Der 6. Mai 2012 wird durch zwei Wahlergebnisse von historischer Tragweite markiert: Mit der Wahl des sozialistischen Kandidaten Francois Hollande zum neuen Präsidenten, zu der der Front de Gauche durch seine Kampagne in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen quantitativ wie qualitativ wesentlich beigetragen hat, gehen nicht nur lange Jahre konservativer Herrschaft in Frankreich zu Ende.
Auch die für ganz Europa so fatale Achse Merkel-Sarkozy wird nun Geschichte. Ob das auch auf die Europa aufgezwungene Politik zutrifft, wird die Zukunft zeigen. Dies gilt insbesondere für die sich unmittelbar stellenden Fragen der europäischen Griechenland-Politik sowie die Ratifizierung des Fiskalpaktes, dessen Ziel die zentralistische Kontrolle der nationalen Budgets und die höchst autoritäre Durchsetzung des Austeritätskurses durch die Europäische Kommission ist, womit die endgültige Zerstörung der Sozialstaaten, des Arbeitsrechtes, der öffentlichen Dienste, der parlamentarischen Souveränität sowie die allgemeine und oft dramatische Absenkung des Lebensstandards der Bevölkerungen angesagt ist.
Ein Erdbeben in der politischen Landschaft Europas lösen die Parlamentswahlen in Griechenland aus, einem kleinen, aber wichtigen EU-Mitgliedsstaat des europäischen Südens, der von der Krise und der brutalen antisozialen Austeritäts-Politik am stärksten in Mitleidenschaft gezogenen ist. Auf die bisherigen Regierungsparteien – die konservative Neue Demokratie (ND) und die sozialdemokratische PASOK –, die sich zu Vollzugsorganen der von den Banken und der EU diktierten barbarischen „Sparpolitik“ machten, entfällt kaum noch mehr als ein Drittel der abgegeben Stimmen. Mit 16 Prozent für das linke Parteienbündnis SYRIZA wurde eine gleichzeitig antikapitalistische und pro-europäische Partei zur zweitstärksten Kraft im Parlament.
Ähnlich wie der Front de Gauche, dessen Kandidat in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen die Linke sammeln und 11 Prozent der Stimmen erreichen konnte, stellt SYRIZA ein Bündnis unterschiedlicher Kräfte der Linken dar. Seine stärksten Komponenten sind die Parteien Synaspismos und AKOA, die beide der Partei der Europäischen Linken angehören. Die Strategie dieser anti-neoliberalen und antikapitalistischen Bündnisse, die sich entschieden den Regeln des Finanzmarktkapitalismus und des Neoliberalismus entgegenstellen, scheint wahlpolitisch unter unterschiedlichen Voraussetzungen bestätigt worden zu sein. Die von ihnen in den Vordergrund gestellten politischen Themen stoßen über ihre eigene Wählerschaft hinaus auf Interesse und beeinflussen die öffentliche Debatte. Die in den Medien des „mainstream“ unternommenen Versuche, SYRIZA und den Front de Gauche als „extremistisch“, „populistisch“ oder „nationalistisch“ zu denunzieren, sind nicht nur haltlos, sondern auch ein Indiz für die Härte, die die politische und ideologische Konfrontation um die Zukunft der Europäischen Integration angenommen hat.
In diesem Zusammenhang muss das weitere Anwachsen der Wählerschaften der extremen Rechten registriert werden. Die Erfahrungen der griechischen und französischen Wahlkämpfe zeigen, dass ihr nur die alternative Linke entschieden entgegentritt und dass dieses Anwachsen unter der Bedingung aufgehalten werden kann, dass in dieser politischen Konfrontation der im Grunde systemerhaltende, konforme Charakter der Rechten sichtbar gemacht wird.
