Rückversicherungen decken Risiken von Erstversicherungen aus Großereignissen ab, etwa Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, Erdbeben, Waldbrände. Grundlage für ein renditeträchtiges Geschäft ist dabei eine möglichst exakte Berechnung von Risiken und Wahrscheinlichkeiten aller Art. Weltgrößter Rückversicherer ist die Munich RE, ihre wissenschaftlich fundierten Prognosen gelten als sehr treffsicher. Seit geraumer Zeit analysiert sie auch die wahrscheinlichen Auswirkungen des Klimawandels. Munich RE-Chef Nikolaus von Bomhard zur aktuellen Flüchtlingswelle und den zu erwartenden Klimaflüchtlingen: „Ich fürchte, wir sehen bislang lediglich die Spitze des Eisbergs. Schon jetzt sind etwa 60 Millionen Flüchtlinge weltweit unterwegs. Die Zahl wird steigen, wenn es nicht gelingt, die stetig zunehmenden Konflikte in so vielen Ländern einzudämmen, und wenn der Klimawandel voranschreitet. Der Klimawandel hat das Potenzial, zu einem Haupttreiber künftiger Wanderbewegungen zu werden“ (Der Spiegel, 24.10.15).
UN-Flüchtlingskommissar Antonio Guterres prognostizierte bereits 2009 auf der Klimakonferenz in Kopenhagen, dass der Klimawandel in naher Zukunft zum Haupttreiber für Bevölkerungswanderungen werde. Nach Greenpeace sind schon heute mehr als 20 Millionen Menschen auf der Flucht vor den Auswirkungen des Klimawandels. Da sie als Klimamigranten eingestuft werden und nicht unter die Kriterien der Genfer Flüchtlingskonvention fallen, sind sie nicht in den UNHCR-Flüchtlings-Statistiken enthalten. Wobei sich die Fluchtursachen häufig überlappen, in sich verstärkende Wechselwirkung treten. Darauf weist Entwicklungsminister Gerd Müller hin: „Es ist kaum bekannt, dass Syrien in der Zeit von 2006 bis 2011 unter der schlimmsten Dürre seit 100 Jahren litt. Kenner der Region sagen, dass diese Dürre ein Brandbeschleuniger in der Syrienkrise war“ (Handelslbatt, 1.11.15).
Nach Ansicht des Staatsrechtlers Reinhard Merkel ist es dringend notwendig, den rechtlichen Status dieser zusätzlichen, klimabedingten Migrant_innen zu klären, denn sie werden in einer Dimension auftreten, die eine Abweisung durch die reichen Staaten zur Illusion macht. Ganz abgesehen davon, dass diese auch hier in einer moralischen Verpflichtung stehen, da sie mit ihrem „American Way of Life“ die Hauptverursacher der Klimakatastrophe sind. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon zitierte 2009 in einem Bericht für die Generalversammlung wissenschaftlich fundierte Prognosen zu den erwartbaren Zahlen der klimabedingten Flüchtlingsströme: sie schwanken zwischen 50 und 350 Millionen bis 2050 (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.9.15). Ähnlich in einer Studie von Greenpeace: Dieser zufolge werden in den nächsten 30 Jahren 200 Millionen Menschen aus ihrer Heimat flüchten müssen, wenn sich der Klimawandel fortsetzt wie bisher (auch nach Gerd Müller rechnen „Experten mit 200 Millionen Klimaflüchtlingen weltweit“). „Das Thema Klimaflüchtlinge weist in unerträglicher Form auf eine doppelte Ungerechtigkeit hin“, erklärte Andree Böhling, Klimaexperte von Greenpeace. „Während die Ärmsten dieser Welt, die an der Klimaerwärmung unschuldig sind, als Erste heftig durch die Erwärmung getroffen werden, verleugnen die Industriestaaten als Hauptverursacher bisher die Existenz der Klimaflüchtlinge und schotten sich mit geltendem Flüchtlingsrecht dagegen ab“.
