Am 26. April wird die Präsidentschaftswahl zwischen Emmanuel Macron und Marine Le Pen entschieden werden. Obwohl sich Macron und Le Pen bereits 2017 in der Stichwahl gegenüberstanden, ist die Situation heute eine andere: Dieses Mal wurde die radikale Linke zur drittstärksten Kraft und lag nur 1,2 Prozentpunkte hinter Le Pen.
Mit dieser Wahl wird die Neuorganisation des politischen Spektrums hin zu einer Dreiteilung fortgeführt: Die drei stimmenstärksten Blöcke umfassen die extreme Rechte, die liberale Mitte und die radikale Linke. Die Sozialistische Partei (1,74%) und die Republikaner*innen (4,8%) sind nahezu in der Bedeutungslosigkeit verschwunden.
Die drei Parteien, die sich in der ersten Runde konsolidierten, konnten insgesamt 73% der Stimmen auf sich vereinen: Macron erreichte (mit seiner liberalen Partei La République en Marche !, LREM) 27,84%, Le Pen (mit dem rechtsextremen Rassemblement National, RN) 23,15%, und Jean-Luc Mélenchon (mit der linksradikalen La France insoumise, LFI) 21,95%. Das Ergebnis stellt damit eine Bestätigung der neuen Machtverhältnisse dar. Unter den anderen neun Kandidat*innen gelang es nur Éric Zemmour (7%), die 5%-Marke zu überspringen (bei einem Ergebnis von unter 5% werden Wahlkampfkosten nicht rückerstattet).
Macron: Der bürgerliche Block
Der Niedergang der Republikanischen Partei
Im Jahr 2017 fand Macron hauptsächlich bei ehemals reformistischen Linkswähler*innen Zuspruch, was nahezu zum vollständigen Verschwinden der Sozialistischen Partei (PS) führte. Dieses Jahr versuchte Macron mit seinem Management der Gesundheitskrise und seinem „Koste-es-was-es-wolle“-Ansatz abermals gezielt Linkswähler*innen anzusprechen. Erste Analysen zeigen jedoch, dass es nun die Rechte war, die für ihn stimmte und dafür der Republikanischen Partei (Les Républicains) den Rücken kehrte. Von den Wähler*innen, die 2017 für die Republikaner gestimmt hatten, wählten in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen 38% Macron und nur 20% die republikanische Kandidatin Valérie Pécresse.
Die regionale Verteilung der Stimmen zeigt ebenfalls diese Dynamik: Macron konnte die historischen Bastionen der Republikaner*innen, wie etwa das 16. Pariser Arrondissement und die bürgerlichen Städte der Départements Hauts-de-Seine und Yvelines für sich gewinnen. Dasselbe gilt im Hinblick auf die soziodemographischen Merkmale, da Macron seine besten Ergebnisse bei den Wohlhabenden (43%), der Generation 65+ (39%) sowie Führungskräften und Angestellten im mittleren Management (34%) einfuhr, und nur einen kleinen Teil der Arbeiter*innenschaft für sich gewinnen konnte (18%).
Nur wenige der traditionellen Wähler*innen der republikanischen Rechten (urban, älter, in Führungspositionen, Unternehmer*innen) entschieden sich für Pécresse. Das ist einem schlecht geführten Wahlkampf geschuldet, sowie Macron, der schlicht überzeugender auftrat, und den Wähler*innen Großteils dieselben Angebote machte (z.B. Rente ab 65, das „Aktive Solidaritäts-Einkommen“ RSA – ein Einkommenszuschuss, einer Sozialhilfezahlung ähnlich – das bei 15-stündiger Beschäftigung/Woche ausbezahlt wird). Es gelang ihm, Pécresse-Wähler*innen zur LREM zu konvertieren, was die Zukunft der Republikanischen Partei in Frage stellt, nachdem Macron bereits 2017 die PS aus dem Rennen geworfen hatte. Wir können nun vom Verschwinden dieser beiden traditionellen Parteien ausgehen.
Schlechtes Abschneiden bei der Arbeiter*innenklasse
Der erste Wahlgang illustriert, wie Macron bei der Arbeiter*innenschaft und in den Arbeiter*innenbezirken deutlich schlechter abschneidet als noch 2017. In den Pariser Arbeiter*innenbezirken etwa konnte er 2017 noch gute Ergebnisse einfahren, zum Beispiel im ärmsten Départements des Großraums Paris, Seine-Saint-Denis, wo er statt 24,04% (2017) in diesem Jahr nur noch 20,27% erreichte – während Mélenchon von 34% auf 49,02% zulegen konnte.
Marine Le Pen und Éric Zemmour: Die extreme Rechte im Aufwind
Über fünf Jahre hinweg sagten die Umfragen Le Pen einen Platz in der Stichwahl voraus. Eine Umfrage im September 2021 prognostizierte ihr sogar den ersten Platz bei den Jungwähler*innen. Die Kandidatur von Zemmour, der noch radikaler und in Unternehmer*innenkreisen besser vernetzt ist, bereitete Le Pens Wahlkampf jedoch Probleme. Trotzdem erreichte Zemmour letztlich nur 7%, nachdem ihm Umfragen im November und Dezember noch 17% voraussagt hatten. (Dieses Wahlergebnis brachte ihm dennoch den 4. Platz ein).
Es ist daher ein interessantes Paradoxon, dass es trotz der tiefen Gräben im politischen Spektrum eine der Parteien der extremen Rechten in den zweiten Wahlgang schaffte. Insgesamt mobilisierten Rechts-außen-Parteien 32,38% der Wähler*innen (Zemmour, Le Pen und Nicolas Dupont Aignan) – so viele wie nie zuvor. Zemmours Kandidatur half Le Pen dabei, den von ihr 2009 begonnenen Prozess der Entdämonisierung zu vollenden, da sie nun glaubwürdiger und weniger gefährlich erschien und gleichzeitig von dem allgemeinen Fokus des gesamten Wahlkampfs auf Immigration und Sicherheit profitierte; Themen, die Zemmour noch aggressiver vertrat.
