Im Anschluss an die Debatten der Generalversammlung im September hat sich das Board von transform! europe bei seinem Meeting am 16./17. Oktober auf die folgenden Punkte geeinigt und damit das gemeinsame Verständnis für die Strategie der kommenden Monate umrissen.
Dieser Konsens sollte auf denjenigen gemeinsamen politischen Schlussfolgerungen beruhen, welche wir als grundlegend für unsere Strategie 2019 betrachten. Dabei gibt es mehr zu berücksichtigen als nur die Europawahlen (die aber doch die erste Hälfte unseres Arbeitsplanes dominieren).
Internationalismus/internationale Solidarität: Was heißt das heute für die Linke?
Wir alle haben uns dem Internationalismus und der Solidarität verschrieben. Unabhängig von den jeweiligen Positionen unserer Mitglieder und Beobachterorganisationen zu den historischen Prozesse der europäischen Integration weisen wir die einfältigen Ideen von uns, die Migrant_innen und Flüchtlinge zu Sündenböcken der Prekarität, der angespannten Situation auf dem Wohnungsmarkt oder dem Niedergang des Wohlfahrtsstaates machen wollen. Wir stellen uns dem „Sicherheitswahn“ der Innenpolitik und der Aufrüstung an den EU-Außengrenzen entgegen. Einige von uns beschreiben sich selbst als kosmopolitisch, andere nicht. So oder so: Die grundlegenden Probleme der Welt, vom Klimawandel bis zur Migration, können nur mit einem kosmopolitischen Ansatz gelöst werden. Deshalb weisen wir den abwertenden Gebrauch des Wortes „Kosmopolitismus“ von uns, der dazu dient, einen auf die Menschenrechte ausgerichteten Internationalismus zu delegitimieren. transform! europe versteht sich seit seinen Anfängen als Opposition zum Washington-Konsens und neoliberaler Globalisierung. Die Anti-Globalisierungsbewegung und der vom den Weltsozialforen ausgehende Kampf um eine alternative weltweite Zivilisation sind der Brutkasten, in dem transform! europe entstand. Bis heute fühlen wir uns dem einenden Slogan des Weltsozialforums verpflichtet: Eine andere Welt ist möglich.
Nationale Souveränität/Volkssouveränität und die Frage nach der Demokratie
Selbst im Zeitalter der Globalisierung finden Kapitalreproduktion und Einkommensverteilung noch in weiten Teilen im (national-)staatlichen Rahmen statt. Auch die Rechtsrahmen für Arbeitsverhältnisse, Wohlfahrt und politische Demokratie bleiben auf nationaler Ebene verhaftet. Damit bleibt der Staat ein wichtiger Bezugspunkt der progressiven Politik. Wir glauben, dass der Respekt vor nationalen Demokratien ein Grundpfeiler eines jeden Modells europäischer Demokratie ist. Natürlich unterscheidet sich der Spielraum progressiver Politik in Abhängigkeit von seinem politischen Gewicht, also der Bevölkerungszahl und seiner wirtschaftlichen und politischen Macht. Doch keiner der europäischen Staaten, auch nicht die wirtschaftlich und politisch mächtigsten, werden allein mit den heutigen weltweiten Umwälzungen und der geballten Kraft der globalisierten Finanzmärkte fertig. Demnach ist internationale, aber auch regionale Solidarität zwingend erforderlich. Die Entrechtung der Menschen Europas durch die real existierende europäische Integration geht auf die allgemeine Erfahrung zurück, dass die EU anstatt von Solidarität und Gemeinsamkeit insbesondere nach Maastricht eine technokratische, intransparente und zunehmend autoritäre Führung über Bevölkerung und Staaten eingesetzt hat. Diese offensichtliche Verschlechterung ist einer der hauptsächlichen Gründe für das Erstarken der extremen und nationalistischen Rechten.
transform! europe strebt nach einer anderen Art der europäischen Integration. Eines unserer Kriterien ist die radikale Demokratisierung. Es gibt keine vorgefertigte Lösung für ein demokratisches Europa, das kann nur aus politischen Anstrengungen hervorgehen. Um gleichzeitig die verschiedenen Ausgangsbedingungen und Erfahrungen der Länder und Regionen zu berücksichtigen, muss transform! europe Raum für vorurteilsfreie Debatten über die transnationale Demokratie schaffen und auch für die sich anschließende Frage, wie diese transnationale Demokratie mit der weiteren Entwicklung nationaler Demokratien in Einklang zu bringen ist.
Arbeiter_innenrechte, die Freizügigkeit der Bürger_innen und Arbeitskämpfe: Die Antriebsfeder für ein Europa der Menschen
Die breite Akzeptanz einer entpolitisierten Arbeitswelt ist ein großer Sieg für den Neoliberalismus. Die Prekarität ist eine logische Konsequenz der Individualisierung und der Kommodifizierung. Viele empfinden Arbeitsbeziehungen als rein funktional, solange sie immer von noch Macht- und Ungleichheit geprägt sind. Entsprechend scheint der Klassenkampf auf den Bereich der Verteilung beschränkt. Die Entmystifizierung dieser Beziehungen erfordert empirische und theoretische Forschung sowie eine neue Definition des Konzeptes der Arbeit selbst, wobei dieses neue Konzept die Einsichten der marxistisch-feministischen Forschung und Theorie berücksichtigen muss. Zuletzt bezieht sich der Kampf um eine neue Hegemonie auf alternative Produktionsmethoden. Dazu gehören eine Industriepolitik, die die sozio-ökologische Transformation auf der produktiven Ebene angeht, würdevolle Arbeit und die Einführung nicht kommodifizierter Arbeitsbeziehungen, gemeinhin als „Commons“ bezeichnet. Wir werden diesen Teil unseres Programmes weiter verfolgen, wodurch wir außerdem eine engere Kooperation mit der Green European Foundation einleiten können.
Die Einheit der Linken als Einheit der Völker Europas
transform! europe betrachtet sich selbst als ein Common des linken Spektrums. Es unterhält eine besondere Beziehung zur Europäischen Linken, die transform! europe als offizielle Partnerorganisation anerkennt und andersherum. Gleichzeitig sind wir ein Netzwerk, das auch Organisation umfasst, die keine besondere Beziehung zur Europäischen Linken haben und keine Mitglieder zweiter Klasse sind. Das ist eine unserer Stärken, denn es gibt uns die Möglichkeit, Differenzen zwischen verschiedenen Kräften zu überbrücken, die diese auf politischer Ebene gegebenenfalls entfremden. Wir verstehen, dass in der derzeitigen politischen Situation viel auf dem Spiel steht, für das linke Spektrum im Europaparlament, die Europäische Linke und ihre Mitgliedsparteien. Wir unterstützen jeden Versuch, die bestehenden Kooperationsräume zu erneuern. Mit Hinblick auf die Gefahr einer weiteren Zersplitterung arbeitet transform! europe vorrangig darauf hin, die Gemeinschaft der Mitglieder und Beobachter zu stärken. Politisch verteidigen wir die Idee einer pluralistischen Einheit der radikalen Linken, die über die Grenzen der bestehenden politischen Strukturen der Linken hinausgeht. Das Schaffen von Räumen, in denen verschiedene Kräfte offen miteinander diskutieren können, das Vermeiden von Polemik und Denunziation und die Schaffung nutzbarer Inhalte sind die hauptsächlichen Beiträge transform! europes zur Überwindung der bestehenden Probleme.
Oktober 2018