Nachfolgend Auszüge aus einer ersten Analyse des Wahlergebnisses, die noch in der Nacht nach dem Urnengang erstellt wurde:
Wahlanalyse Parlamentswahl Portugal 2015
Von Dominic Heilig
Das Austeritätslager PaF
1. Das konservative Wahlbündnis „Portugal à Frente“ (PaF), gebildet aus der aktuellen Koalitionsregierung zwischen konservativer PSD und rechtspopulistischer CDS-PP, gewinnt zwar die Wahlen mit über 36,8 Prozent der Stimmen (2011; PSD: 38,66% / CDS-PP: 11,71%), verliert aber im Vergleich zu 2011 über 14 Prozent und damit die absolute Mehrheit im Parlament.
2. Stärkste Kraft im Land wird damit trotzdem ein Parteienbündnis, das zum „Austeritätslager“ gezählt werden muss und als verlässlicher Partner in Brüssel zur Umsetzung der Troikadiktate galt und damit Wahlkampf betrieb.
3. Auf der einen Seite hat das „Austeritätslager“ massiv Stimmen eingebüßt, auf der anderen aber ihre Spitzenposition behalten.
4. Ministerpräsident Pedro Passos Coelho (PSD) und sein Koalitionspartner Paulo Portas (CDSPP) sind nun auf einen Koalitionspartner angewiesen, wollen sie weiter regieren. Zu erwarten ist, dass sie auf die Sozialisten (PS) zugehen werden.
5. Die Entscheidung, mit einer gemeinsamen Liste anzutreten, hat nicht den gewünschten positiven Effekt gebracht.
6. Insbesondere die Partei von Paulo Portas (CDS-PP) ist die leidtragende der frühen Entscheidung, sich an die gemeinsame Liste mit der PSD von Ministerpräsident Pedro Passos Coelho zu binden, da sie nun nur schwer als künftiger Koalitionspartner für die Sozialistische Partei (PS) zur Verfügung steht. Es bleibt abzuwarten, ob das Wahlbündnis PaF über den Wahlabend hinaus Bestand haben wird.
Die unsichtbare Oppositionspartei PS
1. Für die Sozialistische Partei (PS) unter Spitzenkandidat António Costa ist das Ergebnis niederschmetternd. Sie ist weit entfernt geblieben von ihrem Ziel, eine eigene Mehrheit zu erreichen.
2. Zwar konnte ein Zuwachs im Vergleich zur letzten Parlamentswahl 2011 (28,05 Prozent) von knapp vier Prozent erkämpft werden, dennoch ist die Partei weit an ihrem Ziel vorbeigeflogen, stärkste Kraft im Land zu werden.
3. Die Sozialistische Partei erreichte schließlich nur knapp 32,4 Prozent der Stimmen.
4. Ihr ist es im Wahlkampf nicht gelungen, sich inhaltlich deutlich von der Regierungskoalition zu unterscheiden, da auch sie zu den Austeritätsparteien (mit Abstrichen) zu zählen ist.
5. Ihr ist es zudem nicht gelungen auf – vor allem durch die radikale Linke gesetzte – Themen wie Korruptionsbekämpfung Antworten zu geben und sich vom Image der „Oligarchenpartei“ abzusetzen. Die Verhaftung des ehemaligen Ministerpräsidenten José Sócrates (PS) wegen Korruptionsverdachts Ende des vergangenen Jahres hat dies überdies beinahe unmöglich gemacht.
6. Die PS hat deshalb bereits in den letzten Tagen des Wahlkampfes die Parteien der radikalen Linken aufgefordert, eine gemeinsame Front gegen die Konservativen zu bilden und damit eine Koalitionsaufforderung in Richtung CDU (Kommunisten und Grüne) und BE (Linksblock) ausgesprochen. Will die PS künftig den Premierminister stellen, ist sie auf die Stimmen der radikalen Linken angewiesen. Dieses Szenario erscheint aber nur dann realistisch, wenn es innerhalb der PS zu einer Art programmatischer Revolution kommt.
7. Einige Veränderungen in der PS deuten sich an. Die Partei teilte noch am Wahlabend mit, dass sie einen Sonderparteitag im März 2016, nach der Wahl eines neuen Staatspräsidenten (Januar 2016) durchführen wird. Eine Neuaufstellung an der Spitze wird erwartet.
8. Auf der anderen Seite ist auch möglich, dass die PS als Juniorpartner eine sog. Große Koalition mit dem konservativen Wahlbündnis PaF bildet.
