Zu den Landtagswahlen in Bayern und Hessen und deren bundespolitische Relevanz

Das politische System in Deutschland ist in im Umbruch (1). Dies zeigten bereits die Ergebnisse der Bundestagswahlen, die Schwierigkeiten der Regierungsbildung, die Regierungskrisen und nun auch die Ergebnisse der Landtagswahlen in Bayern und Hessen. Ein Überblick.

Die Parteien der Großen Koalition haben jeweils mehr als 10% ihrer Wähler verloren. Für die SPD bedeutete dies in Bayern den Verlust der Hälfte ihrer Wähler (1,1 Mio. Wähler), in Hessen über 40% ihrer Wähler (391.000 Wähler). Beide Landtagswahlen waren maßgeblich durch das bundespolitische Agieren der Regierungsparteien und den Umgang miteinander geprägt.

Während sich die Regierungsparteien nach Bundestagswahlen 2017 noch auf 53% der Wähler stützen konnten, erreichen sie ein Jahr später in Bayern nur noch 46,9 (CSU: 37,2%, SPD: 9,7%) und in Hessen 46,8% (CDU: 27%, SPD: 19,8%). Erstmalig rutschte die SPD nun auch einem westdeutschen Bundesland unter die 10%-Marke und lag damit unter ihrem schlechtesten Ergebnis bei Landtagswahlen von Sachsen 2004 mit 9,8%.

Doch auch die CDU/CSU ist von einem Erosionsprozess in zwei Richtungen betroffen. Von rechts ist ihr mit der AfD eine ernsthafte Konkurrenz erwachsen, während sich mehr und mehr Teile der konservativ-liberalen oder christlichen Wähler*innen den Grünen zuwenden. D. h. Legitimationsbasis dieser Regierung und insbesondere der SPD schwindet, und es wächst der Druck auf die Regierungsparteien zu grundlegenden Veränderungen.

 

Bayern

 

 

 

 

Partei

2008

2013

2018

Diff. Zu 2013

CDU/CSU

43,4%

47,7%

37,2%

-10,5%

SPD

18,6%

20,6%

9,7%

-10,9%

Freie Wähler

10,2%

9,0%

11,6%

2,6%

Grüne

9,4%

8,6%

17,5%

8,9%

AfD

 

 

10,2%

10,2%

FDP

8,0%

3,3%

5,1%

1,8%

DIE LINKE

4,4%

2,1%

3,2%

1,1%

 

 

 

 

 

Hessen

 

 

 

 

Partei

2009

2013

2018

Diff. Zu 2013

CDU/CSU

37,2%

38,3%

27,0%

-11,3%

SPD

23,7%

30,7%

19,8%

-10,9%

Grüne

13,7%

11,5%

19,8%

8,3%

AfD

 

4,1%

13,1%

9,0%

FDP

16,2%

5,0%

7,5%

2,5%

DIE LINKE

5,4%

5,2%

6,3%

1,1%

  

Konsequenzen für die Regierungsparteien?

Die Ankündigung von Angela Merkel, bei den CDU-Wahlen nicht mehr als Vorsitzende anzutreten, ist eine erste Reaktion. Zu ihren potentiellen Nachfolgern gehört u.a. der wirtschaftsnahe Neoliberale Friedrich Merz, der sich zu deutscher Leitkultur bekennt, von Merkels Flüchtlingskurs von 2015 distanziert und klare Regeln für Einwanderung und Integration fordert.

Die CSU will ihre Regierungsbildung mit den Freien Wählern in Bayern und die Wahl des EP-Spitzenkandidaten abwarten, um dann über weitere Konsequenzen zu diskutieren. Der Sozialdemokratie würde ein sofortiger Austritt aus der Regierung ohne glaubwürdigen Fahrplan zu grundlegender Reform sozialdemokratischer Politik ebenso wenig helfen, wie die Neuwahl des Parteivorsitzenden ohne programmatisch-strategische Erneuerung. Nur neues Führungspersonal, wie schon 2017 mit Schulz und dann Nahles, genügt nicht, um glaubhafte Erneuerung zu signalisieren.

Und die Opposition?

Die AfD sitzt nach diesen Wahlen in allen Landesparlamenten, auch wenn ihre Ergebnisse in Bayern zwar zweistellig − wie bisher nur in ostdeutschen Flächenländern −  mit 10,2% und Hessen mit 13,1% unter ihren Erwartungen blieben. In Bayern ging ein Teil ihrer potentiellen Wähler lieber zu den Freien Wählern, die in der Flüchtlingsfrage ähnliche Positionen vertreten, jedoch weniger verbal-radikal.  In Hessen warb die AfD konservativ-bürgerlich und verzichtete wahltaktisch auf die Unterstützung ihres völkisch-nationalistischen Flügels. Laut Umfragen sind 58% ihrer Wähler der Auffassung, dass sie sich nicht genügend von rechtsextremen Positionen abgrenze – ein Hinderungsgrund sie zu wählen, ist es jedoch nicht.

