Seit seiner Gründung vor sechs Jahren hat sich das Subversive Festival, bestehend aus dem Subversive Forum, abendlichen Konferenzen und der Subversive Buchmesse, zu einem zentralen Treffpunkt der Linken in Südost Europa entwickelt. Über hundert BesucherInnen aus der Region, viele tausend BesucherInnen aus Zagreb sowie eine Reihe von prominenten internationalen Gästen nahmen teil. In diesem Jahr erregten vor allem die Diskussionsveranstaltungen mit Alexis Tsipras, Oliver Stone, Aleida Guevara, Slavoj Žižek, Tariq Ali und Silvia Federici das Interesse einer breiten Öffentlichkeit. Boris Kanzleiter sprach mit Srećko Horvat und Igor Štiks, Mitorganisatoren des Subversive Festivals.
Das Thema des Festivals war „Die Utopie der Demokratie“. Aber viele Diskussionen drehten sich hauptsächlich um das demokratische Defizit der Europäischen Union. Was waren die wichtigsten Schlussfolgerungen der Diskussionen in Bezug auf die aktuelle Situation in Europa und speziell in Kroatien, das ja im kommenden Juli Vollmitglied der EU wird?
In der kroatische Gesellschaft gab es keine substanzielle Diskussion über den Beitritt in die EU. Das geringe Interesse am Beitrittsreferendum mit einer Wahlbeteiligung von nur 43% und das noch geringere Interesse an den kürzlichen Nachwahlen zum Europaparlament mit nur 21% Wahlbeteiligung zeigen, dass es in Kroatien in Bezug auf die EU keinen Optimismus mehr gibt. Das ist der Unterschied zur Situation 2004 als zehn Länder Osteuropas, einschließlich unseres Nachbarlandes Slowenien, der EU beitraten. Die Hauptschlussfolgerung des Subversive Festivals könnte man so zusammenfassen: Am 1. Juli wird Kroatien nicht Mitglied der EU sondern Vollmitglied der EU-Peripherie. Die Krise in Slowenien ist ein klares Signal dafür, was demnächst auch in Kroatien passieren könnte. Unsere Hauptschlussfolgerung ist, dass wir anstatt der Austeritätspolitik und der neuen Privatisierungen, die derzeit durchgesetzt werden, eine starke Solidaritätsbewegung im Süden Europas brauchen. Dabei ist klar, dass es ohne die Solidarität der Bewegungen im Zentrum Europas, also vor allem in Deutschland und Frankreich, mit den Bewegungen in der Peripherie keine gemeinsame Bewegung und damit auch keine Lösung der aktuellen Krise geben wird. Das Subversive Festival ist in diesem Sinn ein Teil der gesamteuropäischen Bewegung von Blockupy in Deutschland bis zum Altersummit in Griechenland und den wachsenden Protesten in Italien und Spanien. Es gibt keine Demokratie ohne direkte Demokratie. Aber direkte Demokratie kann schnell verpuffen ohne die produktive Kooperation mit verschiedenen Formen ernsthafter Kämpfe in den Institutionen wie sie beispielsweise von SYRIZA in Griechenland geführt werden.
Einer der prominentesten Gäste war Alexis Tsipras, der Vorsitzende der Linksallianz SYRIZA in Griechenland. Wie wurde seine Anwesenheit in der kroatischen Öffentlichkeit aufgenommen?
Es war das erste Mal, dass Alexis Tsipras Kroatien und diesen Teil von Europa besuchte. Es ist sehr wichtig, den neoliberalen Konsens und die dominaten Diskurs auf dem Balkan, der unter dem Motto TINA (“There Is No Alternative“) zusammengefasst werden kann, zu brechen. Obwohl Tsipras kritisch gegenüber der Sozialdemokratie steht, die in Kroatien die Regierungskoalition anführt, gab es ein offizielles Treffen mit dem Staatspräsidenten Ivo Josipović. Bei diesem Treffen warnte Tsipras vor der Krise in Europa und den verfehlten Antworten der regierenden Eliten. Während seines Aufenthaltes in Zagreb traf Tsipras auch mit dem Filmregisseur Oliver Stone, ebenfalls ein Gast unseres Festivals, zusammen, der ihn offen unterstützte. Stone gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass Tsipras der nächste Premierminister Griechenlands wird. Die Veranstaltung mit Tsipras und Slavoj Žižek zum Thema „Die Rolle der Europäischen Linken“ wurde von fast tausend Menschen besucht. Manche kroatischen Medien folgten natürlich dem Beispiel deutscher Medien wie dem SPIEGEL und bezeichneten Tsipras als „radikal“ oder als einen „gefährlichen Mann“. Aber die allgemeine Reaktion war sehr positiv und sogar enthusiastisch.
