Gegengipfel bei der COP26 – Die Zukunft gehört dem öffentlichen Nahverkehr

Im Zuge der Klimakonferenz COP26 in Glasgow verabschiedeten 24 Staaten und einige Autobauer eine Erklärung, in der sie sich verpflichten, bis 2040 (oder früher) aus dem Verbrennungsmotor auszusteigen. So löblich auch diese Erklärung der Unterzeichnerstaaten als ein erster Schritt in die richtige Richtung ist, umso kritikwürdiger ist doch die Stille in Bezug auf den notwendigen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs (ÖPNV). Auch im Koalitionsvertrag der neuen deutschen Bundesregierung ist fast nichts zum Thema ÖPNV zu lesen. Dies ist ein gravierendes Problem, denn der Umstieg vom Verbrenner auf Elektroautos wird viele Herausforderungen mit Blick auf den Klimawandel nicht lösen: Elektroautos beseitigen nicht die Flächenprobleme in unseren Städten, und sie sind ressourcenintensiv und energieintensiv in der Herstellung. So stimmte das Europaparlament am 24. November 2021 in der Entschließung zu kritischen Rohstoffen dafür, neue Abbaugebiete für kritische Rohstoffe wie Lithium und Kobalt (die u.a. in den Batterien von Elektroautos verbaut werden) zu erschließen. Jedoch müsste es, wie Klimaschutzorganisationen zu Recht kritisieren, vielmehr darum gehen, den Materialverbrauch der EU insgesamt zu senken, und nicht darum, neue Abbaugebiete zu erschließen. Außerdem wäre eine Senkung des Materialverbrauchs der EU die Chance, die Regionen des Globalen Südens aus der extraktivistischen Abhängigkeit zu entlassen.

Ausbau des ÖPNV nach der Pandemie

Um das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens noch einhalten zu können, muss überall auf der Welt der ÖPNV flächendeckend ausgebaut werden. Drei Viertel aller Emissionen aus dem Verkehrssektor stammen aus dem straßengebundenen Verkehr, so dass klar ist, dass hier große CO2-Einsparungen realisiert werden müssen. Einmal durch den flächendeckenden Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV), der bezahlbar oder sogar kostenfrei angeboten werden sollte, und andererseits durch den Ausbau des Güterverkehrs auf der Schiene.

Der ÖPNV hat überall auf der Welt unter den Folgen der einbrechenden Fahrgastzahlen aufgrund der Pandemie gelitten: die Beschäftigten waren und sind einem höheren gesundheitlichen Risiko als Beschäftigte in anderen Sektoren ausgesetzt, und die Einnahmen aufgrund sinkender Fahrgastzahlen brachen ein und stellen die Finanzierung des ÖPNV grundsätzlich in Frage. Der derzeitige Boom bei den Elektroautos darf nun aber nicht dazu führen, dass der ÖPNV vernachlässigt oder sogar in Frage gestellt wird. Nein, ganz im Gegenteil brauchen wir eine Reduzierung der Zahl der Autos in unseren Städten und einen besseren, bezahlbaren bzw. kostenlosen ÖPNV. So forderte bei einer gemeinsamen Veranstaltung bei COP 26, organisiert von der International Transport Workers‘ Federation und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brüssel, der Gouverneur der indonesischen Hauptstadt Jakarta, Anies Baswedan, dass die Investitionen der Regierungen weltweit in den ÖPNV dringend angehoben werden müssten. Der Wiederaufbau nach der COVID-19-Pandemie müsse den ÖPNV ganz oben auf die Tagesordnung setzen, denn der ÖPNV transportiere nicht nur Menschen von A nach B, nein, vielmehr „verbinde“ der ÖPNV die Menschen vor Ort. Jakarta habe sich das Ziel gesetzt, bis 2030 die Zahl der Fahrten, die mit dem ÖPNV zurückgelegt werden, zu verdoppeln und in den nächsten Jahren zum weltweiten Vorbild für den Ausbau des städtischen ÖPNV zu werden. Im Innenstadtbereich sei zusätzlich eine verkehrsberuhigte Zone geplant.