Bloco de Esquerda – Die neue dritte Kraft
1. Der Bloco de Esquerda ist allen Abspaltungen zum Trotz (Juntos Podemos, Agir, MAS, Tempo de Avancar, Livre) aus seinem Tal heraus und wird zur dritten Kraft im portugiesischen Parlament gewählt.
2. Die Partei erzielt mit 10,2 Prozent ihr bestes Ergebnis in ihrer 16jährigen Parteigeschichte.
3. Dieses Ergebnis war trotz aller Umfragen kaum vorherzusehen, erst recht nicht zu Beginn des Jahres 2015, als die Partei bei knapp drei Prozent gehandelt wurde (siehe http://dominic.linkeblogs.de/linksblock-droht-zu-versinken/).
4. Der Bloco kann damit auch sein desaströses Ergebnis vor vier Jahren (2011: 5,1%) verdoppeln und erreicht ein Ergebnis, das mit dem von vor acht Jahren vergleichbar ist (2009: 9,8%). Die Partei steigert ihre absoluten Wählerstimmen von 288.923 auf über 545.000.
5. Damit wird der Bloco zum zweiten Mal (nach 2009) stärker als die traditionell starke und stabile Kommunistische Partei PCP im Bündnis mit den Grünen PEV (CDU). Die Parteisprecher_innen des Bloco sprechen deshalb nicht zu Unrecht von einem „historischen“ Ergebnis.
6. Damit kann die Partei mit Recht als die einzige Wahlgewinnerin des Abends gekennzeichnet werden.
7. Von allen Parteien ist es dem Bloco de Esquerda am besten gelungen, den Unterschied zu den politischen Konkurrenten herauszustellen („Faz a Diferença“).
8. Auch hat dem Bloco nicht, wie befürchtet, die Neuwahl in Griechenland und die Politik ihrer Schwesterpartei SYRIZA geschadet. Vor allem darauf zielten besonders die Konservativen in ihrer Anti-Links-Kampagne ab.
9. Das Ergebnis des Bloco ist zum einen auf den engagierten und zugespitzten Wahlkampf gegen die Austeritätsparteien PSD-CDS/PP-PS zurückzuführen („Eine Regierung die deutscher ist, als die deutsche“). Zum anderen aber ist das Ergebnis auch Ausdruck dessen, dass die Wähler_innen des Bloco einer Hinwendung zur PS eher skeptisch gegenüberstehen (so wie es Livre/TdA gefordert hatten).
10. Offen bleibt dennoch, ob es nicht trotzdem zu einer Koalitionsbildung zwischen PS und BE kommen könnte, unter Tolerierung der Kommunistischen Partei (PCP).
11. In den ersten Stellungnahmen der BE-Parteiführung wurde deutlich, dass wenn die aktuelle Koalitionsregierung ihre absolute Mehrheit verloren habe, sie auch die Regierungsgewalt verlieren müsse.
12. Das Wahlergebnis ist trotz aller Freude für die EL-Mitgliedspartei nicht ganz ungefährlich, könnten doch an der Frage nach dem Eintritt in eine Regierung mit der PS alte Konfliktlinien, die während des Wahlkampfes beiseite geschoben wurden, aber zuvor den BE an den Rande des Abgrunds geführt haben, wieder deutlicher zutage treten.
CDU – der zweit Wahlverlierer
1. Das traditionelle Wahlbündnis (CDU) aus Kommunisten (PCP) und Grüner Partei (PEV) kann ihr Ergebnis im Vergleich zu 2011 (7,9%) leicht steigern und erzielt 8,2 Prozent der Stimmen.
2. In absoluten Zahlen verharrt das Wahlbündnis CDU wie 2009 (441.147) bei rund 441.800 Stimmen.
3. Das Ergebnis der Kommunisten überrascht, haben doch die Umfragen die Partei stabil vor der zweiten Linkspartei Bloco de Esquerda gesehen und teilweise sogar über zehn Prozent.
4. Dennoch zeigt das Resultat nach wie vor, dass das Bündnis über ein festes Wählerreservoir verfügt. Überspitzt gesagt kann man auch sagen, dass es vollkommen egal ist, was zur Wahl steht, Stimmen zwischen sieben und neun Prozent gehen immer an die PCP.
5. Noch am Wahlabend blieb die PCP bei ihrer fundamentalen Oppositionshaltung, teilte aber gleichzeitig mit, dass die PS in der Situation sei, eine Regierung zu stellen. Diese Aussage kann als Tolerierungsangebot verstanden werden.
Langfassung (pdf) siehe hier.