Auch der Auftritt von Oliver Stone erzeugte ein großes Medieninteresse. Wie wurde seine Kritik an der Außenpolitik der USA und seine Sympathie für Hugo Chavez und die Linke in Lateinamerika in der Öffentlichkeit aufgenommen?
Die Öffnung Osteuropas, aber auch der Europäischen Union im Allgemeinen, für die Erfahrungen Lateinamerikas ist von entscheidender Bedeutung. Das ist der Grund, warum das Subversive Festival neben Oliver Stone und Tariq Ali, der auch ein Experte zu Lateinamerika ist, Aleida Guevara aus Kuba eingeladen hat. Ihr Besuch in Zagreb, Rijeka und Istrien war ein großer Erfolg und erregte eine breite öffentliche Aufmerksamkeit. Die Gedanken unserer Gäste zu alternativen sozialen und politischen Modellen im politischen Süden – von Venezuela über Bolivien bis Equador – regten eine lebendige und notwendige Debatte über mögliche Alternativen zur aktuellen sozioökonomischen Krise der EU an. Oliver Stone wurde zu einem neuen Freund des Festivals und bewies, dass auch Hollywood für unsere gemeinsamen Kämpfe nützlich sein kann. Seine “Untold History of the United States”, dessen zehn Episoden auf dem Festival gezeigt wurden, ist ein bedeutender Dokumentarfilm, der die verborgenen Aspekte der Außenpolitik der USA beleuchtet.
Neben den Vorlesungen vieler prominenter linker Intellektueller wie Silvia Federici, Chantal Mouffe oder E.O. Wright fand während des Festivals an drei Tagen auch das zweite „Balkanforum“ statt, zu dem über hundert linke AktivistInnen aus der ganzen Region angereist sind. Was war das Ziel, wer nahm teil und was waren die Ergebnisse?
Das erste Balkanforum hat im vergangenen Jahr eine klare Richtung für die progressiven Bewegungen auf dem Balkan vorgegeben. Wir wollen eine gemeinsame Bewegung in der Region aufbauen, die auf gegenseitiger Kommunikation, Kooperation und Solidarität basiert. Wir müssen dabei gegen die zwar künstlichen aber dennoch realen Grenzen kämpfen, die zwischen unseren Ländern gezogen wurden. Wir wollen die wichtigsten Felder für einen gemeinsamen Kampf für einen sozialen, politischen und ökonomischen Wechsel in der Region definieren. Das zweite Balkanforum hat diese Orientierung bestätigt und neue Impulse für die regionale Kooperation gegeben. Während des Forums wurden Panels organisiert, die von Akteuren der sozialen Bewegungen aus verschiedenen Ländern gemeinsam vorbereitet worden waren. Dabei wurden sehr konkrete Vorschläge für Aktivitäten in den Bereichen Demokratisierung und Partizipation, Geschlechtergerechtigkeit, „Commons“, ArbeiterInnenkämpfe, alternative ökonomische Modelle und, last but not the least, Medien und öffentliche Sphäre entwickelt.
Während des Festivals fand auch ein internationales Vorbereitungstreffen für den Altersummit statt, der Anfang Juni in Athen stattfinden wird. Seht Ihr Möglichkeiten, soziale Bewegungen vom Balkan in die europäischen Mobilisierungen gegen Austeritätspolitik und Neoliberalismus zu integrieren?
Zum ersten Mal gibt eine signifikante Beteiligung von Bewegungen vom Balkan an einer paneuropäischen Initiative wie dem Altersummit. Es werden viele AktivistInnen in Juni in Athen dabei sein. Diese Initiative zeigt, dass wir dabei sind, eines der fundamentalen Ziele des Subersive Festivals zu erreichen: Wir wollen die kommunikative Mauer zwischen „West“- und „Ost“-Europa überwinden und gemeinsame Strategien und Aktionen in Europa und darüber hinaus im mediterranen Raum entwickeln.
Quelle: Rosa Luxemburg Stiftung Südosteuropa