Teile der traditionell rechten und zur Oberschicht gehörenden RN-Stammwähler*innen wanderten zu Zemmour ab. Er verdankt seine 7% hauptsächlich Le-Pen-freundlichen Fachkräften und einkommensschwachen ehemaligen republikanischen Wähler*innen.
Die Ausrichtung der allgemeinen Debatte im Wahlkampf in Richtung ihrer Themen bedeutete, dass Le Pen kaum einen Wahlkampf führen musste; sie war nur auf wenigen Medienplattformen aktiv und hielt keine Großveranstaltung zum Wahlkampffinale ab. Le Pens Wähler*innenschaft blieb im Vergleich zu 2017 relativ stabil, und bei manchen Gruppen konnten sie Zugewinne verzeichnen: Le Pen wurde sehr stark bei Menschen ohne Migrationshintergrund in prekären Arbeitsverhältnissen (36% der Arbeiter*innen) und bei Wähler*innen ohne höheren Schulabschluss (35%). Bei leitenden Angestellten erreichte sie nur 12%.
Ihre Partei konnte sich in ganz Frankreich besser etablieren. Obwohl Le Pen in Westfrankreich im Allgemeinen nicht so gut Fuß fassen kann, gelang es der RN dort ihre Position im Wahlkampf zu konsolidieren. Wählerstromanalysen zeigen, dass ein signifikanter Teil der ländlichen republikanischen Wähler*innen von 2017 in Westfrankreich diesmal der Partei Le Pen’s den Vorzug gab. Insgesamt wurde der RN in mehr als 20.000 der 38.000 Gemeinden Frankreichs zur stimmenstärksten Partei gewählt und erreichte ihre besten Resultate in kleinen und ländlichen Gemeinden.
Jean-Luc Mélenchon und sein Wahlbündnis
Die Wahlkämpfe der linken Kandidat*innen wurden aufgrund interner Kämpfe und Spaltungen in der Linken häufig diskutiert. Das Wahlbündnis um Mélenchon schaffte es scheinbar, die unterschiedlichen Gruppierungen der Linken auf sich zu vereinen. Mélenchon ist jedenfalls der Kandidat, der am meisten der Nichtwähler*innen von 2017 für sich gewinnen konnte (28%, knapp gefolgt von Le Pen mit 25%). Besonders beliebt ist er unter Jungwähler*innen, Arbeiter*innen (27%) und Studierenden (34%). Mélenchon erhielt außerdem besonders viele Stimmen (etwa 50%) in den französischen Überseegebieten, Frankreichs ärmsten Départements. Dies sind gleichzeitig auch jene Regionen, die am stärksten von der Klimakatastrophe betroffen sind und besonders unter Trinkwasserknappheit leiden. Mélenchon gelang auch der Durchbruch in den urbanen Arbeiter*innenbezirken und den muslimischen Communities. Er konnte aber auch die urbane Linke, Hochschulabsolvent*innen und Teile der qualifizierten Facharbeiter*innen für sich gewinnen, wie sich an seinen guten Resultaten in multikulturellen Nachbarschaften in den Frankreichs Großstädten zeigt. Im Vergleich zu 2017 konnte er in den Überseegebieten und den großen Städten Zugewinne verzeichnen.
Yannick Jadot (Grüne) erreichte 4,7% der Wähler*innen. Die Grünen schafften es nicht, Menschen außerhalb ihrer traditionellen Wähler*innenschaft zu erreichen, die sich hauptsächlich aus jungen, urbanen, gut ausgebildeten Menschen zusammensetzt: Nur 9% der Menschen, die mehr als drei Jahre lang eine höhere Bildungsanstalt besucht hatten und gar nur 1% jener ohne höhere Bildung gaben Jadot ihre Stimme. Es wäre jedoch falsch anzunehmen, dass Jadot eher bei einkommensstarken Wähler*innen punktete; er erhielt viele Stimmen von Menschen mit Universitätsabschlüssen, die jedoch in schlechter bezahlten Jobs arbeiten (wie im öffentlichen Sektor; Bildungs- & Gesundheitswesen, etc.).
Der Kandidat der Kommunistischen Partei (PCF), Fabien Roussel, erhielt 2,3% der Stimmen. Bei geringen Stimmanzahlen ist es schwierig, eine genaue Analyse vorzunehmen. Dennoch lässt sich festhalten, dass Roussel, wenig überraschend, vor allem ältere Wähler*innen der Mittelklasse mit niedrigerer formaler Bildung anspricht.
Der zweite Wahlgang
Jetzt, vor dem zweiten Wahlgang, sehen Macrons Unterstützer*innen den Schlüssel zu ihrem Wahlsieg bei Mélenchons Wähler*innen und setzen daher verstärkt auf ökologische und soziale Themen.
Trotzdem: Die Möglichkeit, dass Marine Le Pen zur nächsten Präsidentin Frankreichs wird, ist durchaus real. Sie kann sich Zemmours Wähler*innen sicher sein und damit eines Elektorats, das ihr in der Vergangenheit nicht zugänglich war: der wohlhabende Teil der klassischen Rechten.
Mélenchons Wähler*innen werden für den Wahlausgang entscheidend sein. Er empfahl, nicht für eine rechtsextreme Kandidatin zu stimmen. Dennoch könnten sich viele dazu entschließen, sich zu enthalten.
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