Die Konferenz zur Zukunft Europas: Ziele und Erwartungen

Hintergrund

Wenige Tage vor den letzten Europawahlen im Mai 2019 umriss der französische Präsident Emmanuel Macron etwas, das heute als der Ursprung der Konferenz zur Zukunft Europas gilt. Macron sagte, für Europa bestehe ein „existenzielles Bruchrisiko“ und schlug vor, mit Führungspersönlichkeiten wie Bürger*innen „nach den Wahlen einen grundlegenden europäischen Konvent“ abzuhalten, um „die europäische Strategie für die nächsten fünf Jahre zu bestimmen, inklusive Veränderungen an den Verträgen“, die möglicherweise umzusetzen sein werden.

Auch die gewählte Präsidentin der Kommission, Ursula von der Leyen, betonte in ihrer Antrittsrede beim EU-Parlament die wegweisende Dimension der europäischen Bürger*innenschaft für die Zukunft Europas und schlug eine Konferenz zur Zukunft Europas vor, die 2020 angestoßen werden sollte.

Und Dubravka Šuica, Vizepräsidentin für Demokratie und Demographie, ging in ihrer Absichtserklärung mit folgenden Worten auf die Konferenz ein:

„Die Europäer*innen müssen bei der Führung ihrer Union wie auch bei deren Angeboten mitreden können. Deshalb glaube ich, dass wir ab 2020 eine zweijährige Konferenz zur Zukunft Europas brauchen. Sie soll neben der Zivilgesellschaft und den europäischen Institutionen Unionsbürger*innen jeden Alters einbeziehen. Wir brauchen eine breit geführte Debatte, klare Ziele und eine greifbare Nachverfolgung getroffener Entscheidungen.“ (Šuica, 2019: 4).

Trotz dieser generellen Aussagen gestalteten sich die Gespräche über die Planung der Konferenz ausgesprochen schwierig. Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten entsprangen über den Vorsitz der Konferenz, ihre Dauer, ihre Aufgaben und die Zusammensetzung ihrer Plenarversammlung.

Der Ausbruch der Pandemie veränderte nicht nur den Zeitplan der Konferenz, sondern steigerte auch die Dringlichkeit einer Debatte um die Zukunft Europas weiter.

Die Erklärungen und Entschließungen der drei beteiligten Institutionen zeigen deutlich, wie unterschiedlich der Hintergrund der Konferenz eingeschätzt wird und wie unterschiedlich die Erwartungen an die Ergebnisse sind. Ebenso deutlich unterscheiden sich die Ansichten zu den Grenzen der Forderungen, die auf den verschiedenen Teilhabeplattformen für Bürger*innen zum Ausdruck kommen können.

Das EU-Parlament hat im Oktober eine Arbeitsgruppe mit den verschiedenen Beteiligten eingerichtet und im Januar 2020 eine Resolution zur Konferenz verabschiedet. In dieser Resolution klingen die Bedeutsamkeit des Moments und der Reformbedarf wieder: „… dass die Zahl der schwerwiegenden Krisen, die die Union durchlaufen hat, zeigt, dass Reformprozesse in mehreren Bereichen der politischen Steuerung erforderlich sind“ (Europäisches Parlament, 2020: Erwägung B). Das Parlament schlägt einen „Bottom-up“-Prozess vor, bei dem die Stimmen der EU-Bürger*innen Gehör finden (Erwägung E). Die Entschließung schlägt thematische Bürger*innenforen vor, die zufällige Auswahl von Bürger*innen und insbesondere die Ausrichtung von zwei Jugendforen. Insgesamt vertritt das Parlament: einen inklusiven, ergebnisoffenen Prozess, um eine offenere und weniger gelenkte Beteiligung der Bürger*innen zu fördern; dass aus den Beratungen möglicherweise hervorgehende konkrete Empfehlungen verfolgt werden und dass diese Empfehlungen in Gesetzesinitiativen auftauchen und möglicherweise sogar zu Vertragsänderungen führen können. Außerdem fordert es die anderen beiden Organe auf, „dieselbe Verpflichtung einzugehen“ (Nummern 29, 30 und 31).

