie etwa an vier TV-Debatten. In zweien davon stand er Drahoš im direkten Duell gegenüber und konnte beide Male als „Sieger“ daraus hervorgehen. War zu Beginn der beiden Wochen zwischen den zwei Wahlgängen in den Umfragen noch Drahoš ein kleiner Vorsprung vorhergesagt worden, so lieferten sich die beiden Kandidaten schließlich ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen.
Erste Schlussfolgerungen
- Ein Wettbewerb Links gegen Rechts war in diesem Wahlkampf kaum präsent. Trotzdem stimmte der Großteil der Linkswähler_innen für Zeman. Umfragen ergaben, dass 80-90% der Wähler_innen, die bei der Parlamentswahl die KSČM und Tomio Okamuras Bewegung SPD gewählt hatten, diesmal für Zeman stimmten. Unklar bleibt, wie viele Sozialdemokrat_innen Zeman wählten. Jene, die vormals linke Parteien unterstützt und in letzter Zeit für die ANO-Bewegung gestimmt hatten, tendierten zu Zeman. Tschechische Rechtspolitiker_innen stellten sich offiziell hinter Drahoš, wie auch viele Künstler_innen und Intellektuelle sowie traditionelle Rechtswähler_innen. Die Piratenpartei gab keine offizielle Wahlempfehlung ab, aber die meisten ihrer Unterstützer_innen unterstützten Drahoš.
Jüngere und besser gebildete Menschen tendierten zu Drahoš. Gleichzeitig gewann Zeman deutlich in Gemeinden mit einer Arbeitslosenrate von über 8% und erreichte dort etwa 67% der Stimmen. Das Wahlergebnis illustriert ein deutliches Stadt-Land-Gefälle: Zeman schnitt im ländlichen Raum und in kleinen bis mittelgroßen Städten gut ab. - Ein wachsender Teil der Bevölkerung fühlt sich unfair behandelt. Das Wahldebakel der tschechischen Sozialdemokrat_innen und Kommunist_innen in der Parlamentswahl 2017 könnte dazu geführt haben, dass Zeman von den linken Wähler_innen als letztes Bollwerk gegen den ungebremsten neoliberalen Rechtsruck gesehen wurde. Dies war möglicherweise der Fall, obwohl man von Zeman nicht behaupten kann, dass er z.B. im sozialen Bereich tatsächlich linke Ideen hätte.
- Die Medien beklagten wiederholt, dass die Wahlen – bzw. Zeman selbst – die tschechische Gesellschaft spalten würden. In Wahrheit ist dies aber schon seit Längerem der Fall; die Spaltung ist heute bloß offensichtlicher. Es lässt sich keine Trennung in Rechts und Links ausmachen. Auf der einen Seite gibt es jedoch die Globalisierungsgewinner_innen und jene, die zu diesen gezählt werden möchten; auf der anderen Seite die Globalisierungsverlierer_innen und jene, die glauben, für ihren Beitrag zur Gesellschaft sowie finanziell nicht fair entlohnt zu werden. Die Bevölkerung von Prag – eine der zehn reichsten Regionen der EU bzgl. Pro-Kopf-Einkommen – teilt grundsätzlich die in Europa dominierenden Konzepte von wirtschaftlicher und politischer Organisation. Dies gilt auch für weitere große Städte wie Brno und Liberec – nicht jedoch für Ostrava, eine Stadt mit vielen Problemen, in der Zeman siegte.
- Das Ergebnis der Präsidentschaftswahl wird einen direkten und indirekten Einfluss auf den Prozess der tschechischen Regierungsbildung haben, auch wenn niemand genau sagen kann, wie dieser nun genau aussieht. Einstweilen sprach sich Zeman deutlich gegen eine Wiederholung der Parlamentswahlen aus und drängt Premier und ANO-Chef Andrej Babiš dazu, konstruktive Verhandlungen mit den Parlamentsparteien zu führen, um eine stabile Mehrheitsregierung bilden zu können. Zeman wird zweifellos weiterhin eine aktive Rolle in der tschechischen Außenpolitik innehaben. Obwohl er sich selbst als europäischer Föderalist darstellt, wird seine Politik nach wie vor stark auf die kleinen nationalen Interessen Tschechiens ausgerichtet sein. In Drahoš hätte die EU-Kommission wahrscheinlich einen zugänglicheren Partner gefunden. Zeman ist als unerschütterlicher Unterstützer Israels bekannt und nicht als Unterstützer einer ausgeglichenen Israel-Palästina-Politik seitens Tschechiens und der EU.
- Die radikale und moderate Linke (KSČM, ČSSD) hatten keine eigenen Kandidaten aufgestellt. Die KSČM rechtfertigte dies als einen Weg, wie sie das Risiko vermeiden könnte, potenzielle Linkswähler_innen zu spalten und daher zwei rechte und antikommunistische Kandidat_innen in den zweiten Wahlgang zu bringen. Es bestanden außerdem Zweifel daran, dass die radikale Linke dazu imstande sein würde, einen Kandidaten zu finden, der ein Ergebnis im Bereich der 10% erreichen könnte. Für viele Linkswähler_innen war Zeman mit seiner eher linken Ausrichtung die definitiv passendere Wahl; ganz im Gegensatz zum intransparenten Drahoš, der bekannt dafür ist, Distanz zur Linken – besonders zur radikalen Linken – zu halten und über dessen persönliche Einstellungen zu vielen Schlüsselthemen große Zweifel bestanden.
- Die Parlaments- und Präsidentschaftswahlkämpfe 2017 schürten im Allgemeinen das Misstrauen der Bevölkerung in die Massenmedien; viele Schlachten zwischen den Lagern wurden im Internet gefochten. Leider war die Mehrheit der radikal linken Kräfte auf diesem Gebiet sehr passiv und schaffte es nicht, für linke Ideen und mögliche Lösungsansätze Aufmerksamkeit zu schaffen. Im Großen und Ganzen scheint es, als ob eine substanzielle Anzahl an Bürger_innen Sicherheit in Form einer starken politischen Führungspersönlichkeit suchten, die in der Lage wäre, sie zu verteidigen und zu beschützen.
- Das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen lässt für die radikale Linke nichts Gutes erahnen. Sie bereitet sich derzeit auf die Europawahlen vor. Zudem bieten die vergangenen Wahlen eine nicht gerade vielversprechende Perspektive auf die Neuformierung der radikal linken Politik, um zumindest zu den 15% zurückzukehren, die noch im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts verbucht werden konnten.