Eine Bewertung der Vereinbarung zwischen sozialistischen und linken Parteien Portugals, eine sozialistische Regierung zu unterstützen.
Anfang November unterzeichneten die portugiesischen Sozialist_innen und die Kommunist_innen eine Vereinbarung. Da zwischen dem Linksblock und den Sozialist_innen bereits eine solche unterzeichnet worden ist, gibt es nun also eine Parlamentsmehrheit, um die am kürzesten amtierende Regierung in der Geschichte der portugiesischen Demokratie zu stürzen und damit der Regierung von Passos Coelho und Paulo Portas ein Ende zu setzen. Das Ergebnis ist gleichermaßen bedeutsam wie historisch: Nach dem elenden Austeritätsregime wird nun ein neues Kapitel aufgeschlagen.
Die Inhalte der Vereinbarung
Die drei Forderungen, die Catarina Martins (Vorsitzende des Linksblocks) in ihrer TV-Diskussion mit Antonió Costa (Generalsekretär der Sozialistischen Partei) nannte, stellten bereits vor dem Wahlkampf den Ausgangspunkt für die unterzeichnete Vereinbarung dar: Die SP muss von der Senkung der von den Arbeitgeber_innen zu entrichtenden Sozialsteuer (TSU) Abstand nehmen, ebenso sowie von der Senkung der Sozialsteuer für Arbeitnehmer_innen, deren Renten gekürzt wurden, sie muss auf die Lockerungen des Kündigungsschutzes verzichten und eingefrorene Renten freigeben. Angesichts des Wahlergebnisses, das für die Rechte keine Mehrheit ermöglichte, akzeptierte die SP diese Forderungen. Bei vielen Sozialist_innen machte sich daraufhin Erleichterung breit, da sie diese drei Forderungen aus den eigenen Reihen nicht unterstützt hatten.
Die Vereinbarungen, die nun veröffentlicht wurden, gehen jedoch um Einiges weiter. Es wurde sogar ein Notfallplan entwickelt, der Notfallmaßnahmen vorsieht und sogar über das Minimum hinausgeht und langfristige alternative Antworten auf die Austerität geben kann, wenn denn der politische Wille dazu besteht.
Die Vereinbarungen sehen auch ein definitives Ende der Privatisierungen vor. Das betrifft auch die geplante Überlassung der öffentlichen Transportunternehmen in Lissabon und Porto an private Betreiber_innen. Auch die Wasserversorgung durch die öffentliche Hand wird durch die Vereinbarung gesichert.
Was die Einkommen anbelangt (und Millionen von Arbeitskräften betrifft), sollen Beamt_innengehälter im Jahr 2016 wieder auf ihr ursprüngliches Niveau zurückkehren. Auch Angestellte im Privatsektor werden profitieren (Löhne über € 600 werden eine Reduktion des Gebührenaufschlags erleben, der im Jahr 2017 abgeschafft wird; Löhne unter € 600 werden von der Reduktion der Sozialversicherungsbeiträge profitieren, was keinen Einfluss auf die zukünftigen Renten oder die Nachhaltigkeit des Sozialsystems haben wird). Vier gesetzliche Feiertage werden wieder eingeführt. Da deren Verlust für alle Arbeitnehmer_innen Mehrarbeit bei gleicher Entlohnung bedeutet hatte, bedeutet dies eine Entlastung für diese 4,5 Millionen Menschen.
Den Rentner_innen werden ebenfalls Vorteile erwachsen (eingefrorene Renten unter € 600 werden wieder freigegeben, eine geringe Entschädigung ist vorgesehen; während jene über € 600 nicht mehr von der Zusatzsteuer betroffen sind), was bedeutet, dass zwei Millionen Menschen von den neuen Vorschriften profitieren. Im Gegensatz dazu hatte sich die Rechtsregierung nämlich dazu verpflichtet gehabt, Einsparungen in der Höhe von € 4 Mio. beim Sozialversicherungssystem vorzunehmen – 1,6 Mio. durch das Einfrieren von Renten sowie 2,4 – 2,6 Mio. pro Jahr durch die Kürzung von Sozialhilfeleistungen einzusparen, wie man Brüssel versprochen hatte. Der Unterschied könnte also größer kaum sein.
Neue Steuervorschriften werden Anwendung finden: Die Steuerprogression wird wieder eingeführt, mit mehr Steuerklassen; der Familienquotient, von dem reichere Familien profitierten, wird nun durch eine Steuervergünstigung pro Kind ersetzt. Es gibt nun eine Deckelung der Gemeindesteuern (sie darf € 75 pro Jahr nicht überschreiten); Körperschaftssteuerreduktionen werden abgeschafft. Die Frist für die Berichterstattung über Unternehmensverluste wird von zwölf auf fünf Jahre reduziert und neue Vorschriften werden Steuervorteile einschränken, die aus Dividenden entstehen. Schließlich soll die Mehrwertsteuer für Restaurants wieder auf 13% gesenkt werden.
