Möglichkeiten einer sozio-ökologischen Transformation des Energiesektors in Zeiten des Krieges

Jean-Claude Simon reflektiert über den Workshop Possibilities of a socio-ecological transformation of the energy sector in times of war, der im Oktober 2022 unter der Leitung von transform! europe im Rahmen des 6. Europäischen Forums der Linken, Grünen und Progressiven Kräfte in Athen stattfand.

In diesem von transform! europe, der Green European Foundation (GEF) und der Foundation for European Progressive Studies (FEPS) organisierten Workshop ging es um die Perspektiven progressiver Kräfte und die Optionen und Schritte, die notwendig sind, um einen gerechten Übergang für alle zu gewährleisten.

Zu den Referent:innen zählten:

  • Laurent Standaert, Political Director, GEF
  • David Rinaldi, Director of Studies & Policy, FEPS
  • Dorothy Guerrero, Global Justice Now

„Um unsere Gesellschaft zu transformieren, brauchen wir grundlegende Veränderungen; Veränderungen in der Produktion und in unserer Lebensweise. Und wir müssen zusammenarbeiten“, so Conny Hildebrandt, Co-Präsidentin von transform! europe, die den Workshop moderierte.

Der Kontext

Die Notwendigkeit einer Transformation reicht bis zur Ölpreiskrise von 1973 zurück. Schon damals rief die Umweltbewegung dazu auf, den Ölverbrauch zu senken, erneuerbare Energiequellen zu erschließen und aus der Kohle- und Atomkraft auszusteigen. Heute zeigt sich ganz klar, dass die anhaltenden weltweiten Krisen äußerst negative Folgen für unser tägliches Leben haben und dass wir eine Transformation brauchen, die auf Solidarität basiert. Es muss dringend geplant werden, was zu tun ist und wie wir es erreichen können. Angesichts der realen Gefahr, dass einige Regionen durch hohe Temperaturen, Wüstenbildung und steigende Ozeane schon bald unbewohnbar werden, besteht imminenter Handlungsbedarf. Auch der Krieg verschärft die Krise in mehrfacher Hinsicht: Gas und Öl sind zu Waffen geworden und infolge von anhaltend steigenden Preisen, verursacht durch Spekulation, explodieren die Preise mittlerweile förmlich. Es ist daher zwingend notwendig, eine postfossile Produktionsweise zu entwickeln. Die dringliche Frage lautet also: Was werden wir diesbezüglich tun und wie können wir uns organisieren?

Dorothy Guerrero (Global Justice Now): Wir arbeiten mit Bewegungen für Klimagerechtigkeit weltweit zusammen, wobei ein besonderer Fokus auf dem „Globalen Süden“ liegt. Unser Hauptanliegen ist es, den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen zu planen und Argumente zu wichtigen Umweltfragen für die Nord-Süd-Debatte zu liefern. In erster Linie setzen wir uns dafür ein, dass saubere Energiequellen nicht in die Hände multinationaler Unternehmen fallen, sondern Menschen mit konkreten Bedürfnissen zugutekommen.

Laurent Standaert (Green European Foundation): Wir sind an einem Moment der Wahrheit angelangt. Der Klimawandel und die soziale Wut infolge nicht erfüllter Bedürfnisse der Bevölkerung werden zu zwei Seiten ein und derselben Medaille, die beide Gerechtigkeit fordern. Erst einmal brauchen wir ein demokratisches Modell und einen transeuropäischen Ansatz, der lokal verankert ist. Es ist unerlässlich, eine neue Gesamtinfrastruktur für eine nachhaltige Energie und Industrie zu entwerfen und aufzubauen, mit anderen Worten eine neue Produktions- und Lebensweise. Das hat weitreichende Folgen. Außerdem muss dringend definiert werden, was Energiedemokratie in Bezug auf Eigentum und neue Arbeitsplätze bedeutet.

