Die Entscheidung sollte mit sofortiger Wirkung in Kraft treten (d.h. ab 23.00 desselben Tages) und den Plänen zufolge im September ein neuer öffentlicher Fernsehsender (mit der halben Belegschaft) gegründet werden. Da der Beschluss unter dem speziell für den Ausnahmezustand geschaffenen Rechtsakt getroffen wurde, wird das Parlament nunmehr seit mindestens einigen Monaten umgangen.
Um die Schließung voranzutreiben, argumentierte die Regierung damit, dass ERT ein höchst teures und korruptes Unternehmen sei, in dem Regierungen (die aktuelle miteinbezogen) Menschen im Klientelprinzip eingestellt hätten; es sei ein Unternehmen, welches nicht mehr reformiert werden könne. Hinter jenen Argumenten verbirgt sich jedoch der Versuch der Regierung den Misserfolg hinsichtlich des Verkaufs des staatlichen Gasunternehmens vergangene Woche zu verschleiern. Dieser Schritt würde der Regierung auch dazu dienen, die Quote von 2.000 Entlassungen für das Jahr 2013 im Öffentlichen Sektor zu erreichen, wie es durch das Memorandum der Troika, das sie mit unterzeichnet haben, verlangt wird.
Die Ankündigung der Regierung hatte eine weit reichende Reaktion im gesamten Land zur Folge. Mit Ausnahme der neonazistischen Goldenen Morgenröte, forderten alle Parteien (die PASOK und die DIMAR, die Teil der Regierungskoalition sind, mit eingeschlossen) die Aufhebung des Beschlusses. SYRIZA und andere Parteien haben zudem einen Gesetzesvorschlag im Parlament vorgelegt, um das von der Regierung verabschiedete Sondergesetz (Special Legislative Act) für ungültig zu erklären. Alexis Tsipras stattete dem Präsidenten Griechenlands (der eine eher symbolische Position innehat und über wenig reale Autorität verfügt), einen Besuch ab, um ihn davon zu überzeugen, das Sondergesetz nicht mit zu unterzeichnen, da es offensichtlich nicht von der parlamentarischen Mehrheit mitgetragen wird. Er weigerte sich.
Von größerer Bedeutung ist jedoch, dass der Beschluss dazu führte, dass Menschen in ganz Griechenland zu Demonstrationen vor der ERT-Zentrale in Athen und in anderen Städten mobilisiert werden konnten. Als die Regierung schrittweise die Abtrennung des Fernsehsignals von allen anderen Stationen einleitete, setzten JournalistInnen die Ausstrahlung ihrer Programme über Internet-Streaming und mit Unterstützung der Internet-Communities, der Radio- und Fernsehstationen von SYRIZA und KKE sowie seit gestern auch mithilfe der Europäischen Rundfunk Union (EBU) weiter fort.
Im Verlauf der ersten Nacht haben sich zehntausende Menschen versammelt, während die Belegschaft (des Senders) Konzerte des ERT-Orchesters und mit weiteren Künstler_innen organisierte. Letztendlich wurde am Dienstag, dem 13. Juni ein Generalstreik ausgerufen, dessen Hauptdemonstration vor dem ERT-Zentralgebäude in Athen organisiert wurde.
Der ERT-Fall verdeutlicht zunehmend, dass dieser nicht nur die Schließung eines staatlichen Unternehmens bedeutet. Er wird von einem großen Teil der griechischen Bevölkerung als ein weiterer Angriff der Regierung gegen Demokratie wahrgenommen. Der Versuch ausschließlich (privaten) Medienunternehmen den Informationsbereich zu überlassen, erzeugt eine Kultur, die – ganz gleich wie bedeutend/weitreichend eine Entscheidung ist – VolksvertreterInnen im Parlament kein Mitspracherecht einräumen soll.
Jedem wird nun bewusst, dass dies nur den Anfang darstellt: Trotz des Versprechens, das Premierminister Samaras vor der vergangenen Wahl im letzten Jahr gegeben hatte (dass keine Entlassungen, sondern lediglich Restrukturierungen im staatlichen Sektor stattfinden würden), stehen (gemein)nützliche Einrichtungen – wie Spitäler und Universitäten – vor der Schließung und werden zehntausende Kündigungen vorbereitet, und das in einem Land mit einer 30%igen Erwerbsarbeitslosigkeit…
ERT in Zahlen
Angestellte: 2.650 Menschen (Fixangestellte und FreiberuflerInnen)
5 TV Kanäle (3 staatliche, ein Satellitensender, ein HD)
6 staatliche Radiostationen (einschließlich der einzigen für klassische Musik, einer für Weltmusik und einer, die auf MigrantInnen(-Themen) fokussiert, 3 Radiosender für Nordgriechenland, 1 weltweit übertragender Radiosender („Stimme Griechenlands)
19 regionale Radiosender im ganzen Land, 2 Orchester (sinfonisch und modern), sowie ein Chor
1 Fernsehmagazin
1 Internetportal
Das ERT Digitalarchiv, mit wertvollem, multimedialem historischen Material seit der Gründung des Radio- und Fernsehrundfunks in Griechenland.
ERT wird durch eine jährliche Sondergebühr von 51 Euro finanziert, die bei jedem Elektrizitätsanschluss eingehoben wird (d.h. pro Haus/Wohnung oder Arbeitsplatz), Einnahmen die bis zu 290 Million Euro betragen. Jedoch gelangt bei Weitem nicht das gesamte Geld zu ERT: 75 Millionen gehen an das „Electricity Market Regulator“-Unternehmen und mehr als 50 Millionen gehen an den griechischen Staat, entweder direkt oder über die Mehrwertsteuer. Im Jahr 2012 hatte ERT einen Überschuss von 41 Millionen.