Im Zuge eines zweitägigen Workshops diskutierten Aktivist_innen und Sozialwissenschafter_innen aus ganz Europa konkrete Möglichkeiten zur Überwindung der kapitalistischen Organisation der Produktion und die Selbstverwaltung von Fabriksarbeiter_innen.
Der Workshop wurde am 11.-12. März in Rom abgehalten und stellte ein zweites Treffen zum Thema Commons dar, ein Arbeitsschwerpunkt von transform! europe. Mehr als 30 Wissenschafter_innen, Aktivist_innen und Arbeiter_innen, sowie Personen mit Erfahrung im Bereich der Selbstverwaltung aus Griechenland, Frankreich, England, Bosnien, Kroatien, Serbien, Deutschland, Belgien, Österreich, Italien, den USA und Argentinien nahmen an der Veranstaltung teil.
Der Workshop wurde in den Räumlichkeiten von Officine Zero abgehalten, einem Symbol für den Kampf der Arbeiter_innen für die Erhaltung von Arbeitsplätzen. Im Zuge des Workshops wurde das erste eBook zum Thema Commons präsentiert, das die Inputs des Treffens zum Thema „Social Reappropriation“ („gesellschaftliche Wiederaneignung“) umfasst. Es steht nun auf der Website von transform! europe zum Download bereit.
Wovon sprechen wir?
An den beiden Tagen fanden vier Sitzungen statt. Die erste Sitzung mit dem Titel „Wovon sprechen wir?“ umfasste Beiträge von Dario Azzellini (Universität Linz, Österreich), Gianni Rinaldini (Stiftung Claudio Sabattini, Italien), Andres Ruggeri (Universidad de Buenos Aires, Argentinien), Theo Karyotis (Solidaritätsnetzwerk Vio.Me, Griechenland), Yannis Barkas (Solidarity4All, Griechenland), Marina Sitrin (CUNY, USA) und Aloscia Castronovo (Wissenschafterin und Mitglied des Solidaritätsnetzwerk der Officine Zero, Italien).
In dieser ersten Sitzung ging es darum, die Beziehung zwischen Arbeit und Commons zu beschreiben, wobei man von den Erfahrungen ausging, die in selbstverwalteten Fabriken gemacht wurden. Viele Kämpfe im Bereich der Commons kreisen um die Produktion von Konsumgütern (etwa Energie oder Wasser) oder Agrarerzeugnisse. Welche könnten die Kriterien bei der Definition eines Commons im Bereich Produktion sein?
Wir begannen mit den Erfahrungswerten aus Argentinien, die Andres Ruggeri (Universidad de Buenos Aires) im Rahmen seines Beitrags darlegte. Er erläuterte das Phänomen der „zurückeroberten Fabriken“, von denen es in Argentinien nun mehr als 300 gibt. Ruggeri erklärte, dass diese Betriebe nicht von der Wirtschaftskrise betroffen seien, sondern zu einer Form der Alternativwirtschaft gehörten.
In Europa gibt es nur wenige solcher „zurückeroberten“ Unternehmen (Griechenland: Vio.Me, Italien: RiMaflow und Officine Zero, Frankreich: La Fabrique du Sud und SCOP TI). Der Wille der Arbeiter_innen zur Weiterführung eines insolventen Unternehmens als Genossenschaft besteht jedoch durchaus häufig. Auch wenn diese Umwandlung eher einer Unternehmensübernahme ähnelt, illustriert dieses Phänomen das starke Bestreben der Arbeiter_innen, die Ressourcen zu kontrollieren, um ihre Arbeitsplätze zu erhalten.
Auf der Basis der Erfahrungen im kleinen Rahmen kann man natürlich kein großangelegtes industrielles Modell entwickeln. Diese Erfahrungen kritisieren allerdings das bestehende Modell, das es auf unserem Kontinent nicht schafft, Grundrechte und Arbeitsplätze zu garantieren.
Große Industrieunternehmen, die Teil eines vergesellschafteten Produktionsprozess waren und oft vom Staat geführt wurden, sind nun oft Gegenstand von Privatisierungen und anschließender Stilllegung. Selbstverwaltung stellt eine Alternative und ein anderes Wirtschaftsmodell dar, das eine Beziehung zwischen Menschen und einen kooperativen Raum ermöglicht, basierend auf der Achtung der Umwelt und der menschlichen Beziehungen.
Zurückerobern ist nicht einfach
Die zweite Sitzung mit dem Titel „Zurückerobern ist nicht einfach“ umfasste Beiträge von Benoit Borrits (Association pour l’Autogestion, Frankreich), Theodora Kotsaka (Nicos Poulantzas Institut, Griechenland), Nefeli Rea Tzanetakou (ENKLO), Ilektra Bethymouti (Arbeitsmedizinisches Zentrum von Vio.Me, Griechenland), Nina Rajkovic (Organisation für Arbeiterinitiativen und Demokratisierung, Kroatien), Vida Knezevic und Marko Miletic (Kontekst Collective, Serbien), Emin Eminagic (Radnicki Universitat, Bosnien), Jasmina Husanovic (Arbeiter_innenuniversität Tuzla), Emina Busuladizic (DITA in Tuzla, Bosnien) und Aloscia Castronovo (Officine Zero, Italien).