Die International Transport Workers‘ Federation startete 2021 ihre Kampagne „The Future is Public Transport“

ÖPNV zurück in die öffentliche Hand

Am Beispiel von Glasgow, wo die diesjährige Klimakonferenz COP26 stattfand, lässt sich auch gut erklären, wie wichtig es ist, den ÖPNV zurück in die öffentliche Hand zu überführen. In Glasgow wurde in den 80er Jahren das Busangebot privatisiert, mit der absurden Folge, dass drei verschiedene Unternehmen in der Stadt von 600.000 Einwohner*innen den ÖPNV mit Bussen anbieten. Seitdem sind die Preise konstant gestiegen, und für viele Menschen schlicht eine zu hohe finanzielle Belastung. Seitdem hat sich auch das Angebot verschlechtert, sowohl, was die Taktung angeht als auch die Abstimmung des Busverkehrs mit anderen Verkehrsträgern. Die lokale Initiative „Get Glasgow Moving“ kämpft seit Jahren dafür, dass der Busverkehr in Glasgow wieder zurück in die öffentliche Hand kommt, denn einige Buslinien sind eingestellt worden, weil sie sich aus Sicht der privaten Unternehmen „nicht gerechnet“ haben. Und das in einer Stadt, die ganz besonders von Armut betroffen ist und wo ein großer Teil der Bevölkerung über kein Auto verfügt und somit voll auf den ÖPNV angewiesen ist. Gleichzeitig erhalten private Busunternehmen in Schottland jedes Jahr 314 Millionen Pfund an öffentlichen Subventionen. Dies ist einfach unfair und zeigt, dass der ÖPNV in die öffentliche Hand gehört, denn er ist Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge und darf nicht den Profitinteressen von privaten Unternehmen untergeordnet werden. Diese Forderungen wurden im Rahmen der Veranstaltung bei COP26 auch von Jennifer McCarey vom Glasgow Trade Union Congress (TUC) erhoben: die Busse müssten zurück in die öffentliche Hand, denn seit der Privatisierung sei das System immer dysfunktionaler geworden. Es gelte, global zu denken und lokal zu handeln.

Wie es gehen kann, zeigt die schottische Stadt Edinburgh, wo der Busverkehr in öffentlicher Hand ist, das Angebot des ÖPNV um Welten besser und die Ticketpreise nur halb so hoch sind wie in Glasgow.

Kostenloser Nahverkehr für Alle – nicht nur für Delegierte der Klimakonferenz

Am 10. November 2021, im Rahmen des Gegengipfels von COP26 (Peoples‘ Summit) organisierte die Glasgower Initiative „Get Glasgow Moving“ gemeinsam mit Friends of the Earth Schottland eine Demonstration, über die breit in der lokalen Presse berichtet wurde. Unter anderem kritisierten die Demonstrant*innen, dass die Delegierten zur Klimakonferenz COP26 in Glasgow einen „free pass“, also ein Ticket für die kostenlose Nutzung des ÖPNV erhielten, und außerdem schicke, neue Elektrobusse angeschafft worden waren, die den Eindruck erwecken sollten, Glasgow würde in den Klimaschutz investieren. Die Demonstrant*innen forderten, den ÖPNV zurück in die öffentliche Hand zu bringen, und den „free pass“ auch für die lokale Bevölkerung nach Ende der Klimakonferenz bereitzustellen, um das Recht auf Mobilität für Alle zu verwirklichen.Die Diskussion zur Rolle der öffentlichen Hand bei der Sicherstellung der öffentlichen Daseinsvorsorge ist in vollem Gange – spätestens, seit Ausbruch der Finanzkrise 2007 – 2008 und spätestens, seitdem Labour im Manifesto „For the Many, Not the Few“ ganz prominent und vielbeachtet Stellung bezog. Die LINKE. in Deutschland setzt sich ebenfalls für den ÖPNV in kommunaler Hand ein und fordert, die Rückführung in die öffentliche Hand durch einen Rekommunalisierungsfonds zu unterstützen. Damit das Recht auf klimafreundliche Mobilität für Alle auch verwirklicht werden kann.

Ursprünglich veröffentlicht auf der Website der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brüssel.

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