Während unserer fünftägigen Geschichtsreise nach Athen im März 2023 beschäftigten wir uns mit der Geschichte der griechischen Linken im 20. Jahrhundert. Wir fokussierten auf Zeitperioden, in denen linke Organisationen illegalisiert waren, beleuchteten darüber hinaus aber auch die Bedeutung antikommunistischer Diskurse bis in die Gegenwart. Trotz autoritärer Strukturen und Marginalisierung fanden linke Akteur:innen Betätigungsfelder und haben die griechische Gesellschaft entscheidend mitgeprägt.
Mit einer Gruppe von 24 Personen aus Österreich und Deutschland, altersmäßig gut durchmischt, starteten wir unsere Reise mit einer Einführungsrunde auf der Dachterrasse unseres Hotels in Athen. Im Anschluss erfuhren wir bei einem einführenden Stadtspaziergang mit dem Historiker Kostis Karpozilos über zentrale Zäsuren für die griechische Linke im 20. Jahrhundert. Den ersten Abend ließen wir bei einem gemeinsamen Abendessen ausklingen.
Die nächsten beiden Tage der Reise starteten wir jeweils mit interaktiven Gruppenarbeiten. Die Teilnehmer:innen visualisierten zentrale politische Ereignisse und Zeitperioden der griechischen Zeitgeschichte auf einem Zeitstrahl. Bei einem Texteworkshop erarbeiteten und präsentierten fünf Kleingruppen Artikel zu verschiedenen Aspekten der griechischen Linken. Bei der anschließenden Diskussion wurde die enge Wechselbeziehung zwischen eigenen Handlungsspielräumen und dem größeren (geo-) politischen Kontext deutlich.
Neben diesen Überblicksdiskussionen lag der Schwerpunkt der Tage 2 und 3 auf der Zwischenkriegszeit. Wir hörten zunächst einen einführenden Vortrag vom Historiker Vassilis Georgakis zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Griechenlands. Anschließend lag der Fokus auf den Jahren 1922/23 und den einschneidenden Folgen für die griechische Gesellschaft: Nach der Niederlage der griechischen Armee in der Türkei kamen über eine Million Flüchtlinge aus Kleinasien in Griechenland an, etwa ein Viertel der damaligen Gesamtbevölkerung.
Dazu besuchten wir die Ausstellung „1922-2022: Geschichten von Überleben und Integration“ in der Bibliothek des griechischen Parlaments und unternahmen einen Stadtspaziergang im südlichen Athener Viertel Níkaia mit der Sozialwissenschafterin Olga Lafazani und der Historikerin Eleni Kyramargiou. Wir erfuhren über die schwierigen Bedingungen der Flucht und des Ankommens, aber auch, wie Níkaia und andere neue Nachbarschaften wichtige Stützen für die neu gegründete Kommunistische Partei und Widerstandsaktionen gegen die Nazi-Besatzung in den 1940er Jahren wurden.
Wir beendeten den Themenkomplex zur Zwischenkriegszeit mit einer vergleichenden Podiumsdiskussion zu faschistischen Regimen in Europa am Beispiel des griechischen Metaxas-Regimes (1936-41) und des österreichischen Dollfuß-/Schuschnigg-Regimes (1933-38). Nach Vorträgen von George Souvlis, Rosa Vasilaki und Elisabeth Luif diskutierten wir gemeinsam. Themen waren unter anderem das Verhältnis zwischen Faschismus und Moderne sowie Ähnlichkeiten beider Regime, wie Versuche zur Integration weiter Teile der Bevölkerung in staatliche Organisationen.Am Tag 4 unserer Reise lag der Fokus auf der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, dem „repressiven Parlamentarismus“ der 1950er und 1960er Jahre, der Militärdiktatur (1967-1974) sowie der Transition zur Demokratie (metapolítefsi). Wir starteten den Tag mit einem Input des Historikers Polymeris Voglis über die Entstehungsbedingungen der Militärdiktatur sowie verschiedene, wenn auch marginalisierte, Formen des Widerstandes.Kostis Karpozilos, Direktor des ASKI (Contemporary Social History Archives), sprach im Anschluss über “Archives in Motion” und erklärte am Beispiel des ASKI, wie die Geschichte des Archives die Geschichte der griechischen Linken widerspiegelt. Im Anschluss diskutierten wir über Auseinandersetzungen um die Interpretation dieser Geschichte seit dem Ende der Militärdiktatur.
Am fünften und letzten Tag unserer Reise lag der Schwerpunkt auf Repräsentationen der Vergangenheit in Geschichte und Gegenwart. Wir besuchten die Ausstellung „Nelly’s“ im Benaki Museum. Nelly’s war eine populäre und international bekannte Fotografin im Griechenland der Zwischenkriegszeit, deren Fotografien vom Metaxas-Regime für Propaganda Zwecke eingesetzt wurden.Bei einem Spaziergang mit der Historikerin Nathalie Patricia Soursos erfuhren wir Hintergrundinfos über die Propaganda des Metaxas Regimes und konnten den Ausstellungsbesuch kritisch nachbesprechen. Nach einer Reflexions- und Abschlussrunde beendeten wir unsere Reise bei einem gemeinsamen Abendessen.
Wir bedanken uns bei allen Vortragenden für die spannenden Inputs und bei der Reisegruppe für die guten Diskussionen und den wertschätzenden Umgang untereinander!
Reiseorganisation und -begleitung: Milena Jana Gegios, Elisabeth Luif, Barbara Steiner (present:history, transform! europe)
Wir danken für die freundliche Unterstützung des Projekts durch: Stiftung Auschwitz-Komitee, ÖH Uni Wien, GEWI, IG Geschichte, IG PoWi, BaGru Publizistik, BaGru*thewi, BaGru*i.e., StV/IG Germanistik.