Im Zuge dieser Sitzung wurde darüber diskutiert, dass die Übernahme eines Unternehmens durch die Arbeiter_innen oft in einem rauen und wirtschaftlich schwierigen Kontext vonstattengeht. Der Impuls zur Selbstverwaltung entsteht häufig nach einer tatsächlichen Firmenpleite; oftmals aber auch als Reaktion auf die absichtliche Schließung einer Fabrik durch die kapitalistisch handelnde Unternehmensführung. In einem solchen Zusammenhang kann eine Unterbrechung der Unternehmensaktivitäten und Produktion zu einem Verlust von Kund_innen bzw. firmeninterner Expertise führen. Das bedeutet, dass die Arbeitnehmer_innen Schwierigkeiten dabei haben werden, verlorene Märkte zurückzugewinnen und neue Kund_innen zu finden. Darüber hinaus sind Arbeitergenossenschaften bei Banken nicht gern gesehen, was es ihnen erschwert, Kredite zur Unternehmensfinanzierung zu bekommen.
Wie man Commons schafft
Die dritte Sitzung mit dem Titel „Wie man Commons schafft“ umfasste Beiträge von Elisabetta Cangelosi (Befürworterin der interfraktionellen Gruppe zu Commons im EP, Italien), Francine Mestrum (Global Social Justice, Belgien), Alan Tuckman (Workers’ Control, UK), Massimo de Angelis (Professor für politische Ökonomie an der University of East London, UK), Yannis Barkas (Solidarity4All, Griechenland), Elisa Gigliarelli (Officine Zero, Italien) und Orestis Varkarolis (Netzwerk der Arbeitergenossenschaften Athen, Griechenland).
Während dieser Sitzung wurde diskutiert, inwiefern Arbeiter_innengenossenschaften weder selbstverwaltete Unternehmen darstellen, noch ihr Output tatsächlich zu den Commons zählt. Diese Art der Organisation ist eine Mischform, die im Privateigentum verankert ist, auch wenn sie einige Regeln des Kapitalismus bricht, denn nur Mitglieder der Kooperative können wählen und nicht alle Arbeiter_innen. Wie dies auch von verschiedenen Schriftsteller_innen betont wurde, sind Arbeiter_innengenossenschaften auf einen Markt angewiesen, um zu überleben, was sie in eine Reihe mit ihren kapitalistischen Mitbewerber_innen stellt. Über Jahre hinweg wurden daher Konsumgenossenschaften als Lösung des Problems angesehen. In Italien haben sich diese jedoch nicht gemäß ihrem ursprünglichen Gedanken entwickelt, werden oft von Kriminellen infiltriert und behandeln Arbeiter_innen oft schlechter als kapitalistisch funktionierende Unternehmen.
In Richtung einer offensiven Strategie
Die letzte Sitzung mit dem Titel „In Richtung einer offensiven Strategie“ umfasste die Beiträge von Chantal Delmas (Espaces Marx, Frankreich), Anna Curcio (Universität Bologna, Italien), Birgit Daiber, Tomasone Federico (Rosa Luxemburg Stiftung, Brüssel), Benoit Borrits (Association pour l’Autogestion, Frankreich) und Alessandro Splendori (Officine Zero, Italien).
Die Beiträge drehten sich um die Tatsache, dass Unternehmensübernahmen durch Arbeiter_innen stets aus einer defensiven Position heraus vollzogen werden, nämlich um Arbeitsplätze zu erhalten. Diese Übernahmen beweisen, dass Arbeit ohne Chef_innen und Gesellschafter_innen keine Utopie ist. Außerdem zeigt sich, dass Arbeiter_innengenossenschaften widerstandsfähiger und im Durchschnitt erfolgreicher sind als andere Unternehmen. Diese Übernahmen bieten also eine unmittelbare Möglichkeit, den Kapitalismus zu umgehen und kapitalistisch funktionierende Unternehmen abzuschaffen. Allein die Frage bleibt offen, wie wir aus der defensiven Rolle in eine offensive Rolle schlüpfen können, um so dem Kapitalismus ein Ende zu setzen.
Fazit
In allen Sitzungen regten die Beiträge offene Diskussionen an und stärkten die Verknüpfung zwischen den unterschiedlichen europäischen Erfahrungswerten.
Einer der Hauptpunkte, der aus der Debatte hervorging, ist, dass diese Erfahrungen breite Kritik an einem Wirtschaftssystem äußern, das den Arbeitenden die Last der globalisierten kapitalistischen Akkumulation auferlegt hat.
Ein weiterer Aspekt, den die Commons stärken können, ist der Kampf gegen die Fragmentierung der Arbeitswelt und für eine gesellschaftliche Neuordnung, um so genügend Kräfte zu bündeln und ein wirksames Gegengewicht zur Macht der Finanz darstellen zu können.
Gegen Ende des Workshops wurde der Vorschlag vorgebracht, diesen Dialog mit den Repräsentant_innen der Arbeitswelt fortzuführen, angefangen bei den Gewerkschaften. Der nächste Workshop soll in Brüssel stattfinden.
Wie bereits nach dem Seminar zur gesellschaftlichen Wiederaneignung möchten wir die Beiträge der Redner_innen sammeln und im Rahmen eines zweiten transform! Commons eBook veröffentlichen.