„Ein Grüner Deal, der sich nur auf den grünen Übergang konzentriert, ist nicht zielführend. Ohne soziale Gerechtigkeit wird es keine Klimagerechtigkeit geben.“ Laurent Standaert von der Green European Foundation

David Rinaldi (Foundation for European Progressive Studies): Ein gerechter sozial-ökologischer Übergang ist für die Zukunft der Menschheit unerlässlich. Weiter abzuwarten wird das Problem nur verschlimmern und die Umsetzung von Lösungen erschweren. Aber natürlich schenken zu viele Länder dem keine Beachtung. Deshalb müssen wir den Druck auf Regierungen und politische Entscheidungsträger:innen mit konkreten politischen Vorschlägen erhöhen, z. B. wie neue Arbeitsplätze geschaffen und saubere Technologien mit umfangreichen Investitionen langfristig entwickelt werden können. Gerechtigkeit muss generationenübergreifend sein und sowohl zwischen als auch innerhalb von Ländern greifen. Kurzfristig drängen wir angesichts der Preissteigerungen auf einen befristeten Ausgleich; langfristig müssen wir uns mit der Tatsache auseinandersetzen, dass die Kapitalist:innen riesige Gewinne einfahren.

Ist es vor diesem Hintergrund überhaupt möglich, den Energiesektor zu verändern?

LS: Es ist dringend erforderlich, sämtliche staatlichen Subventionen einzustellen, die anhaltend in den Sektor fließen, und die Erschließung von erneuerbaren Energiequellen aller Art voranzutreiben, um null CO2-Emissionen zu erreichen. Heizung und Kühlung sowie die Renovierung von Gebäuden werden hierbei die wichtigsten Themen sein. Darüber hinaus ist eine tiefgreifende Reform der makroökonomischen Struktur und ihrer Steuerung erforderlich: Das zerstörerische Wachstum des BIP wird durch fossile Brennstoffe angetrieben, und das muss ein Ende haben. Es ist an der Zeit, Energie-Commons und Genossenschaften zu entwickeln, die auf erneuerbaren Energien basieren, um sowohl lokale Arbeitsplätze als auch demokratische Praktiken in unserer täglichen Energieerzeugung zu schaffen.

DR: Es müssen neue finanzpolitische Vorschriften definiert und im Rahmen neuer Strategien wie dem Green New Deal umgesetzt werden; gleichzeitig müssen die sogenannten wettbewerbsfähigen Energiemärkte umgestaltet werden.

DG: Es ist in der Tat dringend erforderlich, die Energiemärkte zu verändern, die fossilen Energiekonzerne zu stoppen und Preisspekulationen zu besteuern. Wir brauchen die Kontrolle der Bevölkerung, um den Wandel voranzutreiben und die Rechte der Arbeitnehmer:innen in den Mittelpunkt zu stellen; die Praktiken von Finanzzentren wie der City of London oder von Finanzriesen wie Black Rock müssen beendet werden. Im Globalen Süden gilt es wichtige Fragen zu klären: Was soll mit der OPEC geschehen? Wie kann das Entwicklungsmodell ölproduzierender Länder verändert werden?

DR: Heute ist der Markt ein System, das von privaten Energieunternehmen kontrolliert wird. Deshalb müssen wir sofort anfangen und die Entwicklung sauberer Technologien zu einer Frage der nationalen Sicherheit machen.  Auch eine Preisobergrenze ist dringend erforderlich. Wir müssen staatlich geführten Investitionen in Technologien mit hohen Erfolgsaussichten Vorrang geben; diese Investitionen werden neue Arbeitsplätze schaffen, die auf das „Wohlbefinden“ und nicht auf Profit ausgerichtet sind. Eine dezentrale Produktion und neue Verteilungsnetze werden als öffentliches Gut funktionieren.

