Österreich hat paradox gewählt

Das Ergebnis der Wahlen zum österreichischen Nationalrat muss in Europa paradox erscheinen. Trotz der im Vergleich günstigen Wirtschaftsdaten wurde die regierende Große Koalition aus Sozialdemokraten (SPÖ) und Konservativen (ÖVP) abgestraft. Ihr Stimmenanteil ging von 55% auf etwas weniger als 51% zurück.

Die SPÖ konnte mit 27% zwar stärkste Partei bleiben, sitzt nun aber in einem Parlament mit vier Rechtsparteien, die gemeinsam über 107 von 183 Mandaten verfügen.

Erfolgreicher als prognostiziert, war die ihrem Programm nach deutschnationale und rassistische FPÖ mit 20,5% (+3,0%). Es ist ihr gelungen, den Großteil der Stimmen zurückzuholen, die sie seit 2005 an das von Jörg Haider gegründete BZÖ verloren hat. In der Steiermark gelang es der FPÖ auf dem Hintergrund einer von der schwarz-roten Landesregierung zur Durchsetzung sozialer Einschränkungen und einer Neuordnung der Gemeinden geschlossenen »Reformpartnerschaft« spektakulär in die WählerInnenschaften von ÖVP und SPÖ einzubrechen und stärkste Partei zu werden. Bundesweit hat die FPÖ die SPÖ unter den ArbeiterInnen und Angestellten als stärkste Partei abgelöst.

Mit 12,4% blieben die Grünen unter den Erwartungen. In Wien mussten sie Verluste hinnehmen, was weniger mit kommunalpolitischen Fehlgriffen der rot-grünen Stadtregierung zusammenhängt, als mit dem Auftreten einer neuen Partei, den NEOS (»Das Neue Österreich«).

Mit »Frank« (5,7%), einer von einem kanadischen Milliardär österreichischer Herkunft, Frank Stronach, gesponserten Partei (»Team Stronach«) und den NEOS (5,0%), einer von einem anderen Milliardär gesponserten Abspaltung der ÖVP, ziehen zwei neue Rechtsparteien mit neoliberaler Programmatik ins Parlament ein. In Wien, wo die NEOS 7,6% erreichten, mobilisierten sie WählerInnen sowohl von der ÖVP als auch von den Grünen.

Als einzige ausgewiesen linke Partei stand die KPÖ zur Wahl und erreichte ihr traditionelles 1%-Ergebnis (Wien 1,7%, Steiermark 1,8%). Dort, wo die KPÖ kommunal verankert ist, liegen die Ergebnisse zwischen 2,5% und 4% und stellen Positionsgewinne bei bevorstehenden lokalen Wahlgängen in Aussicht. Die Piraten erhielten 0,8%. Das Problem einer strategischen Neuaufstellung der Linken auf breiter politischer Basis, zu der die KPÖ aufruft, bleibt weiterhin ungelöst.

Obwohl das Wahlergebnis die Fortsetzung der Großen Koalition ermöglicht, könnte die Regierungsbildung sich als schwierig erweisen. Im Unterschied zur SPÖ fällt der ÖVP die Entscheidung für die Fortsetzung der Koalition schwer, weil sie sowohl von rechts, seitens der FPÖ, als auch in der Mitte, seitens der NEOS, unter Druck steht. Trotzdem dürften die maßgeblichen Einflusszentren der ÖVP das Experiment einer Rechtsregierung unter Einschluss der FPÖ und einer der neuen Parteien als zu riskant beurteilen.

Möglich aber ist, dass die ÖVP versucht, das gestiegene parlamentarische Gewicht der Rechten in den Verhandlungen mit der SPÖ zu nützen, und eventuell auch auf die Beteiligung einer der neuen, rechten Parteien an der Regierung drängt. Wie weit die SPÖ diesem Druck nachgeben kann, ist unklar. Umgekehrt könnte die SPÖ auf eine Einbeziehung der Grünen in eine Koalition mit der ÖVP drängen. Überraschungen sind nicht ausgeschlossen.

Die ÖsterreicherInnen haben am 29. September tatsächlich paradox gewählt. Sie haben ihre Unzufriedenheit mit der neoliberalen Politik der Koalition durch die Stärkung neoliberaler Parteien ausgedrückt, und werden daher noch mehr neoliberale Politik bekommen. Die deutschnationale, rassistische FPÖ bleibt mit ihren 20,5% in Lauerstellung.

Legende:
rot: SPÖ (Sozialdemokratische Partei Österreichs)
schwarz: ÖVP (Österreichische Volkspartei)
blau: FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs
)

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