Die Kommission hat ihre Entschließung zur Konferenz am 22. Januar 2020 veröffentlicht (Europäische Kommission, 2020). Die formulierten Ziele beziehen sich auch auf einen neuen Anstoß für die Demokratie in Europa und die Notwendigkeit, den Bürger*innen zuzuhören. Allerdings schwebt der Kommission eine stärker strukturierte Debatte vor: „Die Konferenz sollte sich an den Kernzielen der EU orientieren, die in den sechs politischen Prioritäten der Kommission und der strategischen Agenda des Europäischen Rates beschrieben wurden“ (2020: 2). Darüber hinaus schlägt die Kommission vor, dass die Konferenz Fragen der Demokratie sowie institutionelle Fragen bearbeiten soll, insbesondere zur Auswahl von Spitzenkandidat*innen für den Kommissionsvorsitz und länderübergreifende Listen für die Europawahlen. Die Kommission empfiehlt, die in strukturierten Dialogen mit der Zivilgesellschaft gesammelten Erfahrungen zu nutzen. Und zuletzt will die Kommission:

„… gemeinsam mit den anderen EU-Organen so wirksam wie möglich dafür sorgen, dass die Anliegen, die Bürgerinnen und Bürger äußern, in die Politikgestaltung der EU einfließen.“ (2020: 4).

Der Europäische Rat hat seine Entschließung am 20. Juni 2020 vorgelegt, nachdem er bereits auf dem Gipfel im Dezember 2019 seine Unterstützung des Projektes signalisiert hatte. Der Vorschlag des Rates geht von einer Konferenz aus, die die Möglichkeit bietet

„… die demokratische Legitimität und das Funktionieren des europäischen Projekts herauszustellen und die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger der EU für unsere gemeinsamen Ziele und Werte zu fördern, da sie ihnen weitere Möglichkeiten zur Meinungsäußerung eröffnet.“ (Europäischer Rat, 2020: 2).

Der Rat befürwortet eine Konferenz, die sich vorrangig der Politik verschreibt und weniger allgemeinen Vorschlägen. Entsprechend schlägt er vor, dass die Konferenz sich wenigen Schlüsselthemen widmen sollte, unter anderem den Themen der strategischen Agenda. Diese ist dem Rat zufolge breit genug aufgestellt um die relevantesten Themen anzugehen, insbesondere hinsichtlich der Coronapandemie und der wirtschaftlichen Erholung. Für beste Ergebnisse sollte sich die Konferenz dem Rat zufolge übergreifenden Themen zuwenden, mit denen sich die Fähigkeit der EU verbessern lässt, ihre politischen Prioritäten umzusetzen. Darunter fallen etwa: Verbesserte Regulierung, Anwendung des Subsidiaritätsprinzips und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit oder die Implementierung und Durchsetzung des Acquis Communautaire (der Gesamtheit der gemeinsamen Rechte und Pflichten, die für alle EU-Staaten bindend sind). In seiner Veröffentlichung betont der Rat mehrfach seine pragmatische Ausrichtung der Konferenz. Etwa wenn er sagt:

„Bei der Organisation der Konferenz sollten einige grundlegende Prinzipien maßgeblich sein: 1) Gleichheit der Organe auf allen Ebenen, 2) Respekt für die Kompetenzen der einzelnen Organe, 3) Effizienz und Vermeidung unnötiger Bürokratie und 4) eine effektive Beteiligung der Bürger*innen“ (Europäischer Rat, 2020: 5). Zuletzt warnt der Rat, „dass die Konferenz nicht unter Artikel 48 des EUV fällt, der die Änderung der Verträge regelt.“

Am 10. März 2021 unterzeichneten die Vorsitzenden der drei Organe endlich die Gemeinsame Erklärung zur Konferenz über die Zukunft Europas und setzten so den Rahmen für ihre gemeinsamen Bemühungen.

Die Erklärung spiegelt den Bedarf einer europäischen Politik auf der Höhe der Erwartungen der Unionsbürger*innen und betont:

„Die Konferenz über die Zukunft Europas wird einen neuen Raum für die Debatte mit den Bürgerinnen und Bürgern eröffnen, um sich mit den Herausforderungen und Prioritäten Europas auseinanderzusetzen.“ (EU, 2020: 1).