LS: Die Abhängigkeit von den Energiemärkten hat dazu geführt, dass die Preise außer Kontrolle geraten sind, was allen schadet. Daher ist es an der Zeit, diese zu schließen. Außerdem gibt es aufgrund von Engpässen viele Verzögerungen bei der Installation von Solar- und Windenergieanlagen. Auch die Renovierung von Gebäuden ist ins Stocken geraten. Die Stadtverwaltungen sollten mehr Möglichkeiten haben, mit angemessener finanzieller Unterstützung der Zentralregierungen solche Aktivitäten zu initiieren.

Wichtige Fragen aus dem Publikum:

  • Wachstum und Degrowth, wie können Projekte gestartet werden?
  • Haben wir ein Modell für „gutes Leben“?
  • Was machen wir mit der Atomkraft?
  • Widersprüche zwischen Konzerndominanz und Energiedemokratie; wie besteuern?

DG: Die Fragen von Wachstum/Degrowth und gutem Leben sind derart dringlich, dass es heute notwendig ist, eine neue Wirtschaft zu entwickeln, die sich an Bedürfnissen orientiert. Die heutige Lebensweise ist „imperial“. Sie muss in eine Lebensweise umgewandelt werden, die auf Solidarität beruht. Dafür muss der Wettbewerb von Kooperation abgelöst werden. Das bedeutet eine komplette Transformation der technologischen Entwicklung, die auf die Bedürfnisse und den Nutzen der Menschen ausgerichtet sein muss.

DR: Bislang ist die EU nicht bereit, eine wirksame Methode zu entwickeln und einzuführen, um Steuern auf die riesigen Einnahmen der fossilen Energieunternehmen zu erheben. Somit sind deren zusätzliche Gewinne nach dem Preisanstieg bisher nicht angemessen besteuert worden, obwohl es viele Vorschläge gab und die Diskussion darüber, was zu tun ist, weiter andauert. Es ist daher dringend erforderlich, ein effektives Steuersystem zu entwickeln und einzuführen. Hinzu kommt, dass Unternehmensgewinne im Wesentlichen in Form von Dividenden an Aktionär:innen ausgeschüttet und nicht für Investitionen in saubere Technologien genutzt werden. Das ist ein zentraler Fehler im kapitalistischen System, für den es keine Lösung gibt. Wir müssen deshalb das System überwinden, um Lösungen zu finden und umzusetzen, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen.

LS: Wir müssen die Sektoren ausbauen, die für ein gutes Leben unerlässlich sind, beispielsweise die Gesundheitsversorgung und andere Care-Formen sowie alle weiteren Aktivitäten, die die Bedürfnisse der Menschen erfüllen. Wir müssen das Wachstum des BIP, das die Hauptursache für die heutigen Umweltkatastrophen ist, abschaffen. Es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen Umweltverschmutzung und Gesundheit sowie zwischen beschleunigtem Wachstum und verschiedenen Pandemien. Die zahlreichen Krisen, mit denen wir konfrontiert sind, hängen miteinander zusammen. Unsere Lebensweise muss schlicht, zirkulär, langsam und kooperativ werden. Aus wirtschaftlicher Sicht ist es am wichtigsten, Ungleichheiten anzugehen und so schnell wie möglich zu beseitigen. Es müssen Maßnahmen ergriffen werden, um die Steuerhinterziehung großer Konzerne zu beenden und einen Weg zu finden, Gewinne zu besteuern; außerdem müssen direkte und indirekte Subventionen für den Sektor der fossilen Brennstoffe eingestellt werden. Was die Kernenergie betrifft, so wird sie immer unwirtschaftlicher. Wir sehen, dass der Betrieb und die Wartung aktiver Reaktoren enorm kostspielig werden; geplante Investitionen sollten daher lieber in Projekte für erneuerbare Energien fließen, die viel schneller und kostengünstiger sauberen Strom liefern können.

6. Europäisches Forum der Linken, Grünen und Progressiven Kräfte

 

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