Bis jetzt ist Alexis Tsipras der einzige Kandidat für die Präsidentschaft der Europäischen Kommission – die Partei der Europäischen Linken hat auf ihrem Parteitag die entscheidende Nominierung angenommen. Es ist alles andere als sicher, dass die Sozialisten und die Demokraten Europas (eine eigenartige Unterscheidung, nicht wahr?) ihren eigenen Kandidaten am 1. März bekanntgeben werden, nämlich den aktuellen Präsidenten des Europäischen Parlaments und Spitzenkandidaten der SPD in der Europawahl, Martin Schulz.
Andererseits gibt es Meinungsverschiedenheiten bei den Konservativen – die ebenfalls im März ihre Entscheidung treffen werden –, weil Merkel Juncker nicht unterstützt, während Barier (der ebenfalls für die Kandidatur in Frage kommt) ein sehr schwacher Kandidat ist. Es wird spekuliert, dass der Name Schulz Teil der Übereinkunft zwischen Christdemokraten und Sozialdemokraten beim Zustandekommen der Koalitionsregierung in Deutschland war; wenn sich das bestätigt, ist die Wahrscheinlichkeit seiner Ernennung zum Präsidentschaftskandidaten hoch, da diese sich auf die Zustimmung der deutschen Regierung stützen kann.
Heuer haben die Bürger_innen der EU-Staaten erstmals die Gelegenheit, zusätzlich zur Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments auch ihre Meinung zur Person des Kommissionspräsidenten abzugeben, indem sie gleichzeitig mit der Partei, die sie wählen, auch deren Kandidaten unterstützen. Das ist allerdings nicht bindend, da die tatsächlich dieses Amt bekleidende Person aufgrund von Aushandlungsprozessen zwischen Staaten und Parteien gewählt wird, wenngleich die Meinungsäußerung Hunderter Millionen Bürger_innen nicht ohne politische Bedeutung ist. Der Grund dafür liegt darin, dass die verschiedenen Kandidaten auch unterschiedliche politische Richtungen und Ansichten bezüglich der Frage repräsentieren, welchen künftigen Kurs Europa einschlagen soll.
Für die griechischen Wähler_innen ist es möglicherweise von Bedeutung, dass erstmals einer der ihren, ein Grieche, für ein derartig wichtiges Amt kandidiert. Als noch wichtiger wird sich jedoch erweisen, wofür jeder Kandidat hinsichtlich des Kurses der Union und deren Politik gegenüber unserem Land steht. Martin Schulz ist mehrere Male hier gewesen und hat seine Meinungen zur Politik der EU gegenüber Griechenland geäußert. Das erste Mal, als seine Aussagen große Öffentlichkeit erreichten, war im Frühjahr 2012. Damals trat er als Agent der Troika und Befürworter des Memorandums auf den Plan. Eines seiner Argumente, bei einem Treffen mit Alexis Tsipras geäußert, war, dass er persönlich die Einwände innerhalb seiner Partei während der Abstimmung im Bundestag über das „Hilfspaket“ zum Schweigen gebracht hätte – der Lebensretter aus Blei, wie ein Parlamentsabgeordneter von Die Linke dies nannte. In der Tat kostete es ihn viele letztlich von Erfolg gekrönte Mühen, um die von sozialdemokratischen Parlamentsabgeordneten geäußerten Einwände zu entschärfen, die – in Übereinstimmung mit der Europäischen Linken – argumentierten, dass das Paket einem Rettungshandel für die europäischen Großbanker und nicht für die Bürger_innen Griechenlands gleichkomme. Damals brachten seine Aussagen, die er genau vor dem Eingang zum griechischen Parlament machte, mit großer Deutlichkeit jene Position zum Ausdruck, wonach jeder Widerstand gegen die Memorandumspolitik vergeblich sei – Äußerungen, die jene Parteien, die für das Memorandum eintraten, als Argumente gegen die Linke ins Spiel brachten. Dieser Tage, wenn sogar der Vorsitzende der europäischen Sozialdemokraten, der Österreicher Swoboda, etwas zeitverzögert zwar, aber der Sache nach richtig, von einer Auflösung der Troika (wann genau?) mit der Begründung spricht, dass diese nicht mehr auf demokratischem Boden stehe, vermeidet es Martin Schulz, dieses Anliegen zu unterstützen. Daher ist er ein erprobter Verfechter des Merkel-Kurses und jede Mutmaßung, dass er am Ende von der eisernen Lady in Berlin empfohlen wird, ist alles andere als unbegründet.
Was das Amt des Kommissionspräsidenten betrifft, wird es bei den Europawahlen aller Wahrscheinlichkeit nach zwei Wahlmöglichkeiten geben. Einerseits jene für Schulz, was eine Fortsetzung des bisherigen verheerenden Kurses sowohl den weiteren Ausbau eines geeinten Europas als auch die Griechenland-Politik der Union betreffend, bedeutet. In Griechenland wird dieser Wahlausgang – ganz gleich, ob sie nun zusammen kandidieren oder getrennt – von PASOK, DIMAR und dem neu gegründeten „Fortschrittlich-Demokratischen Lager“ unterstützt werden, mit der Option, dass die Néa Dimokratia zu ihnen stößt, sollten die Sozialdemokraten und Konservativen auf Europaebene tatsächlich ein Bündnis miteinander eingehen. Dem gegenüber steht die Wahlentscheidung zugunsten von Tsipras, die in Griechenland von SYRIZA befürwortet wird und eine 180-Grad-Wende bedeuten würde: die sofortige Aufkündigung der stets neue Krisen generierenden Austerität, eine aufeinander abgestimmte Neubelebung der Wirtschaft der Euro-Zone, Wachstum kombiniert mit der ökologischen Transformation von Produktion und einer Führungsrolle der Arbeitenden, nicht der Banker. Letzteres soll in regelmäßiger und angemessen bezahlter Arbeit, Demokratie und völliger politischer Gleichstellung aller Mitgliedsstaaten der EU zum Tragen kommen, ebenso in einer europäischen Zuwanderungspolitik, die auf dem Grundsatz einer „doppelten europäischen Solidarität“ beruht, d.h., nach außen hin durch eine verstärkte Hilfestellung für eigenständiges Wachstum in den Herkunftsländern und gleichzeitig, nach innen, mittels gerechter Verteilung aller Wirtschaftsmigrant_innen und Flüchtlinge innerhalb der Europäischen Union und ihrer besseren Integration in den jeweiligen Zielländern, wozu als erstes die Dublin II-Regelung geändert werden muss. Schließlich bedeutet die Wahlentscheidung für SYRIZA ein neues europäisches Sicherheitssystem, das auf Verhandlungen basiert, auf einer sukzessiven Abrüstung und einer friedvollen, nicht-militaristischen Politik gegenüber Drittstaaten.
Wenn der Sekretär von DIMAR, in Ergänzung einer früher von ihm gemachten Aussage, nun bekanntgibt, dass seine Partei die Kandidatur von Tsipras nicht unterstützt, weil sie sich dafür entschieden hat, mit den europäischen Sozialisten und Demokraten zu kandidieren, d.h., mit der Partei von Martin Schulz, nimmt er doch eigentlich eine Position ein anstatt so zu tun, als würde er im Kampf mit Venizelos um die Gunst von Schulz ringen.
Dieser Text wurde am 28. Jänner ursprünglich auf Griechisch von Avgi veröffentlicht.