Die in der gemeinsamen Erklärung zum Ausdruck kommende Selbstverpflichtung umfasst nur, „den Europäerinnen und Europäern zuzuhören und den Empfehlungen der Konferenz […] Folge zu leisten“, und zwar „unter uneingeschränkter Achtung unserer [= der jeweiligen Organe] Zuständigkeiten und der in den europäischen Verträgen verankerten Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit“. Ziel und Ergebnisse der Konferenz werden formuliert als „ein an die Bürgerinnen und Bürger gerichteter, nach dem Bottom-up-Ansatz geführter Prozess, mit dem es den Europäerinnen und Europäern ermöglicht werden soll, ihre Erwartungen an die Europäische Union vorzutragen“ (2020: 2). Außerdem wird ein Feedback-Mechanismus sicherstellen, dass die im Rahmen der Konferenz vorgebrachten Ideen auch in konkrete Empfehlungen für das zukünftige Handeln der Union übersetzt werden.

Bezüglich der Ergebnisse wurde eine Kompromissformel gesucht, die den Inhalt des Abschlussberichts nicht einschränkt, wohl aber seinen Umfang festlegt:

„Die endgültigen Ergebnisse der Konferenz werden in einem Bericht an dem gemeinsamen Vorsitz zusammengefasst. Die drei Organe werden innerhalb ihres jeweiligen Zuständigkeitsbereichs und im Einklang mit den Verträgen rasch prüfen, wie ein effektives weiteres Vorgehen im Anschluss an den Bericht zu gestalten sein wird.“

Wie funktioniert die Konferenz zur Zukunft Europas?

Die Leitungsstruktur

Nach wiederholten Debatten um den Vorsitz der Konferenz einigte man sich auf einen gemeinsamen Vorsitz der drei Organe. Beteiligt sind die/der Präsident*in des Europäischen Parlaments, die/der Präsident*in der Europäischen Kommission und die/der Staats- oder Regierungschef*in desjenigen EU-Staates, der zum gegebenen Zeitpunkt den rotierenden Vorsitz des Europäischen Rates innehat (während der Entstehung dieses Dokuments ist es Portugal).

Die politische Führung der Konferenzarbeit übernimmt ein Exekutivausschuss, der einvernehmlich über alle Fragen der Konferenzorganisation entscheidet, Plenarsitzungen vorbereitet und Berichte über die Sitzungen verfasst.

Der Exekutivausschuss besteht aus einem kollegialen Vorsitz, der wiederum aus den drei Organen zusammengesetzt ist:

  • Parlament: Guy Verhofstadt, (Renew Europe, liberal); Kommission: Dubravka Šuica, (Vizepräsidentin der EU-Kommission für Demokratie und Demographie); Rat: Ana Paula Zacarias, (für die portugiesische Ratspräsidentschaft).

Die anderen Mitglieder des Exekutivausschusses sind:

  • Parlament: Vollmitglieder: Manfred Weber, (EPP, DE); Iratxe García (S&D, ES). Beobachter*innen: Gerolf Annemans (ID, BE); Daniel Freund (G/EFA, DE); Zdizislaw Krasnodebski (EKR, PL) and Helmut Scholz (Die Linke, DE).
  • Rat: Gašper Dovžan, slowenischer Staatssekretär für EU-Angelegenheiten; Clément Beaune, französischer Europastaatssekretär. [1] Auch der Rat entsendet 4 Beobachter*innen, nämlich die Staatssekretär*innen der in der rotierenden Ratspräsidentschaft auf Frankreich folgenden Länder: Tschechische Republik, Schweden, Spanien und Belgien.
  • Kommission: Maroš Šefčovič, Vizepräsident für interinstitutionelle Beziehungen und Vorausschau sowie Vera Jourová, Vizepräsidentin für Werte und Transparenz.

Dieser Exekutivausschuss wird von einem gemeinsamen Sekretariat unterstützt, in dem die drei Organe mit je 6 Vertreter*innen gleichberechtigt vertreten sind.

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