Zur Armutsbekämpfung soll mit 1. Januar 2017 das Mindestlohnniveau auf € 557 und bis zum Ende des Mandats auf € 600 angehoben werden. Bedürftige Familien sollen Strom zu vergünstigten Tarifen beziehen dürfen. Diese Maßnahmen werden einer Million Menschen zugutekommen.
Maßnahmen sollen umgesetzt werden, damit Scheinselbstständige angemessene Verträge bekommen; Kollektivverträge sollen wieder eingeführt werden; das besondere Mobilitätsregime für Beamt_innen, das zu Kündigungen geführt hatte, wird abgeschafft.
Pfändungsbeschlüsse über Wohnungen aufgrund öffentlich-rechtlicher Verbindlichkeiten sind nicht mehr zulässig.
Die Auflistung von Maßnahmen im Bereich Gesundheit und Bildung umfasst die Reduktion der Gesundheitsversicherungsbeiträge.
Die Sozialistische Partei zog ihren Wahlrechtsvorschlag zurück, der Einzelwahlkreise vorsah (ähnlich dem britischen „First-past-the-post“-System).
Schließlich einigte man sich auf Parlamentskooperationen, im Zuge derer zahlreiche Treffen zwischen den Parteien stattfinden sollen. Dabei sollen Ausschüsse zur Tragfähigkeit der Auslandsverschuldung und der Zukunft der Sozialversicherung gebildet werden. Diese Ausschüsse sollen Trimesterberichte verfassen.
Mit diesen Maßnahmen soll Stabilität im Leben der Bevölkerung erreicht werden, eine Entlastung der Rentner_innen, verbesserte Löhne, Schutz der Arbeitsplätze und verbesserte Steuergerechtigkeit. Außerdem wird der damit einhergehende Anstieg der Gesamtnachfrage eine unmittelbare, positive Reaktion der Wirtschaft hervorrufen.
Was fehlt also?
Den Vereinbarungen mangelt es an strukturellen Lösungen für Investitionen und Alternativen, wie Zahlungs- und Einkommensbilanzen gehandhabt und verbessert werden können. Umschuldung wird die einzige Antwort sein; es wird keinen Spielraum geben, um Druck von außen standzuhalten und die Situation am Arbeitsmarkt zu verbessern. Investitionen werden gebraucht und produktive Kapazitäten müssen gefördert werden; dem Staat wird in der Reaktion auf die anhaltende Rezession, in der wir stecken, eine strategisch zentrale Rolle zukommen.
Abseits davon können wir noch nicht voraussehen, welche Konditionen dem Land von Brüssel, Berlin oder der EZB auferlegt werden – sie werden mit Sicherheit nicht angenehm sein. Wir dürfen die Stellungnahme nicht vergessen, die von der Europäischen Kommission nur zwei Tage nach der Wahl veröffentlicht wurde, die neue Maßnahmen zur Sozialversicherung verlangte – dieses Thema wird noch heiß diskutiert werden. Außerdem dürfen wir nicht vergessen, dass Ratingagenturen die Portugiesische Republik bedroht haben. Außerdem wird das Thema Banco Novo (die Bank, die nach der Insolvenz der BES gegründet wurde und die die Regierung nach wie vor erfolglos zu verkaufen versucht) vor dem Sommer noch wichtiger werden, was sich noch negativ auf den Haushaltssaldo auswirken wird. Dadurch werden sich Forderungen nach Neufinanzierung oder einem neuen Abwicklungsprozess für Banken ergeben, der mit den technischen Anforderungen übereinstimmen muss, die dem Gemeinwohl dienen und Auslandsschulden reduzieren sollen.
Dies sind die Probleme, denen wir uns in den nächsten Monaten und Jahren werden stellen müssen. Die neue Regierungsmehrheit ist sich dessen bewusst, denn es gibt eine Sicherheitsklausel, die garantiert, dass kein unvorhergesehenes Ereignis zu einer Steuererhöhung auf Löhne und Renten führen darf. Es ist sicherlich an der Zeit, Antworten auf solche unvorhergesehenen Ereignissen und Situationen zu entwickeln – denn sie werden vor dem neuen Haushaltsplan eintreten.
Übersetzung: Veronika Peterseil
Quelle: esquerda.net, 10. November, Titel: “What will happen after this weekend’s agreement between the Socialists, the Left Bloc and the Communists?”