Die Grünen sind nicht nur als „Antipoden“ zur AfD die Gewinner dieser Wahlen.  Sie formierten sich in Bayern als liberal-bürgerliches Gegenmodell zur CSU und gleichermaßen als politischer Gegenpol zur Neuformierung im rechten politischen Feld. Sie wurde in beiden Bundesländern zweitstärkste Kraft mit 17,5% in Bayern und mit 19,8% in Hessen. Die Grünen gewannen als geeinte Kraft mit klaren Positionen zu Klima-, Umwelt-, Europa- und zur Flüchtlings- und Asylpolitik, unabhängig von ihrer realen Politik in diversen Landesregierungen. Ihr auf Sacharbeit und konkrete Vorhaben bezogener Politikansatz mit einbindender politischer Sprache mit einem eher antipopulistischen Politikstil hob sich deutlich ab vom Gezänk der Großparteien und den Hass verbreitendenden Politikstil der AfD – selbst wenn dieser im Wahlkampf gedämpft blieb.

Die Grünen gehen anders mit „Zukunft“ um. Sie greifen u.a. die längst sichtbaren Probleme des Klimawandels auf, die Besorgnisse der Zukunft der Demokratie und „Reproduktion der Gesellschaftlichkeit“ als konkrete Herausforderungen vor Ort. Dabei geht es nicht um die „großen Erzählungen“, sondern um machbare Schritte, um verlässliche Verantwortungsübernahme. Sie verbindet dies in Regierungsverantwortung in Hessen mit dem Pragmatismus einer bodenständigen Partei der „demokratischen Mitte“, die sich klar für eine offene und tolerante Gesellschaft einsetzt, für eine humane Asylpolitik und deshalb in Bayern gegen das verschärfende Polizeigesetz demonstrierte. Die Grünen gewannen nicht nur in den großen Städten, sondern mit Themen Wohnen und nachhaltiger Entwicklung, Flächennutzung, Verkehr und Mobilität auch in kleineren Städten und ländlichen Regionen. Die Grünen sind im Unterschied zur LINKEN nicht nur in den Großstädten stark. Sie lag in allen Regionen in Bayern und Hessen über 10%, den Großstädten zwischen 20 und 30%.  Sie thematisierten Altersarmut und die Notwendigkeit einer Kindergrundsicherung, die offenen Probleme von Pflege und fehlenden Gesundheitseinrichtungen gerade auch in ländlichen Räumen. Sie hatten in Bayern wie in Hessen auch das Personal, das vor Ort verankert authentisch für diesen Kurs steht.  Und: sie hatten die Unterstützung von der Bundesebene.

Ob die Grünen sich auch angesichts dieser Zugewinne, die sie aus unterschiedlichen politischen Lagern erhielt, zu einer neuen Art von Volkspartei entwickeln werden, bleibt derzeit noch offen. Klar ist, dass sie mit einem solchen Kurs auch zur Herausforderung für die Linken wird.

DIE LINKE in Bayern kann auf einen Stimmenzuwachs von knapp 74% verweisen, d.h. über 180.000 Menschen gaben ihr in Bayern die Stimme. Dennoch reichte es mit 3,2% nicht für den Einzug in den Landtag. DIE LINKE in Hessen konnte ebenso ihr Ergebnis verbessern und ist mit einem Stimmenzuwachs von knapp 20.000 Wählern und 6,3% im Hessischen Landtag vertreten. Mit diesen Ergebnissen bleibt die LINKE jedoch hinter ihren Erwartungen zurück. Die Gründe hierfür sind vielfältig: anders als die Grünen, wirkt die LINKE auf Bundesebene zerstritten, insbesondere in der Flüchtlings- und Migrationspolitik − trotz klarer Parteitagsbeschlüsse. Ihr gestärktes Profil als Partei sozialer Gerechtigkeit zeigt sich bei den zunehmenden Kompetenzzuschreibungen auf den Feldern: soziale Gerechtigkeit, bezahlbarer Wohnraum und Familienpolitik. Aber sie erreicht damit deutlich stärker Wähler in den Metropolenregionen und Großstädten, wo sie inzwischen zweistellige Ergebnisse erzielt. Also dort, wo vor allem die konkreten Projekte sozialer Gerechtigkeit maßgeblich konzipiert werden. Deren „Übersetzungen“ für kleinere Städte und mehr noch ländliche Räume müssen weiterentwickelt werden. Das aber setzt eine aktive und gesellschaftlich vor Ort verankerte LINKE voraus. Dort, wo die LINKE gut verankert und aktiv ist, erreicht sie auch in mittleren Städten gute bis sehr gute Ergebnisse. D.h. die Frage der Organisationsentwicklung muss verstärkt auch aus der Perspektive dieser Räume gedacht werden. 

Zugleich müssen die Stärken der Linken ausgebaut werden. In Hessen und Bayern ist DIE LINKE verlässlicher Partner sozialer Bewegungen, darunter der globalisierungskritischen Bewegungen, der Proteste gegen die Austeritätspolitik der EZB, gegen G20, gegen umweltzerstörende Großprojekte wie der Ausbau des Münchner Flughafens, gegen die Verschärfung des Bayerischen Polizeigesetzes für eine offene und tolerante Gesellschaft, für bezahlbare Wohnungen, Zugang zu guter Pflege und medizinischer Versorgung und Bildung für alle. Die LINKE engagiert sich vor Ort in den Willkommensinitiativen zur Integration von Flüchtlingen. Wenn dann aber von der Bundesebene der LINKEN gerade auf diesem Feld widersprüchliche Signale kommen, wird sie einen Teil ihrer potentiellen Wähler auch künftig nicht erreichen.  

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(1) Die nachfolgenden Aussagen stützen sich maßgeblich auf die Wahlanalysen  von Horst Kahrs zu den Landtagswahlen in Bayern und Hessen. https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Themen/wahlanalysen/2018-10-14_LTW_BY_WNB.pdf

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