Wasser bis zum Hals
Mehr noch. Die reichen Staaten schotten sich nicht nur gegen die Flüchtlingsströme ab. Sie machen auch die Schotten dicht gegen die damit verbundenen Meeresfluten. In den Niederlanden entwickelt man derzeit mit Hochdruck neue Deichsysteme und testet mit gigantischen Wellen-Maschinen, ob die bestehenden Deiche steigenden Meeresspiegeln und Jahrtausendfluten gewachsen wären. Die Hälfte der Bevölkerung lebt in Holland unterhalb des Meeresspiegels. 25 Millionen Euro hat die Wellenmaschine gekostet, zig Milliarden haben die Niederlande seit der Jahrhundertflut 1953 investiert, um sich vor dem Meer zu schützen. Mehr als 100 Milliarden sollen bis 2100 in den Küstenschutz investiert werden. (vgl. Süddeutsche Zeitung, 31.10.15).
Derartige Küstenschutzmaßnahmen kann sich das bettelarme Bangladesch mit seiner 160 Millionen-Bevölkerung und einem Jahres-BIP von gerade mal 113 Milliarden Dollar nicht leisten. Den Menschen wird bei fortschreitender Klimakatastrophe deshalb das Meerwasser im wahrsten Sinne bis zum Hals stehen. Bei einem Meeresspiegelanstieg um einen Meter werden 17 Prozent der Fläche von Bangladesch überschwemmt. Man kann sich ausmalen, was das für eine Fluchtbewegung auslösen wird.
Trotz dieser alarmierenden Szenarien gibt es keine Anzeichen, dass es auf dem Weltklimagipfel in Paris zu einem echten Durchbruch kommt. Schon das vorangehende G-20-Gipfeltreffen in Antalya war nur zu einem dürren Bekenntnis zum Klimaschutz fähig. Paris ist mit die letzte Möglichkeit, mit radikalen Beschlüssen und deren Umsetzung das 2-Grad-Ziel einzuhalten.
Die Zeichen der Zeit weisen eher in eine andere Richtung. Mit Blick auf die UN-Klima-Konferenz in Paris beschwichtigt die Deutsche Bank in einem Kommentar Anleger in Ölaktien, die sich Sorgen um eine Carbon Bubble wegen einer „ambitionierten Klimapolitik“ machen (Carbon Bubble: Spekulationsblase, die sich aus der Unvereinbarkeit des vereinbarten 2-Grad-Klimazieles sowie der weiteren Ausbeutung der vorhandenen fossilen Brennstoffe ergibt): „Was ist dran an der Carbon Bubble? Wie groß ist das Risiko, dass die Bewertung traditioneller Energiekonzerne aufgrund einer ambitionierten Klimaschutzpolitik stark sinkt? Es mag viele Gründe für Investoren geben, weniger als bislang oder nicht mehr in „fossile Energiekonzerne“ zu investieren und stattdessen andere Anlageformen zu präferieren. Auf eine ambitionierte, verlässliche und international umfassende Klimaschutzpolitik sowie eine global sinkende Nachfrage nach fossilen Energieträgern sollte man als Begründung dabei nicht allzu sehr vertrauen. Eine Carbon Bubble ist in einem solchen Umfeld unwahrscheinlich …“. Geradezu zynisch, wenn man bedenkt, zu welchen Katastrophen die geltende Klimapolitik führt.
Munich RE-Chef Bomhard im Spiegel-Interview (24.10.15): „Ein globales Klimaabkommen mit verbindlichen CO2-Reduktionszielen wird die künftige Migration nach Europa weit stärker begrenzen als neue Grenzzäune oder Patrouillenschiffe im Mittelmeer. Von Paris können und müssen auch deshalb positive Signale ausgehen. Entscheidend sind am Ende aber weniger die Verpflichtungen auf dem Papier als vielmehr das Handeln der Politik. Das generelle Dilemma ist die Kurzsichtigkeit der Politik, der es so unglaublich schwerfällt, über die Legislaturperiode hinaus zu planen und zu handeln. Sie muss endlich die Ursachen der Migration angehen, und der Klimawandel gehört dazu“.
Erstveröffentlichung am 23. November auf: http://isw-muenchen.de/2015/11/klimafluechtlinge-werden-zum-haupttreiber-kuenftiger-migration/