Die Erfolge der antikapitalistischen und pro-europäischen alternativen Linken in Frankreich und Griechenland, die sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene gleichzeitig die herrschende Logik des Finanzmarktkapitalismus und Neoliberalismus bekämpft, scheinen eine Veränderung in der politischen Dynamik in Europa zu bestätigen, die sich bei mehreren Wahlgängen in diesem Jahr andeutete. Europa scheint in eine politische Periode einzutreten, in der die seit Beginn der Krise 2007 und 2008 vorherrschende, einseitige Stärkung der Rechten – insbesondere der xenophoben, nationalistischen und autoritären Rechten – durch eine neue Polarisierung zwischen Rechts und Links abgelöst werden kann, wozu die Stärkung der antikapitalistischen und pro-europäischen radikalen Linken eine unabdingbare Voraussetzung darstellt.
In der Tat haben die Wahlergebnisse des 6. Mai das Kräfteverhältnis in Europa ein Stück weit nach links verschoben. Aber zugleich ist die Situation kompliziert und nicht ohne Gefahren. In ersten Stellungnahmen haben Angela Merkel und Vertreter der Europäischen Zentralbank zu verstehen gegeben, dass sie unbeeindruckt von der Niederlage, die die Vertreter der antidemokratischen und antisozialen Politik in den Wahlen erlitten haben, am eingeschlagenen Kurs festhalten wollen, obwohl dieser droht, die Europäische Integration und die Demokratie zu zerstören. Anscheinend glaubt man in den Eliten, die Bevölkerung mit der Drohung, Griechenland aus der Euro-Zone auszuschließen, einschüchtern zu können. Demgegenüber ist die Solidarität der europäischen Linken sowie all der für eine Neugründung Europas eintretenden Kräfte vor allem mit der griechischen Linken und insbesondere ihrer Forderung nach Aufhebung der Memoranden und der „loan agreements“ eine absolute Notwendigkeit.
Doch in Europa hat sich noch etwas geändert. Mit den großen gewerkschaftlichen und sozialen Kämpfen in Italien, Portugal, Spanien, Rumänien, Tschechien, Belgien und Griechenland während der letzten 12 Monate haben sich viele neue Akteure in Europa mobilisiert. Gleichzeitig haben sich neue Stimmen zu Wort gemeldet, z.B. über Appelle von kritischen Intellektuellen, Verantwortlichen aus Gewerkschaft, Bewegungen und Politik. Die notwendige Antwort der Linken auf die existentielle Krise in Europa und den beschleunigten Abbau des Sozialmodells und der Demokratie liegt im verstärkten Kampf für eine neue soziale und demokratische Grundlage Europas.
Es gibt neue Möglichkeiten für eine solche soziale und politische Dynamik. Heute finden bedeutende Auseinandersetzungen in Europa statt. In vielen europäischen Ländern sind die Menschen auf der Straße, befinden sich im Streik und ergreifen die unterschiedlichsten Aktionsformen, um ihre sozialen und politischen Rechte zu verteidigen. Schmerzhaft fühlbar wird aber der Mangel an einer politischen Alternative, eines europäischen Bündnisses oder einer europäischen Bewegung, die sie verkörpern könnte. Die Wahlen vom vorletzten Wochenende zeigen dabei sowohl die Notwendigkeit wie die Möglichkeit, auf neue Weise wirksam auf politischer Ebene zu agieren.
Die Joint Social Conference und der Alternativengipfel, die Ende März 2012 stattfanden, haben gezeigt, dass eine Vielzahl von Kräften bereit ist, sich für einen bisher nicht da gewesenen Prozess zu öffnen, in dem Gewerkschaften, Bewegungen, Intellektuelle und politische Kräfte miteinander kooperieren können mit dem Ziel, das Kräftegleichgewicht zu verändern. Gegenüber der in den einzelnen Ländern und in Europa herrschenden Oligarchie geht es um die Frage einer radikalen Veränderung der Machtstrukturen. Damit entsteht die Herausforderung, neue Bündnisse zu schaffen, die es den sozialen und politischen Akteuren gleichermaßen möglich machen, zu mobilisieren, um auf gemeinsame und gleichberechtigte Weise in der unmittelbaren Konfrontation gestärkt aufzutreten und so an den Voraussetzungen für die Herausbildung einer neuen Hegemonie in Europa zu arbeiten.
Hierin liegen die Herausforderungen des historischen Augenblicks.