Die Redaktionsleitungen von Regards, Politis und Mediapart veröffentlichen gemeinsam ein Manifest, das sich für die Aufnahme von Flüchtlingen ausspricht. Erstunterzeichner_innen waren 150 Intellektuellen, Künstler_innen, Aktivist_innen, Gewerkschafter_innen und prominenten Vertreter_innen der Zivilgesellschaft – zehntausende Menschen folgten.
Überall in Europa ist die extreme Rechte auf dem Vormarsch. Statt für Gleichheit zu kämpfen, ist man geradezu besessen vom Thema Identität. Die Angst davor, nicht mehr „unter sich“ zu sein, überwiegt die Vorteile des Zusammenlebens. Ordnung und Gesetz gehen über die gemeinsame Verantwortung und Teilhabe an der Gesellschaft. Jeder für sich selbst statt Gemeinschaftssinn.
Einmal mehr hat man Sündenböcke gesucht und gefunden. Vergessen ist der Finanzmarkt-Wahnsinn, die wachsende Ungleichheit, Diskriminierung und die unsicheren Zukunftsperspektiven. Anstelle der Wahrheit wird uns erzählt, dass der Grund für unsere Misere die Migrant_innen seien. Und dann wird auch schnell eine einfache Lösung angeboten: Wenn wir weniger Migrant_innen ins Land lassen, haben wir weniger Probleme. Zu viele Menschen sind leider bereits auf diesen Zug aufgesprungen.
Wir werden dies jedoch nicht so hinnehmen. Die Wurzel unserer aktuellen Probleme liegt nicht in der Tatsache, dass Menschen ihre Heimatländer verlassen, sondern im ungeregelten Einfluss von Wettbewerb und Governance, der Übermacht der Finanzwelt und der Taubheit der Technokratien. Nicht die arbeitenden Migrant_innen sind Schuld an den sinkenden Löhnen, sondern die immer wichtiger werdenden Faktoren Wettbewerb, Profitabilität und Desregulierung.
Wer glaubt, Migration ließen sich eindämmen oder sogar stoppen, irrt. Wenn dies unser Ziel ist, werden wir gezwungen, unsere schlimmste Seite nach außen zu kehren. Eine solche Regulierung führt zu verstärkten Polizeikontrollen; Grenzen werden zu Mauern. Abschottung hat unweigerlich Gewalt zur Folge und erhöht die Anzahl der verarmten und ausgebeuteten illegalen Migrant_innen. In dieser globalisierten Welt können sich Güter und Kapital völlig uneingeschränkt und unkontrolliert bewegen; Menschen jedoch nicht. Die Personenverkehrsfreiheit war noch nie im Sinne des Kapitals.
In den kommenden Jahrzehnten wird sich die Anzahl der Migrant_innen weiter erhöhen; ob sie nun freiwillig oder erzwungen erfolgt. Menschen werden ihre Heimat verlassen und an unseren Küsten und in unseren Ländern eintreffen, wie dies auch heute der Fall ist. Kriege und wetterbedingte Katastrophen werden dafür sorgen, dass es immer mehr Flüchtlinge gibt. Was werden wir dagegen unternehmen? Werden wir weiterhin unsere Grenzen dicht machen und es den Armen überlassen, die Allerärmsten aufzunehmen? Vom Standpunkt der Moral ist das eine Schande, von jenem der Rationalität einfach dumm; dies käme einer reinen Kopf-in-den-Sand-Politik gleich.
Den Vorschlägen der extremen Rechten, die sie immer wieder wiederholt hat und von denen sich auch Linksparteien verführen lassen könnten, darf keinerlei Spielraum gelassen werden. Als Intellektuelle, Kreative, Aktivist_innen, Gewerkschafter_innen und zuallererst als Bürger_innen erklären wir hiermit, dass wir diesen Weg nicht einschlagen werden. Wir werden keine Kompromisse mit den Ideen der extremen Rechten eingehen. Migration ist nur für Gesellschaften schlecht, die nicht teilen wollen. Personenverkehrsfreiheit und eine gesellschaftliche Gleichstellung der Migrant_innen in den Aufnahmeländern ist ein Menschenrecht.
Wir werden der Rechten nicht den Gefallen tun und ihr das Gefühl vermitteln, sie stelle die richtigen Fragen. Wir lehnen ihre Fragen und Antworten gleichermaßen ab.
Quelle: regards.fr